»Joe Biden macht sehr viele Fehler«
Die Politikwissenschaftlerin Monika McDermott über die Auswirkungen der Coronakrise auf den Wahlkampf in den USA.
Als wir vor einem halben Jahr miteinander sprachen, argumentierten Sie, alles deute auf einen Wahlsieg Donald Trumps. Hat sich Ihre Meinung geändert?
Monika McDermott: Ja, es ist jetzt nahezu unmöglich, eine ordentliche Prognose zum Wahlausgang abzugeben. Im Normalfall geht in den USA immer der Amtsinhaber als Favorit ins Rennen, solange die Dinge halbwegs rund laufen. Wir sehen uns nun aber mit einer nie dagewesenen Ausnahmesituation konfrontiert. Die herkömmlichen Regeln sind zu hinterfragen, weil sich alles um die Coronapandemie dreht.
Eine Ausnahmesituation, die Trump sein Amt kosten wird?
Das ist möglich, jedoch keineswegs sicher. Man möchte glauben, dass er geschwächt sei, doch halten viele seiner Anhänger treu zu ihm. Seine Zustimmungsrate ist nur ein wenig gesunken, seine Stärke nahezu ungebrochen.
Wie lautet Ihre Prognose?
Unmöglich. Meiner Meinung nach steht es exakt 50:50.
Joe Biden liegt fast überall vorn.
Stimmt, es sieht auf den ersten Blick nach einem riesigen Vorsprung Joe Bidens aus. Auf nationaler Ebene deuten einige Umfragen sogar auf einen zweistelligen Vorsprung hin. Aber es geht nun einmal um die Swing States. Da sieht es anders aus, da ist Trump nach wie vor mit dabei.
Biden liegt auch in vielen wahlentscheidenden Bundesstaaten vorn, von Pennsylvania über Wisconsin bis Florida.
Man muss sich das im Detail ansehen. Es stimmt, dass Biden im Durchschnitt in den Umfragen vorn liegt. Genauso wie Hillary Clinton 2016. Aber die Qualität mancher Umfragen, vor allem in kleineren Bundesstaaten, ist nicht sehr gut, das Datenmaterial oft sehr dürftig. Wir wissen aus Erfahrung, dass die Ergebnisse am Ende signifikant anders aussehen können.
Wagen es manche nicht, sich zu Trump zu bekennen?
Das ist nicht der Hauptgrund. Trumps Anhänger sind engagierter und motivierter als jene der Demokraten. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass eine Person, die sagt, dass sie für Trump stimmt, im November auch Trump wählt. Das ist bei Biden nicht so. Manche Wähler, die heute sagen, dass sie für Biden stimmen, gehen dann womöglich gar nicht zur Wahl.
Die USA stecken mitten in einer tiefen Rezession – und trotzdem könnte Trump wiedergewählt werden?
Der Präsident mobilisiert seine Anhänger.
Monika McDermott
ist eine US-Politikwissenschaftlerin. Sie hat sich auf Umfrageanalysen, politische Psychologie und Wählerverhalten spezialisiert. Sie promovierte an der University of
California und lehrt nun Politikwissenschaft an der Fordham University in New York.
Ja, weil viele seiner Anhänger an seine Wirtschaftskompetenz glauben. Seine Zustimmungsrate in puncto Wirtschaft liegt bei knapp 50 Prozent. Trump argumentiert, dass die Rezession nicht seine Schuld sei, und da ist auch etwas dran. Solange die republikanische Basis nicht ihm, sondern dem Virus die Schuld gibt, hat Trump gute Karten.
Die USA pumpen drei Billionen Dollar in die Wirtschaft. Wie wirkt sich das rasche Handeln von Kongress und Weißem Haus auf die Umfragen aus?
Bisher eher positiv für Trump, weil er es geschafft hat, ein gewaltiges Stimuluspaket überparteilich zu beschließen, obwohl die USA politisch polarisierter als je zuvor dastehen.
Hat es Biden verabsäumt, die Coronakrise politisch zu nutzen? Manche werfen ihm vor, sich einzubunkern und nicht genug zu tun. Ich muss es ganz brutal sagen: Das Gegenteil ist der Fall. Je weniger Biden macht, je weniger er spricht, umso besser ist es für ihn. Denn er macht sehr viele Fehler. Kürzlich hat er es sogar geschafft, afroamerikanische Wähler, die sonst voll hinter ihm stehen, zu verärgern. Sein Kommentar, wonach ein Schwarzer nicht schwarz sei, wenn er überlege, Trump zu wählen, kann ihn die Wahl kosten. Es könnte nämlich passieren, dass Schwarze, die Biden gewählt hätten, nicht zur Wahl gehen.
Begehen die Demokraten den gleichen Fehler wie 2016, indem sie einen Kandidaten nominieren, der aus dem Establishment kommt und wenig Enthusiasmus auslöst? Absolut, es ist ein De´ja` vu. Man könnte sogar argumentieren, dass Clinton mehr Begeisterung ausgelöst hat, weil sie immerhin die weibliche Wählerschaft mobilisierte.
Was kann Biden denn tun, um zu begeistern und zu mobilisieren?
Er muss die richtige Vizepräsidentin nominieren. Elizabeth Warren könnte ihm helfen, den linken Rand und die Anhänger von Bernie Sanders zu aktivieren. Kamala Harris oder Stacey Abrams würden von den schwarzen Wählern gut aufgenommen werden. Amy Klobuchar könnte ihm in den moderaten Swing States Stimmen bringen. Bidens Vize könnte jedenfalls wahlentscheidend sein.
Könnte Barack Obama das Zünglein an der Waage sein?
Auf jeden Fall, Biden braucht Obama. Keiner kann in der demokratischen Partei mehr bewegen als Obama. Je öfter er sich zu Wort meldet, desto besser für Biden.
Wie müsste sich die Coronakrise weiterentwickeln, damit Trump profitiert − und wie, damit Biden profitiert?
Rein politisch betrachtet: Je länger die Krise dauert, umso besser für Biden. Es schadet Trump, dass er keine Wahlkampfveranstaltungen abhalten kann. Und es hilft Biden, dass er nicht allzu sehr im Rampenlicht steht.