Freizeit und Familie
Die Bedeutung von Arbeit hat abgenommen, wichtig Arbeit für Menschen ist, zeigt sich oft erst, wenn sie weg ist.
estimmt haben Sie sich die berühmte Lotto-Frage auch schon einmal gestellt: Sie gewinnen einen hohen Geldbetrag, sodass Sie finanziell ausgesorgt haben. Würden Sie sich beruf lich zur Ruhe setzen oder weiterarbeiten? Wenn Sie Letzteres vorziehen, ticken Sie so wie ein großer Teil der Österreicher. „Arbeit hat in Österreich eine unglaublich große Bedeutung für das individuelle Leben“, sagt der Soziologe Bernhard Kittel vom Institut für Wirtschaftssoziologie an der Universität Wien.
Er spricht von einer im internationalen Vergleich „sehr spezifischen Situation“. Freizeit sei den Österreichern im Vergleich zu Arbeit sehr wichtig. „Gleichzeitig können sich die Menschen kaum vorstellen, nicht zu arbeiten.“Ungarn etwa nehmen ihre Arbeit im Vergleich zur Freizeit sehr wichtig. „Aber sie würden sofort aufhören zu arbeiten, wenn sie könnten.“
In Österreich fand in den vergangenen Jahrzehnten ein Wertewandel statt: Die Bedeutung von Arbeit hat im Vergleich zu anderen Lebensbereichen deutlich abgenommen. Work-Life-Balance ist wichtiger geworden, ebenso Familie und Freizeit. Die Coronakrise und ihre Folgen könnten dazu führen, dass die Karten neu gemischt werden. Ein Viertel der Menschen in Österreich arbeiteten Umfragen zufolge während der Ausgangsbeschränkungen im Home-Office. Auf der anderen Seite stehen über 1,8 Millionen Menschen, die arbeitslos oder in Kurzarbeit sind.
Aufschluss über den Wertewandel gibt die Europäische Wertestudie, die die Veränderung zwischen den Jahren 1990 und 2018 untersucht hat. Die Hälfte der Befragten in Österreich stimmte 2018 der Aussage zu, dass „Arbeit im Leben sehr wichtig“ist. Drei Jahrzehnte früher waren es noch 62 Prozent. Auch die Zustimmung zur Aussage, „die Arbeit kommt immer zuerst, auch wenn dies weniger Freizeit bedeutet“, nahm deutlich ab. Das liege laut Ko-Autor Roland Verwiebe nicht nur am Wunsch nach mehr Work-LifeBalance. Sondern auch daran, dass das Alleinverdienermodell dem Zuverdienermodell gewichen sei: Heute arbeiten in Familien oft beide Elternteile, die Organisation erfordert mehr Ausgleich zwischen Arbeit und Privatleben.
Corona macht unzufrieden. Die Ausgangsbeschränkungen haben eingespielte Strukturen in den Familien auf den Kopf gestellt. „Es ist eine krasse Anstrengung, sich den Tag komplett neu einzurichten. Die Menschen mit Kindern und Jobs sind am Limit“, sagt Verwiebe, Professor für Soziologie an der Universität Potsdam und davor an der Univers itätWien.
Das schlägt sich auf die Lebenszufriedenheit. An der Universität Wien untersuchen Wissenschaftler um den Soziologen Bernhard Kittel, wie sich das Coronavirus und seine Folgen auf die Gesellschaft auswirken. Ein Ergebnis des Corona-Panels ist, dass es mit der Lebenszufriedenheit der Österreicher zwischen 2018 und Ende März 2020 steil bergab gegangen ist. Dabei zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern: 2018 waren Frauen noch etwas zufriedener als Männer, das Verhältnis hat sich in der Krise umgedreht. Die Autoren sehen als mögliche Erklärung, dass Frauen schon vor der Krise stärker mit Haushalt und Kinderbetreuung belastet waren, die Belastung mit den Schulschließungen und Ausgangsbeschränkungen aber noch deutlich zugenommen hat.
Außerdem zeigte sich, dass Arbeitslose im Vergleich zur Gesamtbevölkerung deutlich mehr an Zufriedenheit eingebüßt haben – auch wenn sie schon vor der Krise unzufriedener waren als Erwerbstätige. Für die Autoren ist das ein Indiz, „dass sich Arbeitslosigkeit in Ausnahmezeiten noch stärker auf das psychische Wohlbefinden auswirkt“. Sie folgern, was schon viele Stu
»Es ist eine krasse Anstrengung, sich den Tag komplett neu einzurichten.«