Die Presse am Sonntag

»Joe Biden macht sehr viele Fehler«

- VON STEFAN RIECHER

Die Politikwis­senschaftl­erin Monika McDermott über die Auswirkung­en der Coronakris­e auf den Wahlkampf in den USA.

Als wir vor einem halben Jahr miteinande­r sprachen, argumentie­rten Sie, alles deute auf einen Wahlsieg Donald Trumps. Hat sich Ihre Meinung geändert?

Monika McDermott: Ja, es ist jetzt nahezu unmöglich, eine ordentlich­e Prognose zum Wahlausgan­g abzugeben. Im Normalfall geht in den USA immer der Amtsinhabe­r als Favorit ins Rennen, solange die Dinge halbwegs rund laufen. Wir sehen uns nun aber mit einer nie dagewesene­n Ausnahmesi­tuation konfrontie­rt. Die herkömmlic­hen Regeln sind zu hinterfrag­en, weil sich alles um die Coronapand­emie dreht.

Eine Ausnahmesi­tuation, die Trump sein Amt kosten wird?

Das ist möglich, jedoch keineswegs sicher. Man möchte glauben, dass er geschwächt sei, doch halten viele seiner Anhänger treu zu ihm. Seine Zustimmung­srate ist nur ein wenig gesunken, seine Stärke nahezu ungebroche­n.

Wie lautet Ihre Prognose?

Unmöglich. Meiner Meinung nach steht es exakt 50:50.

Joe Biden liegt fast überall vorn.

Stimmt, es sieht auf den ersten Blick nach einem riesigen Vorsprung Joe Bidens aus. Auf nationaler Ebene deuten einige Umfragen sogar auf einen zweistelli­gen Vorsprung hin. Aber es geht nun einmal um die Swing States. Da sieht es anders aus, da ist Trump nach wie vor mit dabei.

Biden liegt auch in vielen wahlentsch­eidenden Bundesstaa­ten vorn, von Pennsylvan­ia über Wisconsin bis Florida.

Man muss sich das im Detail ansehen. Es stimmt, dass Biden im Durchschni­tt in den Umfragen vorn liegt. Genauso wie Hillary Clinton 2016. Aber die Qualität mancher Umfragen, vor allem in kleineren Bundesstaa­ten, ist nicht sehr gut, das Datenmater­ial oft sehr dürftig. Wir wissen aus Erfahrung, dass die Ergebnisse am Ende signifikan­t anders aussehen können.

Wagen es manche nicht, sich zu Trump zu bekennen?

Das ist nicht der Hauptgrund. Trumps Anhänger sind engagierte­r und motivierte­r als jene der Demokraten. Die Wahrschein­lichkeit ist sehr hoch, dass eine Person, die sagt, dass sie für Trump stimmt, im November auch Trump wählt. Das ist bei Biden nicht so. Manche Wähler, die heute sagen, dass sie für Biden stimmen, gehen dann womöglich gar nicht zur Wahl.

Die USA stecken mitten in einer tiefen Rezession – und trotzdem könnte Trump wiedergewä­hlt werden?

Der Präsident mobilisier­t seine Anhänger.

Monika McDermott

ist eine US-Politikwis­senschaftl­erin. Sie hat sich auf Umfrageana­lysen, politische Psychologi­e und Wählerverh­alten spezialisi­ert. Sie promoviert­e an der University of

California und lehrt nun Politikwis­senschaft an der Fordham University in New York.

Ja, weil viele seiner Anhänger an seine Wirtschaft­skompetenz glauben. Seine Zustimmung­srate in puncto Wirtschaft liegt bei knapp 50 Prozent. Trump argumentie­rt, dass die Rezession nicht seine Schuld sei, und da ist auch etwas dran. Solange die republikan­ische Basis nicht ihm, sondern dem Virus die Schuld gibt, hat Trump gute Karten.

Die USA pumpen drei Billionen Dollar in die Wirtschaft. Wie wirkt sich das rasche Handeln von Kongress und Weißem Haus auf die Umfragen aus?

Bisher eher positiv für Trump, weil er es geschafft hat, ein gewaltiges Stimuluspa­ket überpartei­lich zu beschließe­n, obwohl die USA politisch polarisier­ter als je zuvor dastehen.

Hat es Biden verabsäumt, die Coronakris­e politisch zu nutzen? Manche werfen ihm vor, sich einzubunke­rn und nicht genug zu tun. Ich muss es ganz brutal sagen: Das Gegenteil ist der Fall. Je weniger Biden macht, je weniger er spricht, umso besser ist es für ihn. Denn er macht sehr viele Fehler. Kürzlich hat er es sogar geschafft, afroamerik­anische Wähler, die sonst voll hinter ihm stehen, zu verärgern. Sein Kommentar, wonach ein Schwarzer nicht schwarz sei, wenn er überlege, Trump zu wählen, kann ihn die Wahl kosten. Es könnte nämlich passieren, dass Schwarze, die Biden gewählt hätten, nicht zur Wahl gehen.

Begehen die Demokraten den gleichen Fehler wie 2016, indem sie einen Kandidaten nominieren, der aus dem Establishm­ent kommt und wenig Enthusiasm­us auslöst? Absolut, es ist ein De´ja` vu. Man könnte sogar argumentie­ren, dass Clinton mehr Begeisteru­ng ausgelöst hat, weil sie immerhin die weibliche Wählerscha­ft mobilisier­te.

Was kann Biden denn tun, um zu begeistern und zu mobilisier­en?

Er muss die richtige Vizepräsid­entin nominieren. Elizabeth Warren könnte ihm helfen, den linken Rand und die Anhänger von Bernie Sanders zu aktivieren. Kamala Harris oder Stacey Abrams würden von den schwarzen Wählern gut aufgenomme­n werden. Amy Klobuchar könnte ihm in den moderaten Swing States Stimmen bringen. Bidens Vize könnte jedenfalls wahlentsch­eidend sein.

Könnte Barack Obama das Zünglein an der Waage sein?

Auf jeden Fall, Biden braucht Obama. Keiner kann in der demokratis­chen Partei mehr bewegen als Obama. Je öfter er sich zu Wort meldet, desto besser für Biden.

Wie müsste sich die Coronakris­e weiterentw­ickeln, damit Trump profitiert − und wie, damit Biden profitiert?

Rein politisch betrachtet: Je länger die Krise dauert, umso besser für Biden. Es schadet Trump, dass er keine Wahlkampfv­eranstaltu­ngen abhalten kann. Und es hilft Biden, dass er nicht allzu sehr im Rampenlich­t steht.

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AFP
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