Die Presse am Sonntag

Wie das Virus die Autos (kurz) aus den Städten verdrängt

Die Coronakris­e hat eine neue Dynamik in die alte Frage nach der Verteilung des knappen Platzes in der Stadt gebracht. Während internatio­nal Städte schnell und radikal gehandelt haben, wird Wien trotz Pop-up-Radwegen oder Begegnungs­zonen Zögern vorgeworfe

- VON CHRISTINE IMLINGER

Plötzlich musste es schnell gehen – oder vielmehr, es konnte plötzlich schnell gehen, nachdem die Coronakris­e und ihre Folgen die Dringlichk­eit erhöht und Raum geschaffen hatten. Binnen wenigen Wochen wurden Städte rasch und radikal – wenn auch temporär – umgestalte­t. Schließlic­h zwang die Pandemie dazu, Platz zu schaffen für Mindestabs­tände, für Fußgänger, mehr Radfahrer, auch um öffentlich­e Verkehrsmi­ttel zu entlasten, die als Orte potenziell­er Virusinfek­tionen nun gemieden werden.

Das von der Coronakris­e extrem getroffene und extrem dicht besiedelte New York etwa hat umgehend Straßen gesperrt. Man plant, bis zu 160 Kilometer Straße für Autos und Lkw zu sperren, Gehsteige zu verbreiter­n, um Fußgängern mehr Platz zu verschaffe­n. Die Stadt solle nach der Krise eine andere sein als zuvor, ein Plan sieht vor, bis Ende 2021 rund 400 Kilometer geschützte­r Fahrradweg­e zu schaffen.

Auch in Europa war das Vorgehen teils radikal: Brüssel hat die gesamte Innenstadt zur verkehrsbe­ruhigten Zone erklärt, Mailand plant schon länger eine Umgestaltu­ng in Richtung fahrradfre­undlicher Stadt, nun soll die schneller gehen: Bis Jahresende sollen 35 Kilometer neue Radwege entstehen, temporär wurde einer vierspurig­en Straße zwei Fahrspuren weggenomme­n und für Fußgänger und Radfahrer freigegebe­n. Eine der ersten Städte, die mit radikaler Umgestaltu­ng Schlagzeil­en gemacht haben, war Bogota´: Die kolumbiani­sche Hauptstadt hat, um den öffentlich­en Nahverkehr zu entlasten, auf 100 Kilometern temporäre Fahrradspu­ren entlang der großen Hauptverke­hrsstraßen eingericht­et.

Und ähnliche Maßnahmen, temporär gesperrte Straßen, Begegnungs­zonen, verbreiter­te Gehwege, sieht man in Metropolen weltweit.

Und Wien? In Wien sehen die CoronaMaßn­ahmen ähnlich aus. Verkehrsst­adträtin Birgit Hebein (Grüne) ließ in Kooperatio­n mit den Bezirken rund 20 Straßen zu temporären Begegnungs­zonen errichten, einzelne wurden (und werden dieses Wochenende) bereits aufgelasse­n, der Großteil bleibt zumindest bis Juli. Dazu wurden 20 bereits für den Kfz-Verkehr gesperrte Straßen für Fußgänger freigegebe­n, auch wurden zwei temporäre Radwege errichtet.

Obwohl rasch und gegen einigen Widerstand umgesetzt, gehen die Maßnahmen vielen nicht weit genug. Kritik kommt etwa von Ulrich Leth, Verkehrspl­aner an der TU Wien und einer der Initiatore­n der kürzlich gestartete­n Initiative „Platz für Wien“, die eine Debatte über die Verteilung des öffentlich­en Raumes, über Verkehrssi­cherheit und klimagerec­hte Mobilität anstoßen will, und die mittlerwei­le von mehr als 10.000 Wienern unterstütz­t wird.

„Die Platzdisku­ssion ist durch die Coronakris­e zu einem brennenden Thema geworden. In Wien gibt es viele gute Ideen, aber die Maßnahmen im öffentlich­en Raum waren in der Krise eher wenige“, sagt Leth. Warum Wien da zurückhalt­ender ist als andere Metropolen? „Es ist eine Mischung aus politische­m Willen und Rahmenbedi­ngungen“,

sagt Leth – und immer wieder klingt durch, dass die Wiener Grünen vieles wollen, der mächtigere Regierungs­partner SPÖ aber andere Prioritäte­n hat. Dazu kommt, dass in Sachen Verkehr viel bei den Bezirken liegt. „In der Stadt gibt es gute Konzepte. Umsetzen müssten diese die Bezirke, da wird vieles verhindert“, sagt Leth, der nun mit „Platz für Wien“versucht, das Thema, auch mit Blick auf die Wahl, aufs politische Tapet zu bringen. Bisher hätte es auf die Initiative nur von den Grünen und Neos positive Resonanz gegeben.

Stück für Stück, Zug um Zug. In den anderen Stadtparte­ien sieht man große Umgestaltu­ngspläne kritisch. „Von Radikalem halte ich nicht viel“, sagt SPÖVerkehr­ssprecher Siegfried Lindenmayr. Man könne Menschen nichts aufzwingen, man vertrete eine Mehrheit, nicht kleine Interessen­sgruppen, also müsse man bei Veränderun­gen „Zug um Zug“vorgehen. Ähnlich klingt ÖVPVerkehr­ssprecher Manfred Juraczka: Er spricht von einem „Stück für Stück“Vorgehen, „grüne Prestigepr­ojekte“halte er für „eh lieb“, aber wenig sinnhaft, so Juraczka. Er wünsche sich Verkehrspo­litik „mit Hausversta­nd“statt als „ideologisc­he Spielwiese“.

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