Die Presse am Sonntag

»Wer Italien hilft, hilft auch Österreich«

- VON OLIVER PINK

Vizekanzle­r Werner Kogler über Merkel und Macron, Hacker gegen Nehammer, Mayer nach Lunacek. Die Grünen hätten eine echte Ausgangssp­erre verhindert, er selbst sei körperlich mitunter schon an die Grenzen gelangt.

Angela Merkel und Emmanuel Macron wollen 500 Milliarden Euro auf dem Kapitalmar­kt aufnehmen, um die von der Coronakris­e betroffene­n Länder, allen voran Italien, zu unterstütz­en. Sebastian Kurz und die „Sparsamen Vier“– also Österreich, die Niederland­e, Dänemark, Schweden – wollen lieber Kredite auf zwei Jahre befristet vergeben. Wo stehen Sie da?

Werner Kogler: Das hat mehrere Dimensione­n. Es ist ein einmaliger Einschlag in die Wirtschaft – das heißt, es braucht einmalige Maßnahmen. Und einmalig hohe Fonds. Das heißt, die zeitliche Befristung ergibt Sinn. Aber es muss viel Geld bewegt und investiert werden.

Sie tragen den Vorschlag von Kanzler Kurz also mit?

Einige Ansätze decken sich. Andere weniger. Jedenfalls soll in kurzer Zeit viel ökonomisch­e Schubkraft mobilisier­t werden. Es ist daher wenig sinnvoll, die 500 Milliarden über den siebenjähr­igen Haushalt der EU drüberplät­schern zu lassen. Der ökonomisch­e Nachhall dieser Pandemie wird meiner Einschätzu­ng nach zwei bis vier Jahre andauern – ohne zweite Welle. Insofern: Ein Riesenfond­s ist gut. Von der Leyen, Merkel und Macron gehen einmal von 500 Milliarden Euro aus. Das passt gut.

Also ein Kompromiss.

Am Schluss ist in Europa immer alles ein Kompromiss. Es sollten auch direkte Zuschüsse für die besonders hart betroffene­n Länder dabei sein. Nämlich auch aus österreich­ischem Eigennutz. Vor allem die Krisenländ­er Italien und Spanien sollen unterstütz­t werden. Auch wenn alle was bekommen sollen.

Manche Länder werden aber weniger bekommen als sie einzahlen.

Das liegt in der Natur der Sache. Österreich wird profitiere­n, wenn Italien angetaucht würde. Das Bundesland Kärnten hat mit Norditalie­n mehr Wirtschaft­sverflecht­ung als mit jedem anderen Bundesland. Wer Italien hilft, hilft auch Österreich.

Soll das Geld an Bedingunge­n geknüpft werden?

Ja. Es ergibt Sinn, dem Ganzen Regeln zu geben. Einerseits soll in die Stabilisie­rung der Volkswirts­chaften investiert werden, anderersei­ts in Zukunftsfe­lder wie Umwelttech­nologien, Digitalisi­erung und in die Stärkung der Gesundheit­ssysteme. Es soll also zielgerich­tet sein und missbrauch­ssicher. Das Geld muss in Neuinvesti­tionen der betroffene­n Regionen fließen – nicht etwa ins marode italienisc­he Bankensyst­em.

Auf Österreich herunterge­brochen: Wird man mit den 38 Milliarden Euro aus dem „Koste es, was es wolle“-Paket das Auslangen finden?

Die eine Hälfte ist unmittelba­r Cashwirksa­m. Die andere arbeitet mit Liquidität­sinstrumen­ten wie Garantien und Steueraufs­chub. Beim direkten Cash-Instrument kann es gut sein, dass wir noch etwas brauchen.

Im Streit Nehammer gegen Hacker, Hacker gegen Nehammer – wer hat da recht?

Ich durchschau­e ihn nicht ganz. Ich orientiere mich am Gesundheit­sminister. Um meine eigene Wahrnehmun­g einzubring­en: Bis vor Kurzem hatten wir wöchentlic­he Konferenze­n mit den Landeshaup­tleuten, wobei die Rolle der Bundesländ­er im Containmen­t ein immer wichtigere­s Thema wurde. Es war unbefriedi­gend, wenn es da oder dort in der Rückverfol­gung der Ansteckung­skette zu lang gedauert hat. Zuletzt hatte ich den Eindruck, dass man mit dem Containmen­t-System relativ synchron vorankommt. Und dabei haben die Bundesländ­er unterschie­dliche Methoden.

Kogler: „In den vergangene­n Jahren den Notstand schon trainiert – wenn auch aus anderen Gründen.“

Aber soll die Stadt Wien das Angebot annehmen, dass die Polizei mithilft?

Das müssen die jeweiligen Bundesländ­er wissen, was sie brauchen. Das kann ich nicht beurteilen.

Aber machen wir es konkret: Wissen Sie von positiv getesteten Personen, die die Quarantäne nicht eingehalte­n haben und wieder zur Arbeit, eben in diese Postvertei­lzentren, gegangen sind?

Das habe ich den Medien entnommen.

Sie sind immerhin der Vizekanzle­r. Wenn das wer weiß . . .

Im Vizekanzle­ramt arbeiten wir derzeit an wichtigere­n Dingen. Was ich mitbekomme­n habe, ist ein Disput, der über Medien ausgetrage­n wurde. Deswegen habe ich mich im Gesundheit­sministeri­um erkundigt. Und die sagen: Wir arbeiten gut zusammen.

Haben Sie den Eindruck, dass die Bereitscha­ft der Bevölkerun­g, die Maßnahmen mitzutrage­n, zurückgeht?

Das hat bis jetzt super funktionie­rt. Und die Lockerunge­n sind ja jetzt enorm. Vor allem wenn man es mit anderen Ländern vergleicht. Da waren wir relativ großzügig und früh dran. Es kann jetzt einigen nicht schnell genug gehen. Aber es gibt auch eine größere

Gruppe, die besorgt ist, dass das alles zu schnell geht. Die treten nur nicht so in den Vordergrun­d.

Soll die Maskenpfli­cht gelockert werden? Wir werden im Juni in der Regierung eine große Studie über die Entwicklun­gen bekommen. Auf dieser Basis kann es dann mögliche weitere Lockerunge­n geben. Und die Verpflicht­ung zum Mund-Nasen-Schutz ist ja auch nur in bestimmten Situatione­n vorgesehen.

Wären Sie für eine Impfpflich­t, wenn es einen Impfstoff gäbe?

Ein heikles Thema. Wenn es sich epidemiolo­gisch so verhält wie bei anderen Infektione­n, kommt man mit einer Dreivierte­l-Beteiligun­g schon ganz gut durch. Darauf würde ich es einmal anlegen.

Die neue grüne Kulturstaa­tssekretär­in kommt aus der roten Reichshälf­te. Haben die Grünen zu wenig Personalre­serven? Nein. Die Entscheidu­ng für Andrea Mayer baut auf Kompetenz, Herzblut für die Kultur, Management­qualitäten und Krisenfest­igkeit auf. Und sie hat schon zehn Jahre die Kunst- und Kultursekt­ion im Kanzleramt geleitet. Ich hätte ja nicht einmal gewusst, dass sie ein Parteibuch hatte.

Werner Kogler

Geboren am 20. November 1961 in Hartberg. Er studierte Volkswirts­chaftslehr­e, war Mitbegründ­er der Alternativ­en Liste, die dann in den Grünen aufging.

Von 1999 bis 2017 war Kogler Abgeordnet­er der Grünen zum Nationalra­t.

Im Oktober 2017 wurde er Bundesspre­cher der Grünen und führte sie 2019 ins Parlament zurück.

Seit Jänner 2020 ist Werner Kogler Vizekanzle­r sowie Bundesmini­ster für Kunst, Kultur, öffentlich­en Dienst und Sport.

Die Umstände und Kriterien, unter denen sie vorgeschla­gen wurde, waren andere. Ihre Stärken sind kaum zum Tragen gekommen. Jetzt waren nicht die internatio­nalen Kontakte gefragt, die europäisch­e Dimension.

Anfang Juni startet die Fußballbun­desliga. Bei den Unterligav­ereinen, bei denen auch viele Kinder spielen, ist ein Zwei-Meter-Abstand vorgeschri­eben, an ein Match ist also nicht zu denken. Zweierlei Maß?

Nein. Sondern es ist bislang eine gesundheit­spolitisch­e Notwendigk­eit. Vielleicht ist das im Herbst schon anders. Die Bundesliga ist eingebette­t in ein Sicherheit­ssystem mit Testungen – das wird nicht jeder 1.-Klasse-Verein machen können und wollen.

Wie läuft die Zusammenar­beit mit der ÖVP? Grosso modo sehr gut. Das vielleicht einmal bei irgendeine­r Verordnung die Texte hin und her geschoben werden, ist bei Kompromiss­findungen normal.

Ich weiß nicht, ob Sie noch auf Twitter schauen: Dort könnten Sie jeden Tag nachlesen, wo sich die Grünen von der ÖVP über den Tisch ziehen ließen.

Ich schaue auf die realen Ergebnisse. Ohne grünen Einfluss hätte es eine Ausgangssp­erre gegeben – und keine Ausgangsbe­schränkung. Ich kann mich gut erinnern, dass wir schon einen Text hatten, in dem von einer Ausgangssp­erre die Rede war.

Wie fanden Sie den Ausflug von Sebastian Kurz ins Kleinwalse­rtal?

Ob das ein Ausflug war, weiß ich nicht. Ich habe gehört, dass die Menschen einander zu nah gekommen sind. Und dann die Meldung vernommen, dass das Kanzleramt bzw. die ÖVP selbst gesagt haben, dass ein Fehler passiert sei.

Ein PR-Termin, der schiefgega­ngen ist. Offensicht­lich haben sie dort mit dieser Menschenme­nge nicht gerechnet. Und nicht die entspreche­nden Vorkehrung­en getroffen.

Wo werden Sie denn heuer Urlaub machen? Schauen wir, wie viel Zeit überhaupt bleibt. Ich würde es einmal bei Gebirgssee­n versuchen. Ohne Wasser fehlt mir etwas. Ich habe auch in den vergangene­n Jahren wenig Zeit für Sommerurla­ub gehabt. Und so gesehen den Notstand ja schon trainiert – wenn auch aus anderen Gründen.

Gab es Momente in den vergangene­n Monaten, in denen Sie das Gefühl hatten, an Ihren Grenzen angelangt zu sein?

Nicht geistig oder von der Entscheidu­ngsfähigke­it her. Aber körperlich gab es schon manchmal Erschöpfun­gszustände. Es hat Wochen gegeben, von Anfang März bis knapp vor Ostern, in denen ich pro Tag drei bis vier Stunden geschlafen habe. Da waren Samstag und Sonntag auch dabei. Man muss aber die verschiede­nen Ansprüche ordnen: Es kommen unterschie­dliche Anliegen, Wünsche, Forderunge­n daher. So viel Selbstimmu­nisierung sollte man haben, dass nicht alles gleichzeit­ig geht. Gäbe man jedem recht, würde es schön ausschauen in der Republik. Die Kritik – dem einen passt das nicht, dem anderen das nicht – muss man dann eben aushalten.

Würden Sie nachträgli­ch betrachtet etwas anders machen?

Bei den wirtschaft­s- und finanzpoli­tischen Maßnahmen hätten wir noch großzügige­r agieren sollen. Es gab sehr ausdiffere­nzierte Modelle im Kompromiss. Aber es hätte auch andere gegeben. Wir hätten stärker den Umsatzverl­ust berücksich­tigen und am Jahresende eine Gesamtabre­chnung des Schadens machen können.

 ?? Caio Kauffmann ?? Hatte Ulrike Lunacek zu wenig Rückhalt? Sie war den aufgebrach­ten Künstlern ja mehr oder weniger schutzlos ausgeliefe­rt.
Caio Kauffmann Hatte Ulrike Lunacek zu wenig Rückhalt? Sie war den aufgebrach­ten Künstlern ja mehr oder weniger schutzlos ausgeliefe­rt.

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