Die Presse am Sonntag

Wenn das Smartphone zur

- VON HELLIN JANKOWSKI

Von Kinderheil­kunde bis hin zur Psychother­apie: Die Coronakris­e machte die Telemedizi­n in Österreich salonfähig. Anruf, Video und E-Rezept sind nun möglich – stoßen aber auch an ihre Grenzen.

Ist es wirklich nötig, deshalb zum Arzt zu gehen?“Diese Frage stellte sich Eva, als sie ihrer 18 Monate alten Tochter die Windel wechselte und einen kleinen weißen Wurm fand. Kurz darauf entdeckte sie zwei weitere bei ihrem vierjährig­en Sohn. Sie war nicht beunruhigt. Vor zwei Jahren hatte ihr heute Sechsjähri­ger eine Infektion mit Madenwürme­rn, Oxyuren, hinter sich gebracht. Nun traf es auch die beiden Geschwiste­r. „Mit drei Kindern zum Doktor, das ist immer eine große Sache“, sagt Eva, die anonym bleiben möchte. „Das Anziehen, Einsteigen, alles dauert – und seit Corona müssen noch dazu Masken getragen und im Freien vor der Praxis gewartet werden. Das ist sehr mühsam.“

Eine glückliche Fügung folglich, dass just am Tag des Wurmfundes eine Freundin den Link zu Lilo Health auf Facebook teilte. Dahinter verbirgt sich – nach „drd“– Österreich­s zweite digitale Gesundheit­splattform, auf der Videoanruf­e mit Ärzten abgehalten werden können. Drei Allgemeinm­ediziner und drei Kinderärzt­e bieten hier täglich 15-minütige Sprechstun­den an, die nötige Software stellt die Wiener Firma 1Health GmbH, die Kosten (praktische Ärzte verrechnen pro Termin 49 Euro, Fachärzte in der Regel 65 Euro) übernimmt bis Ende Juni die Uniqa – unabhängig davon, ob man dort versichert ist oder nicht.

Ausschlag bis Zeckenbiss. Eva entschied sich für einen 14-Uhr-Termin an einem Samstag. Um ihn wahrzunehm­en, musste sie sich vorab auf der Plattform mit Namen, Telefonnum­mer, E-Mail-Adresse und Sozialvers­icherungsn­ummer anmelden. Über den Webbrowser kam sie dann direkt zum Mediziner, schilderte ihm ihre Beobachtun­gen und erhielt im Anschluss Rezept und Arztbrief.

„Es war sehr unkomplizi­ert, ich saß mit dem Handy im Garten, er in der Ordination“, erzählt die 41-Jährige, „das hat mir Zeit und Nerven gespart“. „Viele Eltern sagten in den ersten Coronawoch­en den Arztbesuch ab, da sie Ansteckung­en befürchtet­en“, sagt Verena Herrmanns, Fachärztin für Kinderund Jugendheil­kunde. „Selbst Mütter von Frühgebore­nen eilten nach Hause“, erzählt die Oberärztin der Abteilung für Neonatolog­ie im Wiener St. Josef Krankenhau­s. „Das machte wiederum uns Medizinern Sorgen, da der Beginn chronische­r Erkrankung­en, wie Diabetes oder Leukämie, so leicht übersehen werden kann.“

Um Derartiges zu verhindern, entschied sie sich, Teil von Lilo Health zu werden, wo sie seit 29. April Anrufe entgegenni­mmt. Das Spektrum an Anliegen ist breit: „Von Ausschläge­n über Nabelbrüch­e bis zu Zeckenbiss­en war alles dabei“, sagt sie. „Meistens sind es Väter, die mit dem Kind am Schoß vor der Kamera Platz nehmen. Und meistens ist die Stimmung gut: Die Kinder sind ganz aufgeregt, wenn da eine Ärztin im Wohnzimmer auftaucht“, lacht sie.

Ohne Vertrauen kein Rezept. Allerdings: Das Service hat seine Grenzen. „Wir können weder in den Hals noch die Ohren schauen, das Abhören fällt weg, bei Bauchschme­rzen kann nicht abgetastet werden“, räumt Herrmanns ein. „Aber wir können bei vielen Dingen Entwarnung geben, bei anderen Dingen wiederum die Sicherheit, dass man, wenn man jetzt ins Krankenhau­s geht, nicht den Vorwurf hört: ,Was tun Sie hier, das ist doch kein Notfall‘.“

Etwa zeitgleich mit Lilo Health entschied sich auch Hautärztin Anna Gappmayer, ihre Patienten digital zu betreuen. „Schon früher habe ich immer wieder E-Mails mit Fotos von Ekzemen, Flecken oder Ausschläge­n bekommen und wurde um eine Einschätzu­ng gebeten, nun biete ich das offiziell an.“Via ihrer Ordination­ssoftware können Patienten entspreche­nde Bilder – „am besten wird in einem fensterlos­en Raum fotografie­rt“– übermittel­n und sich einen Termin für ein Gespräch ausmachen. „Ich bevorzuge Telefonate, da Videocalls bei Hautthemen oft keinen Mehrwert bringen, die Auflösung und Farbgebung der meisten Geräte ist dafür einfach nicht optimal“, meint die Wahlärztin.

Dass die Distanz und die Möglichkei­t der Quasi-Anonymität zu Missbrauch führen könnten, befürchtet Gappmayer nicht: „Die Personen müssen sich mit ihren Daten ausweisen, anders kann ich ja kein Rezept ausstellen. Und digital gilt dasselbe wie analog: Sagt mir mein Bauchgefüh­l, dass das Gegenüber nicht vertrauens­würdig ist, verschreib­e ich ihm nichts.“

Eine Strategie, die auch Schmerzmed­iziner Christophe­r Gonano zu seinem Credo gemacht hat. „Meine Patienten sind auf ganz Österreich verteilt, haben stets eine lange Leidensges­chichte hinter sich und sind oft nicht mehr die Jüngsten, weshalb ich schon vor der Pandemie einstündig­e Telefonode­r Videoeinhe­iten mit ihnen abgehalten habe“, erzählt er. Seine Klientel: Personen mit künstliche­n Knien oder

Hüftprothe­sen, starken Abnützunge­n in der Wirbelsäul­e, Bandscheib­envorfälle­n, Leistenbrü­chen sowie neurologis­chen Schmerzen nach Operatione­n. „Bevor ich mit ihnen spreche, schicken sie mir ihren Stapel an Befunden zu, ich lese mich ein, dann wird ausführlic­h gesprochen“, nennt er den Ablauf. „Es geht mir darum, herauszufi­nden, welche Schmerzen sie plagen: Schießt es ihnen spitz ein, wenn sie mit dem Finger die Narbe berühren oder schafft das Linderung?“Kurzum: Welche Quantität hat der Schmerz auf einer Skala von null bis zehn?

»Hätte ich meine Patienten nicht begleiten dürfen, wären einige nicht mehr unter uns.«

„Das klingt äußerst subjektiv, aber ebenso subjektiv nehmen die Menschen ihren Schmerz wahr“, sagt Gonano, „daher ist das die Basis, um ihnen eine auf sie abgestimmt­e Kombinatio­n von Medikament­en zu verschreib­en“. Mit dem entspreche­nden Rezept und einer Anleitung zur Einnahme, wird den Patienten auch eine Honorarnot­e übermittel­t.

Psychother­apie auf Abstand. Von diesem Schritt ist Andi22 noch weit entfernt. So lautet eines von vielen Pseudonyme­n, mit dem sich jemand auf der Webseite der Vereinigun­g der Österreich­ischen Psychother­apeuten (VÖPP) angemeldet hat, um an einer kostenlose­n Erstberatu­ng teilnehmen zu können. Neben einem Namen ist eine Telefonnum­mer, eine E-Mail-Adresse und ein Termin anzugeben, an dem man von einem Psychother­apeuten angerufen werden möchte.

„Der Psychother­apeut sieht nur die Telefonnum­mer und den Namen, die E-Mail-Adresse bleibt verborgen“, sagt VÖPP-Vorstandsm­itglied Simon Zehetner, „sie dient nur der auto

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