»Wer Italien hilft, hilft auch Österreich«
Vizekanzler Werner Kogler über Merkel und Macron, Hacker gegen Nehammer, Mayer nach Lunacek. Die Grünen hätten eine echte Ausgangssperre verhindert, er selbst sei körperlich mitunter schon an die Grenzen gelangt.
Angela Merkel und Emmanuel Macron wollen 500 Milliarden Euro auf dem Kapitalmarkt aufnehmen, um die von der Coronakrise betroffenen Länder, allen voran Italien, zu unterstützen. Sebastian Kurz und die „Sparsamen Vier“– also Österreich, die Niederlande, Dänemark, Schweden – wollen lieber Kredite auf zwei Jahre befristet vergeben. Wo stehen Sie da?
Werner Kogler: Das hat mehrere Dimensionen. Es ist ein einmaliger Einschlag in die Wirtschaft – das heißt, es braucht einmalige Maßnahmen. Und einmalig hohe Fonds. Das heißt, die zeitliche Befristung ergibt Sinn. Aber es muss viel Geld bewegt und investiert werden.
Sie tragen den Vorschlag von Kanzler Kurz also mit?
Einige Ansätze decken sich. Andere weniger. Jedenfalls soll in kurzer Zeit viel ökonomische Schubkraft mobilisiert werden. Es ist daher wenig sinnvoll, die 500 Milliarden über den siebenjährigen Haushalt der EU drüberplätschern zu lassen. Der ökonomische Nachhall dieser Pandemie wird meiner Einschätzung nach zwei bis vier Jahre andauern – ohne zweite Welle. Insofern: Ein Riesenfonds ist gut. Von der Leyen, Merkel und Macron gehen einmal von 500 Milliarden Euro aus. Das passt gut.
Also ein Kompromiss.
Am Schluss ist in Europa immer alles ein Kompromiss. Es sollten auch direkte Zuschüsse für die besonders hart betroffenen Länder dabei sein. Nämlich auch aus österreichischem Eigennutz. Vor allem die Krisenländer Italien und Spanien sollen unterstützt werden. Auch wenn alle was bekommen sollen.
Manche Länder werden aber weniger bekommen als sie einzahlen.
Das liegt in der Natur der Sache. Österreich wird profitieren, wenn Italien angetaucht würde. Das Bundesland Kärnten hat mit Norditalien mehr Wirtschaftsverflechtung als mit jedem anderen Bundesland. Wer Italien hilft, hilft auch Österreich.
Soll das Geld an Bedingungen geknüpft werden?
Ja. Es ergibt Sinn, dem Ganzen Regeln zu geben. Einerseits soll in die Stabilisierung der Volkswirtschaften investiert werden, andererseits in Zukunftsfelder wie Umwelttechnologien, Digitalisierung und in die Stärkung der Gesundheitssysteme. Es soll also zielgerichtet sein und missbrauchssicher. Das Geld muss in Neuinvestitionen der betroffenen Regionen fließen – nicht etwa ins marode italienische Bankensystem.
Auf Österreich heruntergebrochen: Wird man mit den 38 Milliarden Euro aus dem „Koste es, was es wolle“-Paket das Auslangen finden?
Die eine Hälfte ist unmittelbar Cashwirksam. Die andere arbeitet mit Liquiditätsinstrumenten wie Garantien und Steueraufschub. Beim direkten Cash-Instrument kann es gut sein, dass wir noch etwas brauchen.
Im Streit Nehammer gegen Hacker, Hacker gegen Nehammer – wer hat da recht?
Ich durchschaue ihn nicht ganz. Ich orientiere mich am Gesundheitsminister. Um meine eigene Wahrnehmung einzubringen: Bis vor Kurzem hatten wir wöchentliche Konferenzen mit den Landeshauptleuten, wobei die Rolle der Bundesländer im Containment ein immer wichtigeres Thema wurde. Es war unbefriedigend, wenn es da oder dort in der Rückverfolgung der Ansteckungskette zu lang gedauert hat. Zuletzt hatte ich den Eindruck, dass man mit dem Containment-System relativ synchron vorankommt. Und dabei haben die Bundesländer unterschiedliche Methoden.
Kogler: „In den vergangenen Jahren den Notstand schon trainiert – wenn auch aus anderen Gründen.“
Aber soll die Stadt Wien das Angebot annehmen, dass die Polizei mithilft?
Das müssen die jeweiligen Bundesländer wissen, was sie brauchen. Das kann ich nicht beurteilen.
Aber machen wir es konkret: Wissen Sie von positiv getesteten Personen, die die Quarantäne nicht eingehalten haben und wieder zur Arbeit, eben in diese Postverteilzentren, gegangen sind?
Das habe ich den Medien entnommen.
Sie sind immerhin der Vizekanzler. Wenn das wer weiß . . .
Im Vizekanzleramt arbeiten wir derzeit an wichtigeren Dingen. Was ich mitbekommen habe, ist ein Disput, der über Medien ausgetragen wurde. Deswegen habe ich mich im Gesundheitsministerium erkundigt. Und die sagen: Wir arbeiten gut zusammen.
Haben Sie den Eindruck, dass die Bereitschaft der Bevölkerung, die Maßnahmen mitzutragen, zurückgeht?
Das hat bis jetzt super funktioniert. Und die Lockerungen sind ja jetzt enorm. Vor allem wenn man es mit anderen Ländern vergleicht. Da waren wir relativ großzügig und früh dran. Es kann jetzt einigen nicht schnell genug gehen. Aber es gibt auch eine größere
Gruppe, die besorgt ist, dass das alles zu schnell geht. Die treten nur nicht so in den Vordergrund.
Soll die Maskenpflicht gelockert werden? Wir werden im Juni in der Regierung eine große Studie über die Entwicklungen bekommen. Auf dieser Basis kann es dann mögliche weitere Lockerungen geben. Und die Verpflichtung zum Mund-Nasen-Schutz ist ja auch nur in bestimmten Situationen vorgesehen.
Wären Sie für eine Impfpflicht, wenn es einen Impfstoff gäbe?
Ein heikles Thema. Wenn es sich epidemiologisch so verhält wie bei anderen Infektionen, kommt man mit einer Dreiviertel-Beteiligung schon ganz gut durch. Darauf würde ich es einmal anlegen.
Die neue grüne Kulturstaatssekretärin kommt aus der roten Reichshälfte. Haben die Grünen zu wenig Personalreserven? Nein. Die Entscheidung für Andrea Mayer baut auf Kompetenz, Herzblut für die Kultur, Managementqualitäten und Krisenfestigkeit auf. Und sie hat schon zehn Jahre die Kunst- und Kultursektion im Kanzleramt geleitet. Ich hätte ja nicht einmal gewusst, dass sie ein Parteibuch hatte.
Werner Kogler
Geboren am 20. November 1961 in Hartberg. Er studierte Volkswirtschaftslehre, war Mitbegründer der Alternativen Liste, die dann in den Grünen aufging.
Von 1999 bis 2017 war Kogler Abgeordneter der Grünen zum Nationalrat.
Im Oktober 2017 wurde er Bundessprecher der Grünen und führte sie 2019 ins Parlament zurück.
Seit Jänner 2020 ist Werner Kogler Vizekanzler sowie Bundesminister für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport.
Die Umstände und Kriterien, unter denen sie vorgeschlagen wurde, waren andere. Ihre Stärken sind kaum zum Tragen gekommen. Jetzt waren nicht die internationalen Kontakte gefragt, die europäische Dimension.
Anfang Juni startet die Fußballbundesliga. Bei den Unterligavereinen, bei denen auch viele Kinder spielen, ist ein Zwei-Meter-Abstand vorgeschrieben, an ein Match ist also nicht zu denken. Zweierlei Maß?
Nein. Sondern es ist bislang eine gesundheitspolitische Notwendigkeit. Vielleicht ist das im Herbst schon anders. Die Bundesliga ist eingebettet in ein Sicherheitssystem mit Testungen – das wird nicht jeder 1.-Klasse-Verein machen können und wollen.
Wie läuft die Zusammenarbeit mit der ÖVP? Grosso modo sehr gut. Das vielleicht einmal bei irgendeiner Verordnung die Texte hin und her geschoben werden, ist bei Kompromissfindungen normal.
Ich weiß nicht, ob Sie noch auf Twitter schauen: Dort könnten Sie jeden Tag nachlesen, wo sich die Grünen von der ÖVP über den Tisch ziehen ließen.
Ich schaue auf die realen Ergebnisse. Ohne grünen Einfluss hätte es eine Ausgangssperre gegeben – und keine Ausgangsbeschränkung. Ich kann mich gut erinnern, dass wir schon einen Text hatten, in dem von einer Ausgangssperre die Rede war.
Wie fanden Sie den Ausflug von Sebastian Kurz ins Kleinwalsertal?
Ob das ein Ausflug war, weiß ich nicht. Ich habe gehört, dass die Menschen einander zu nah gekommen sind. Und dann die Meldung vernommen, dass das Kanzleramt bzw. die ÖVP selbst gesagt haben, dass ein Fehler passiert sei.
Ein PR-Termin, der schiefgegangen ist. Offensichtlich haben sie dort mit dieser Menschenmenge nicht gerechnet. Und nicht die entsprechenden Vorkehrungen getroffen.
Wo werden Sie denn heuer Urlaub machen? Schauen wir, wie viel Zeit überhaupt bleibt. Ich würde es einmal bei Gebirgsseen versuchen. Ohne Wasser fehlt mir etwas. Ich habe auch in den vergangenen Jahren wenig Zeit für Sommerurlaub gehabt. Und so gesehen den Notstand ja schon trainiert – wenn auch aus anderen Gründen.
Gab es Momente in den vergangenen Monaten, in denen Sie das Gefühl hatten, an Ihren Grenzen angelangt zu sein?
Nicht geistig oder von der Entscheidungsfähigkeit her. Aber körperlich gab es schon manchmal Erschöpfungszustände. Es hat Wochen gegeben, von Anfang März bis knapp vor Ostern, in denen ich pro Tag drei bis vier Stunden geschlafen habe. Da waren Samstag und Sonntag auch dabei. Man muss aber die verschiedenen Ansprüche ordnen: Es kommen unterschiedliche Anliegen, Wünsche, Forderungen daher. So viel Selbstimmunisierung sollte man haben, dass nicht alles gleichzeitig geht. Gäbe man jedem recht, würde es schön ausschauen in der Republik. Die Kritik – dem einen passt das nicht, dem anderen das nicht – muss man dann eben aushalten.
Würden Sie nachträglich betrachtet etwas anders machen?
Bei den wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen hätten wir noch großzügiger agieren sollen. Es gab sehr ausdifferenzierte Modelle im Kompromiss. Aber es hätte auch andere gegeben. Wir hätten stärker den Umsatzverlust berücksichtigen und am Jahresende eine Gesamtabrechnung des Schadens machen können.