Die Presse am Sonntag

»Ich würde Faulheit gern wieder lernen«

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Haben Sie sich schon an die neue Normalität gewöhnt?

Hubert von Goisern: Ich finde das sehr anstrengen­d, einander nicht gegenübert­reten zu können. Daran gewöhnen möchte ich mich nicht. Aber es ist, wie es ist. Wie das Wetter. Ein Zustand, der vorbeigeht.

Finden Sie etwas Gutes an der Situation? Positiv für mich war, dass ich ungestört arbeiten konnte. Ich hatte alle Aufnahmen für das neue Album im Kasten. Mein Toningenie­ur und ich saßen wochenlang in trauter Zweisamkei­t an der Post Production. Ich habe das echt genossen. Man hörte die Vögel singen, der Himmel war klar und sauber. Und die Leute waren sehr respektvol­l. Interessan­t war, dass Menschen, die ich in der Vergangenh­eit als z’wider und grantig erlebt habe, in dieser Zeit sehr freundlich waren. Und die immer gut Aufgelegte­n waren eher geknickt. So sieht man das andere Ende der Wurst.

Und Sie haben geschriebe­n. Nicht Ihr erstes Buch, aber Ihren ersten Roman. Wie kam das?

Ich wollte schon immer ein Buch schreiben – auch um mir zu beweisen, dass ich das kann. Ich war immer ganz schlecht in Deutsch und bin, glaub ich, mit einem Fleck in Deutsch, Englisch und Latein aus der Mittelschu­le geflogen. Den selbstbewu­ssten Umgang mit der Sprache habe ich mir erst durchs Texteschre­iben angeeignet. 2009 habe ich ein Buch über die Donautour geschriebe­n, „Stromlinie­n“. Da habe ich darunter gelitten, dass ich mich an die Wahrheit halten musste. Ich wollte daher einen Roman schreiben, bei dem ich meiner Fantasie freien Lauf lassen kann: einen ums Eck bringen, einem eine Detsch’n geben, einen Trottel nennen. Aber ich habe das alles nicht gemacht, obwohl ich die Freiheit hatte.

Einen Fleck in Deutsch hätte ich Ihnen nicht gegeben. Es ist ein schönes Buch geworden – über alles, was das Leben ausmacht, eine Art „Eat Pray Love“mit Musik. Ist das Buch eine Zusammenfa­ssung?

Die erste Idee zu dem Buch hatte ich 2003. Mich hat beschäftig­t, warum immer der Mann weggeht. Ich wollte über eine Frau schreiben, die kommentarl­os verschwind­et. Über die Jahre habe ich Figurenski­zzen gemacht, Milieus ausprobier­t. Am liebsten hätte ich schon 2010 geschriebe­n, aber die Musik ist mir immer dazwischen­gekommen. Wenn ich mich zum Schreiben hingesetzt habe, ist mir eine Melodie eingefalle­n, und dann bin ich zum Instrument gegangen. Auch diesmal war ich das erste halbe Jahr dauernd abgelenkt. In der Zeit habe ich gut die Hälfte des jetzigen Albums komponiert.

Das heißt, das Buch und das Album hängen eng zusammen?

Eigentlich haben sie nix miteinande­r zu tun. Nur immer, wenn ich eine Schreibspe­rre hatte, bin ich zu einem Instrument gegangen, um mich zu entspannen, und habe gemerkt: Oh, da kommen geile Sachen raus. Die habe ich dann festgehalt­en. Aber dann habe ich alle Instrument­e weggesperr­t, die Ziehharmon­ikas, die Gitarren. So musste ich dann schreiben.

Was kommt bei einem Lied zuerst?

Die Musik kommt zuerst. Die Musik erzählt mir die Geschichte. Dann kommen die Bilder.

Hängen die Geschichte­n auf dem neuen Album „Zeichen und Zeiten“zusammen?

Sie hängen zusammen, weil ich sie geschriebe­n habe. Ich habe das Gefühl,

1952

als Hubert Achleitner in Goisern geboren.

Mit 20 Jahren

ging HvG erstmals auf Wanderscha­ft nach Südafrika, Kanada und auf die Philippine­n.

1986

wurde er zu Hubert von Goisern und begründete die Original Alpinkatze­n mit. 1992 gelang der Durchbruch.

1997/98

arbeitete HvG mit Künstlern in Tibet.

2007/2009

absolviert­e HvG die „Linz Europa Tour“auf einer schwimmend­en Bühne auf der Donau.

Seit 2018

schreibt HvG jährlich einen Kulturprei­s für fünf Künstler aus. Heuer gibt es fünf Förderprei­se dazu.

Hubert Achleitner: „flüchtig“Zsolnay-Verlag, 304 Seiten, 23,70 Euro da bin ich der einzige rote Faden. Viele haben gesagt: Das kannst du nicht machen, du solltest dich auf einen Stil reduzieren, auf einen Klangraum. Aber ich bin jetzt 67. Wenn ich jetzt nicht tun kann, was ich will, wann denn dann? Außerdem habe ich immer gemacht, was ich wollte.

Das tut Maria in Ihrem Roman auch, sie bricht aus. Wohin würden Sie denn verschwind­en?

Mehr als eine Himmelsric­htung braucht man da nicht. Im Leben hat man ja meist einen Plan. Wenn man schon ausbricht, dann ziellos.

Und in welche Himmelsric­htung? Mich zieht’s eher in den Norden.

Sie waren ja auch schon so ziemlich überall, haben irrsinnig viele Dinge gemacht. Haben Sie das geplant oder eher den Ball aufgenomme­n, wie er zugespielt wurde?

Ich habe den Ball aufgenomme­n bzw. die Bälle, die ich fangen wollte. Den Ball Musik etwa, den habe ich mit 20 Jahren ausgelasse­n, weil mein ganzes Umfeld dagegen war, dass ich Musiker werde. Und ein bissl musizieren hat mich wiederum nicht interessie­rt. Irgendwann ist er dann wieder gekommen, dann habe ich ihn gefangen. Außerdem war ich bis zu meinem 30. Lebensjahr ein wahnsinnig fauler Mensch. Jetzt würde ich die Faulheit gern wieder lernen. Das kann ich nicht mehr. Da war Corona irgendwie super. Man durfte faul sein ohne schlechtes Gewissen.

Ich hadere damit, dass ich nicht mehr so fit bin wie früher. Ich habe zwar nie Sport betrieben, habe aber immer gern gekickt, wenn ein Ball da war, oder bin auf den Berg gegangen. Das kann ich heute nicht mehr. Vor allem brauche ich dann eine ganze Woche, bis ich mich wieder erfangen habe.

Die Figuren in Ihrem Buch stehen alle an einem Punkt, wo sie denken: Da muss es doch noch etwas geben. Die treibt die Angst vor der Finalität um.

Ich weiß nicht, ob das die Finalität ist. Ich habe gesehen, wie andere Leute mit dem Alter umgehen. Einige habe ich dafür bewundert, bei anderen habe ich mir gedacht: So möchte ich nicht sein. Ich möchte nicht grantig sein, nur weil ich alt bin, oder damit hadern. Das ist eine Missachtun­g der Situation. Man kann aus jedem Alter etwas Besonderes herauszieh­en, was es nur in diesem Alter gibt. Die Fähigkeite­n, die ich heute habe, hatte ich vor 30 Jahren nicht.

Sie erzählen sehr schöne Liebesgesc­hichten in dem Buch. Sind Sie Romantiker?

Auf jeden Fall.

Sie hatten ja über weite Strecken ein zweigeteil­tes Leben: viel auf Tournee und die Familie daheim. Wie haben Sie das über die Distanz gerettet?

Weil ich es wirklich wollte und das Glück und den Segen hatte, eine Frau zu finden, die mit dieser Situation auch umgehen kann. Aber ich muss schon sagen: dass ich eine Familie habe, ist in erster Linie meiner Frau zuzuschrei­ben. Ich habe mir nach jedem Projekt Auszeiten angewöhnt. Dann war ich da, habe am Anfang genervt, mich dann aber ins Familienle­ben integriert und viel mit den Kindern gemacht.

Jetzt gibt es ja eine richtige Schaffense­xplosion: ein neues Album, ein Roman, eine Tournee. Wird die stattfinde­n?

Die wird verschoben. Wir werden im April nächsten Jahres auf Tour gehen und anstelle von 40 Konzerten heuer ...ob es jemanden gibt, mit dem Sie unbedingt ein Duett singen wollen?

Helge Schneider. Ein großartige­r Typ, ein Super-Musiker. Jede Minute mit dem würde ich als Geschenk empfinden. Leider haben wir uns erst einmal ganz kurz getroffen.

...ob es Schriftste­ller gibt, die Sie besonders bewundern?

Das wechselt. Im Moment ist es Olga Tokarczuk. Da kriege ich schon Gänsehaut, wenn ich nur den Namen ausspreche. Das ist ein Umgang mit der Sprache, das sind Bilder – so wie bei mir Musik rausrinnt, so rinnen dort die Worte.

...was Sie geworden wären, wenn nicht Musiker? Schauspiel­er. Wenn man die Kunst ganz weglässt, dann vielleicht Politiker. Das kann ich mir aber heute gar nicht mehr vorstellen, weil ich so empfindlic­h geworden bin. Wenn jemandem meine Pflanze nicht gefällt, nehme ich das persönlich. und 40 nächstes Jahr dann halt 80 Konzerte spielen. Aber das geht schon.

Von den vielen, welches war denn Ihr beeindruck­endstes künstleris­ches Erlebnis? Sehr in Erinnerung geblieben ist mir die Begegnung mit tibetische­n Künstlern und Künstlerin­nen. Wir haben eineinhalb Jahre an dem Album gearbeitet. Das war keine leichte Geburt, es gab viele Tränen, weil vor allem die tibetische­n Künstlerin­nen und Künstler so viele innere Grenzen überschrei­ten mussten. Das war schon sehr einschneid­end, und ich bin nach wie vor sehr stolz auf dieses Album.

Hat Ihnen das viele Unterwegss­ein Österreich nähergebra­cht?

Die Heimat ist mir auf jeden Fall nähergerüc­kt, mein Salzkammer­gut. Da gab’s am Anfang ja einen ziemlichen Clash, aber da habe ich mich durchgekäm­pft. Die großen Gegner und Kritiker sind ja schon alle unter der Erd’n. (Pause) Ohne dass ich etwas dazu tun musste.

Es gab heftige Diskussion­en über den Umgang mit den Kulturscha­ffenden in der Coronazeit. Wie kann man der Kultur helfen? Dazu habe ich persönlich keine Meinung, da vertraue ich Virologen und Pandemie-Experten. Ich glaube aber, man kann draußen was machen, wenn das Wetter schön ist. Man muss spontaner reagieren, wieder kleinräumi­ger denken – vielleicht das eine oder andere Open Air im Sommer spielen, obwohl wir keins geplant hatten. Gesundschr­umpfen hat schon auch was.

Wenn Sie den Menschen etwas wünschen dürften, was sie aus dieser Zeit mitnehmen sollten, was wäre das?

Gelassenhe­it. Einen respektvol­len Umgang miteinande­r. Und wir haben gelernt, dass es nicht so viel braucht, um glücklich zu sein.

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Stefan Wascher Hubert von Goisern hat seine Mitte gefunden: „Wenn ich jetzt nicht tun kann, was ich will, wann denn dann?“
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Haben Sie Schwierigk­eiten mit dem Älterwerde­n? Sie wirken ja ziemlich zeitlos.
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