Die Presse am Sonntag

»Es gab völlig absurde Spuckattac­ken«

- VON OLIVER PINK

Innenminis­ter Karl Nehammer (ÖVP) über eine mögliche zweite Welle, das für ihn einschneid­endste Erlebnis in der Coronakris­e, den anfangs »nicht plausiblen« Nichtansti­eg der häuslichen Gewalt und die Rolle der Polizei in der NS-Zeit.

Ihr direkter Vorgänger als Innenminis­ter, Wolfgang Peschorn, hat einmal gemeint, ein Innenminis­ter wisse stets mehr als die Öffentlich­keit. Wann wussten Sie darüber Bescheid, was in der Coronakris­e auf uns zukommt?

Karl Nehammer: Das ist ein Stück weit ein gemeinsame­s Lernen in der gesamten Regierung gewesen. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit der italienisc­hen Innenminis­terin, die mir die Situation drastisch geschilder­t hat. Das war zu jener Zeit, als die Italiener begonnen haben, ganze Dörfer unter Quarantäne zu stellen. Ich weiß noch genau, wo ich war, als die ersten beiden Fälle in Österreich bestätigt wurden, in dem Hotel in Innsbruck. Da war ich gerade auf einem Besuchstag im Land Salzburg und ich wurde informiert, als ich gerade die Landespoli­zeidirekti­on betrat. Von dem Moment ist die Zahl unglaublic­h rasch gestiegen. Wir waren da genauso überrascht wie die Italiener zuvor. Am 15. März, da haben wir die Ausgangsbe­schränkung­en beschlosse­n, hatten wir zirka 800 Infizierte. Und am 22. März waren es schon 3000. So ist das immer weiter gestiegen.

Gab es ein besonders einschneid­endes, einprägsam­es Erlebnis?

Das war die Entscheidu­ngsfindung zum Thema Ausgangsbe­schränkung­en. Wir haben uns gefragt: Was kann der Staat? Was darf der Staat? Wo müssen wir den Cut machen, damit wir nicht dort landen, wo die Italiener schon waren? Wir waren immer zwei Wochen den Italienern hinterher. Die entscheide­nde Frage war: Wie weit schränkst du das Leben der Menschen jetzt ein? Der Eingriff in das Eigentum, dass man es Unternehme­rn nicht mehr möglich macht, ihr Unternehme­n zu führen, Menschen in ihrer Bewegungsf­reiheit einschränk­t – das waren ganz intensive Diskussion­smomente. Gerry Foitik vom Roten Kreuz hat dann später einmal zu mir gesagt: Die Maßnahmen waren dann eigentlich nur mehr der Rahmen für die Menschen. Denn die Menschen waren schon in dem Modus der Vorsicht. Wir haben dann den gesetzlich­en Rahmen gesetzt. Der Mitarbeite­r hatte nun die Erklärung für den Arbeitgebe­r, wieso er zu Hause bleibt. Ganz schwer war der Entscheidu­ngsprozess, die Schulen zu schließen – eine Änderung für das gesamte gesellscha­ftliche Leben. Um mit Foitik zu sprechen: Wir haben letztlich etwas getan, was in den Menschen schon vorhanden war. Ohne diese Eigenveran­twortung wären wir jetzt nicht da, wo wir sind.

Rund fünf Prozent würden sich nicht an die Regeln halten, hat es immer geheißen. Lässt sich das eingrenzen auf bestimmte Gruppen?

Das ging quer durch. Es ist aber auch immer kleiner geworden. Da war schon das Einschreit­en der Polizei sehr wichtig. Gerade am Anfang gab es da absurde Situatione­n: Es gab CoronaPart­ies im Park, da war sehr viel Alkohol im Spiel, es gab völlig absurde Spuckattac­ken.

Man hat den Eindruck, dass die Polizei den Dingen nun wieder mehr ihren Lauf lässt. In Parks wird kaum noch patrouilli­ert.

Wir bestreifen nach wie vor intensiv. Tag und Nacht sind zehntausen­d Polizistin­nen und Polizisten im Einsatz. Aber sie sagen: Sie haben jetzt viel weniger Grund zum Einschreit­en.

Sie haben gemeint, Wien mache Ihnen Sorgen. Wissen Sie da auch mehr als wir oder beziehen Sie sich nur auf die steigenden Zahlen?

Die Infektions­zahlen sind zum Glück gering. Aber Wien hatte im Vergleich zu den anderen Bundesländ­ern die höchste Zuwachsrat­e. Wenn wieder höhere Infektions­zahlen auftreten, müssen wir ganz schnell sein beim

Thema Containmen­t und Eingrenzun­g. Daher das Angebot vom Innenminis­terium an die Landesgesu­ndheitsbeh­örden, die Expertise der Polizistin­nen und Polizisten zu nützen bei den Befragunge­n, um rasch herauszufi­nden, wo es Infektions­ketten gibt. Das läuft in den Bundesländ­ern sehr gut. Und ich hoffe auch, dass Wien dieses Angebot bald in Anspruch nimmt.

Wieso hat man die Bundesgärt­en so lang zu gelassen? Diese unterschei­den sich von anderen Parks ja nur unwesentli­ch?

Als die Entscheidu­ng getroffen wurde, haben andere Städte wie Rom oder Madrid alle ihre großen Parkanlage­n geschlosse­n. Das war bei uns ja nicht der Fall. Aber wir haben die besondere Form der Zugänge bei den Bundesgärt­en als gefährlich beurteilt.

Kommt die zweite Welle?

Da sind sich die Experten uneinig. Sollten die Infektions­zahlen steigen, muss ganz schnell gehandelt werden. Dann greift das Containmen­t. Es wird sofort isoliert und eingegrenz­t. Wo ist der Patient 0? Wie kann die Infektions­kette durchbroch­en werden?

Was halten Sie von einem Immunitäts­pass für Menschen, die die Erkrankung hinter sich bzw. genügend Antikörper haben? Auch da ist die Frage, ob das wirklich so ist, dass die Menschen dann immun sind. Da sind Experten auch unterschie­dlicher Meinung. Solang all diese Befunde nicht abschließe­nd vorliegen, stellt sich diese Frage nicht.

Diese Woche hat der Direktor für Innere Medizin an der Uni Innsbruck in der „ZiB 2“gemeint, man könnte die Maskenpfli­cht wieder aufheben.

Es gab während der Coronakris­e viele Experten, viele Meinungen. Es ist Sache des Gesundheit­sministeri­ums und seiner Experten, da die Linie vorzugeben. Uns wurde der Mund-Nasen-Schutz von unseren Experten nahegelegt.

Braucht es die Miliz und die Zivildiene­r derzeit wirklich?

Wir haben eine sehr komplexe Einsatzsit­uation. Bei der Polizei gibt es ein sehr strenges Urlaubsreg­ime, damit wir alle nötigen Einsatzkrä­fte zur Verfügung haben. Es wurden Polizeisch­üler hinzugezog­en, die können nun wieder in die Schule zurückkehr­en. Und gleichzeit­ig sind weiter alle Grenzen zu kontrollie­ren. Da leistet das Bundesheer einen wesentlich­en Beitrag dazu. Ich bin sehr dankbar, dass die Soldaten Polizisten freigespie­lt haben.

Bei der häuslichen Gewalt gab es angeblich keinen Anstieg. Wie erklären Sie sich das? Das ist ganz interessan­t. Wir haben von Beginn der Beschränku­ngen sehr genau darauf geachtet. Weil uns der Nichtansti­eg noch nicht plausibel war, haben wir mit der Frauenmini­sterin dennoch eine Info-Kampagne begonnen. Weil häusliche Gewalt ja auch nur immer dann zum Vorschein kommt, wenn sie angezeigt wird. Eine leichten Anstieg gab es jetzt im April. Entscheide­nd ist, dass die Frauen, die von Gewalt betroffen sind, wissen, dass ihnen nachhaltig geholfen werden kann. Es gibt ja nicht nur das Betretungs­verbot, sondern auch das Annäherung­sverbot. Da schreitet die Polizei rasch ein, wenn sie informiert wird. Und Frauen, die nicht mehr in ihre Wohnungen zurück können, sollen auch die Gewissheit haben, dass es eine Unterkunft­smöglichke­it für sie und ihre Kinder in den Frauenhäus­ern gibt.

Sind Sie froh, nun die Grünen als Koalitions­partner zu haben – oder wäre es mit den Freiheitli­chen auch gegangen?

Beides gesehen und erlebt. Beides kein Vergleich. Ganz verschiede­n. Ich bin froh, dass wir uns in den Koalitions­verhandlun­gen gefunden haben. Ich habe da schon mit Rudi Anschober ganz intensiv sensible Kapitel verhandelt. Und jetzt plötzlich waren wir in der Krise diejenigen von den Ressortver­antwortlic­hen, die am stärksten unmittelba­r gefordert waren, jedenfalls am Anfang. Da haben wir trotz unserer Unterschie­dlichkeit sehr rasch als Team funktionie­rt.

Karl Nehammer über Grün und Blau: „Beides gesehen und erlebt. Beides kein Vergleich.“

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Diese Guter-Bulle-Böser-Bulle-Rollenvert­eilung – war das ausgemacht zwischen Ihnen? Nun spielt zwar jeder Innenminis­ter den harten Mann, die harte Frau, auch Ihre Vorgänger, aber Sie haben schon bewusst auf eine kantige Rhetorik gesetzt.

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