Wie das Virus die Autos (kurz) aus den Städten verdrängt
Die Coronakrise hat eine neue Dynamik in die alte Frage nach der Verteilung des knappen Platzes in der Stadt gebracht. Während international Städte schnell und radikal gehandelt haben, wird Wien trotz Pop-up-Radwegen oder Begegnungszonen Zögern vorgeworfe
Plötzlich musste es schnell gehen – oder vielmehr, es konnte plötzlich schnell gehen, nachdem die Coronakrise und ihre Folgen die Dringlichkeit erhöht und Raum geschaffen hatten. Binnen wenigen Wochen wurden Städte rasch und radikal – wenn auch temporär – umgestaltet. Schließlich zwang die Pandemie dazu, Platz zu schaffen für Mindestabstände, für Fußgänger, mehr Radfahrer, auch um öffentliche Verkehrsmittel zu entlasten, die als Orte potenzieller Virusinfektionen nun gemieden werden.
Das von der Coronakrise extrem getroffene und extrem dicht besiedelte New York etwa hat umgehend Straßen gesperrt. Man plant, bis zu 160 Kilometer Straße für Autos und Lkw zu sperren, Gehsteige zu verbreitern, um Fußgängern mehr Platz zu verschaffen. Die Stadt solle nach der Krise eine andere sein als zuvor, ein Plan sieht vor, bis Ende 2021 rund 400 Kilometer geschützter Fahrradwege zu schaffen.
Auch in Europa war das Vorgehen teils radikal: Brüssel hat die gesamte Innenstadt zur verkehrsberuhigten Zone erklärt, Mailand plant schon länger eine Umgestaltung in Richtung fahrradfreundlicher Stadt, nun soll die schneller gehen: Bis Jahresende sollen 35 Kilometer neue Radwege entstehen, temporär wurde einer vierspurigen Straße zwei Fahrspuren weggenommen und für Fußgänger und Radfahrer freigegeben. Eine der ersten Städte, die mit radikaler Umgestaltung Schlagzeilen gemacht haben, war Bogota´: Die kolumbianische Hauptstadt hat, um den öffentlichen Nahverkehr zu entlasten, auf 100 Kilometern temporäre Fahrradspuren entlang der großen Hauptverkehrsstraßen eingerichtet.
Und ähnliche Maßnahmen, temporär gesperrte Straßen, Begegnungszonen, verbreiterte Gehwege, sieht man in Metropolen weltweit.
Und Wien? In Wien sehen die CoronaMaßnahmen ähnlich aus. Verkehrsstadträtin Birgit Hebein (Grüne) ließ in Kooperation mit den Bezirken rund 20 Straßen zu temporären Begegnungszonen errichten, einzelne wurden (und werden dieses Wochenende) bereits aufgelassen, der Großteil bleibt zumindest bis Juli. Dazu wurden 20 bereits für den Kfz-Verkehr gesperrte Straßen für Fußgänger freigegeben, auch wurden zwei temporäre Radwege errichtet.
Obwohl rasch und gegen einigen Widerstand umgesetzt, gehen die Maßnahmen vielen nicht weit genug. Kritik kommt etwa von Ulrich Leth, Verkehrsplaner an der TU Wien und einer der Initiatoren der kürzlich gestarteten Initiative „Platz für Wien“, die eine Debatte über die Verteilung des öffentlichen Raumes, über Verkehrssicherheit und klimagerechte Mobilität anstoßen will, und die mittlerweile von mehr als 10.000 Wienern unterstützt wird.
„Die Platzdiskussion ist durch die Coronakrise zu einem brennenden Thema geworden. In Wien gibt es viele gute Ideen, aber die Maßnahmen im öffentlichen Raum waren in der Krise eher wenige“, sagt Leth. Warum Wien da zurückhaltender ist als andere Metropolen? „Es ist eine Mischung aus politischem Willen und Rahmenbedingungen“,
sagt Leth – und immer wieder klingt durch, dass die Wiener Grünen vieles wollen, der mächtigere Regierungspartner SPÖ aber andere Prioritäten hat. Dazu kommt, dass in Sachen Verkehr viel bei den Bezirken liegt. „In der Stadt gibt es gute Konzepte. Umsetzen müssten diese die Bezirke, da wird vieles verhindert“, sagt Leth, der nun mit „Platz für Wien“versucht, das Thema, auch mit Blick auf die Wahl, aufs politische Tapet zu bringen. Bisher hätte es auf die Initiative nur von den Grünen und Neos positive Resonanz gegeben.
Stück für Stück, Zug um Zug. In den anderen Stadtparteien sieht man große Umgestaltungspläne kritisch. „Von Radikalem halte ich nicht viel“, sagt SPÖVerkehrssprecher Siegfried Lindenmayr. Man könne Menschen nichts aufzwingen, man vertrete eine Mehrheit, nicht kleine Interessensgruppen, also müsse man bei Veränderungen „Zug um Zug“vorgehen. Ähnlich klingt ÖVPVerkehrssprecher Manfred Juraczka: Er spricht von einem „Stück für Stück“Vorgehen, „grüne Prestigeprojekte“halte er für „eh lieb“, aber wenig sinnhaft, so Juraczka. Er wünsche sich Verkehrspolitik „mit Hausverstand“statt als „ideologische Spielwiese“.