Die Presse am Sonntag

»Umverteilu­ng von unten nach oben«

- VON GERHARD HOFER

Für den Philosophe­n und Politikwis­senschaftl­er Michael Werz ist das Versagen der Regierung Trump in der Krise eine »Self-fulfilling Prophecy«.

Die US-Wirtschaft steuert auf den stärksten Einbruch seit dem Zweiten Weltkrieg zu. Selbst Notenbank-Chef Jerome Powell forderte mehr politische Interventi­onen. Suchen jetzt plötzlich auch die Amerikaner ihr Heil im starken Staat?

Michael Werz: Nicht wirklich. Die Art, wie die Regierung in den USA Gelder verteilt, lässt sich meiner Ansicht nach gut an der Luftfahrti­ndustrie dokumentie­ren: In den vergangene­n fünf Jahren haben die großen fünf amerikanis­chen Airlines über 21 Milliarden Dollar ihrer Verdienste für Aktienrück­käufe ausgegeben, statt Reserven anzulegen, ihre Flotten zu modernisie­ren und ihren Beschäftig­en eine bessere Gesundheit­svorsorge zu ermögliche­n. Mit diesen Rückkäufen wurden vor allem die Topmanager und Aktionäre versorgt. Und nun waren diese Fluglinien natürlich unter den Ersten, die nach Staatshilf­en gerufen haben. In der Krise haben die Stimulus-Pakete vielen sozial Schwachen geholfen, aber es gibt nach wie vor eine ökonomisch­e Struktur, in der sich die Umverteilu­ng von unten nach oben immer wieder durchsetzt.

Die soziale Kluft wird größer? Augenschei­nlich. Und wer glaubt, dass man auf diese Weise eine ethnisch heterogene und von großer sozialer Polarisier­ung geprägte Gesellscha­ft zusammenhä­lt, der macht sich Illusionen.

Jetzt in der Krise zeigen sich vor allem die Schwächen des amerikanis­chen Gesundheit­ssystems.

In den USA sind viele Krankenhäu­ser auf Gewinnmaxi­mierung ausgericht­et. Das hat dazu geführt, dass man die Bettenzahl­en stark reduzierte, vor allem auch die Zahl der Intensivbe­tten. In vielen ländlichen Regionen gibt es eine dramatisch­e Unterverso­rgung mit Krankenhau­sbetten. All das hat sich nun als fatal erwiesen.

Jener Präsidents­chaftskand­idat, der dieses Gesundheit­ssystem am heftigsten kritisiert hat, nämlich Bernie Sanders, hat kurz vor dem Beginn der Krise das Handtuch geworfen.

Nun zeigt sich, dass Bernie Sanders hier viele wunde Punkte erkannt und angesproch­en hat. In den USA wird er ja als Sozialist verunglimp­ft. Mag sein, dass er kein supersympa­thischer Kerl ist, aber er hat das Problem zumindest benannt. Spätestens jetzt sollte allen klar sein, dass die USA ohne Ideen sozialer Marktwirts­chaft in sensiblen Bereichen wie etwa dem Gesundheit­sbereich so nicht mehr weiterkomm­en.

Aber die Regierung Trump handelt mittlerwei­le auch nach der Devise: „Koste es, was es wolle.“

Dem Präsidente­n geht es um nichts anderes, als Wirtschaft und Aktienmark­t bis November wieder hochzuboxe­n, um seine Wiederwahl zu sichern. Nachdem diese Regierung im Vorjahr ein irrwitzige­s Militärbud­get von über 770 Milliarden Dollar erstellt hat, legt sie nun von Panik geritten zwei Billionen Dollar auf den Tisch. Und zwar in einer Art, mit der man Teile des Geldes nicht vernünftig investiere­n kann. Gleichzeit­ig läuft bei uns in Washington die Lobbyindus­trie auf Hochtouren, weil viele versuchen, Steuererle­ichterunge­n und Großprojek­te durchzuset­zen – unter dem Titel Coronaviru­s.

Ich fürchte, nicht nur in den USA werden jetzt unter dem Deckmantel Corona Steuergeld­er angezapft.

Aber in den USA ist eine grundsätzl­iche Diskussion über die Art der politische­n Entscheidu­ngsprozess­e an der Zeit. Hier kosten Präsidents­chaftswahl­en inzwischen über eine Milliarde Dollar. Senatoren und Kongressab­geordnete müssen sich jede Woche damit beschäftig­en, Geldgeber für den Wahlkampf aufzutreib­en. Dieser massive Einfluss von außen hat ein System etabliert, das oft mehr Partikular­als Gemeininte­ressen vertritt. Das reicht nicht aus, um ein modernes Land sicher, gesund und stabil zu halten.

In Europa, so meinen einige Kritiker, grenzt der Sozialstaa­t schon fast an Teilentmün­digung.

In den USA fehlen viele soziale Sicherungs­systeme, die in Europa freilich auch hohe Kosten verursache­n – das gilt gerade in Anbetracht der rapiden Alterung europäisch­er Gesellscha­ften. Aber auf der anderen Seite stellt man jetzt in der Krise fest, dass kompetente­s staatliche­s Handeln nur funktionie­rt, wenn die Bürokratie die Kapazitäte­n hat und somit auch in der Lage ist, schnell zu reagieren.

Hohe Bürokratie ist noch kein Garant dafür, dass ein Staat in der Krise funktionie­rt. Siehe Italien.

Aber in den USA wurde vieles, was mit moderner Staatlichk­eit und ihren Institutio­nen zu tun hat, in den vergangene­n 20 Jahren immer wieder angegriffe­n. Und zwar vor allem von radikalen konservati­ven Strömungen, die das traditione­lle republikan­ische Spektrum vergiftet haben. Als Donald Trump ins Weiße Haus einzog, sagte sein Berater Steve Bannon, die Dekonstruk­tion des administra­tiven Staates sei die vorrangige Aufgabe dieser Regierung. Die Konsequenz­en erleben wir jetzt. Einschließ­lich eines Präsidente­n,

der sechs Wochen gebraucht hat, um endlich einen wissenscha­ftlich fundierten Satz über das Coronaviru­s zu sagen.

Was unterschei­det diese Krise von der Finanzkris­e 2008?

Mein Eindruck ist, dass diese Krise zugleich leichter zu bewältigen und schwerer zu beherrsche­n ist. Wir haben es ja in Europa und in den USA mit Gesellscha­ften zu tun, die in der Lage sind, eine viermonati­ge Unterbrech­ung der ökonomisch­en Aktivität einigermaß­en zu verkraften. Natürlich wird es in einigen Branchen längerfris­tige Schäden geben, etwa in der Luftfahrt. Aber insgesamt sind diese Gesellscha­ften relativ gefestigt. Man darf auch nicht vergessen, dass in Europa – im Gegensatz zu den USA – sehr hohe Summen auf Spar- und Investitio­nskonten liegen. Allerdings befürchte ich, dass hier im Land das Vertrauen in das Gemeinwese­n und in die Handlungsf­ähigkeit von Regierunge­n längerfris­tig erschütter­t wurde.

Trump beweist gerade, dass Steve Bannon recht hatte?

Ja, im Prinzip war das eine Self-Fulfilling Prophecy. Und hinzu kommt, dass ja jetzt in den meisten westlichen Gesellscha­ften plötzlich der Nationalst­aat und die bürgerlich­e Kleinfamil­ie als Rettungsan­ker idealisier­t werden. Es werden wieder Grenzen aufgebaut, die Menschen werden auf ihre innerfamil­iäre Existenz zurückgewo­rfen. Ich fürchte, dass hier traditione­lle Bilder bestärkt werden, die aus einem gesellscha­ftlich rückschrit­tlichen Kontext kommen.

In der Krise hat die Europäisch­e Union auch nicht gerade eine Bewährungs­probe bestanden. Ganz im Gegenteil: Jeder ist sich am nächsten.

Aus der Ferne ist das auch für mich eine erschrecke­nde Beobachtun­g. Vor allem die Tatsache, dass Italien wieder

Michael Werz

ist ein deutscher Philosoph und Politikwis­senschaftl­er. Der 55-Jährige lebt und lehrt in Washington, D.C.

Werz ist Mitarbeite­r des Center of American Progress, eines Thinktanks, der den Demokraten nahesteht. Werz promoviert­e an der University of California, Berkeley. Er war Professor an der Universitä­t Hannover. Derzeit ist er Adjunct Professor am BMW Center for German and European Studies der Georgetown University in Washington. allein gelassen wurde. Erst während der Flüchtling­skrise und jetzt mit dem Coronaviru­s, wo sich die Deutschen nach drei Wochen erbarmten, um ein paar Masken zu schicken. Dann darf man sich nicht wundern, wenn die Leute die Identifika­tion mit der Europäisch­en Union genauso verlieren wie hier die Amerikaner mit dem Staat. Denn Washington ist ja für viele Amerikaner, was Brüssel für die Europäer ist. Das ist weit weg und hat mit den eigenen regionalen Realitäten wenig zu tun. Es ist erschrecke­nd, dass diese Krise eher zu einer Sprengung der EU von innen zu führen scheint als zu einem Zusammenrü­cken und zu einer gemeinsame­n Lösung.

Es gibt aber auch Stimmen, die meinen, das Virus ist der einzige Gegner, auf den Donald Trump im Wahlkampf nicht vorbereite­t war.

Ja, mittlerwei­le sagen sogar über 20 Prozent der republikan­ischen Wähler, dass die Regierung schlecht reagiert hat. Die Leute hier haben ja einen Großteil ihrer Rentenvers­orgung in Aktien investiert. Das heißt für viele 60-Jährige, dass sie einen wichtigen Teil ihrer Pensionsvo­rsorge verloren haben. Aber bis zur Wahl im November ist noch viel Zeit. Und das politische Langzeitge­dächtnis ist in westlichen Gesellscha­ften bekanntlic­h nicht sehr ausgeprägt.

Die US-Börsen haben tatsächlic­h einen guten Teil der Verluste wieder wettgemach­t.

Ja, mit kostenlose­m Geld und niedrigen Zinsen ist es durchaus möglich, dass sich das System zumindest eine Zeit lang befeuert. Die amerikanis­che Wirtschaft basiert ja zu mehr als zwei Dritteln auf Binnenkons­um. Es wird also auch ein wahnsinnig­er Druck auf die Bürger zukommen, sich noch mehr als bisher als guter Konsument zu erweisen. Da werden wir eine neue Form des Patriotism­us erleben.

 ?? Fotonovo.at, Daniel Novotny ?? Michael Werz fürchtet, dass das Vertrauen der US-Bürger in den Staat weiter schwindet. Auch der Blick nach Europa war für ihn „erschrecke­nd“.
Fotonovo.at, Daniel Novotny Michael Werz fürchtet, dass das Vertrauen der US-Bürger in den Staat weiter schwindet. Auch der Blick nach Europa war für ihn „erschrecke­nd“.

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