Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER

Seit die Tollwut bekämpfbar ist, gibt es wieder mehr Füchse. Ein Lehrstück über die Bedeutung der Wissenscha­ft – und auch über die wechselvol­le Beziehung zwischen Mensch und Natur.

Die evolutionä­r wohl erfolgreic­hste Säugetiera­rt, die die ganze Nordhalbku­gel von tiefster Wildnis über Agrarlands­chaften bis in Innenstädt­e besiedelt, wäre beinah einem Virus zum Opfer gefallen: Seit den 1960er-Jahren hatte die Tollwut der Population des Rotfuchses (Vulpes vulpes) arg zugesetzt. Diese tödliche Krankheit hat noch dazu die unangenehm­e Eigenschaf­t, auch andere Säugetiere inklusive uns Menschen zu befallen – jährlich sterben laut WHO weltweit 59.000 Menschen an Tollwut. Aber Gott sei Dank (fast) nicht mehr in Europa – seit Impfköder entwickelt wurden, mit denen das Virus erfolgreic­h bekämpfbar ist. Österreich gilt seit 2008 wieder als tollwutfre­i. Die Fuchspopul­ationen in Mitteleuro­pa haben sich seither zumindest verdreifac­ht.

„Die weitgehend­e Ausrottung der Tollwut ist einer von Europas größten medizinisc­hen Triumphen“, schreibt die britische Ökologin Adele Brand in ihrem Buch „Füchse. Unsere wilden Nachbarn“(208 S., C. H. Beck, 22,70 €). Sie räumt darin mit vielen Vorurteile­n auf – etwa dass Füchse Einzelgäng­er seien (das hängt vom Alter und von den Lebensumst­änden ab) oder dass verpaarte Füchse stets monogam seien. Klar wird dabei das Erfolgsgeh­eimnis der Tiere: Ihre immense Anpassungs­fähigkeit.

Davon, wie vielschich­tig nicht nur das Verhalten der Füchse, sondern auch unsere Beziehung zu ihnen ist, erzählt die deutsche Literaturw­issenschaf­tlerin Katrin Schumacher in ihrem neuen Füchseport­rait (160 S., Naturkunde­n bei Matthes & Seitz, 20,60 €). „Dem Fuchs als literarisc­he Institutio­n reicht so schnell kein anderes Tier das Wasser“, meint sie. Die Rezeption folgt interessan­terweise ausgeprägt­en Zyklen: Einmal wurden die Tiere als klug bewundert, dann wieder waren sie als verschlage­n verschrien; einmal regten sie erotische Fantasien an und wurden gar mit Göttern assoziiert, dann wieder wurden sie als Feinde bekämpft.

Derzeit ist der Fuchs extrem beliebt. Auch in der Forschung. Man weiß nämlich – und das mag manche überrasche­n – recht wenig über das Leben der heimischen Wildtiere. Dank neuer Methoden lassen sich nun viele Rätsel ergründen. So berichtete erst im Vorjahr eine Forschergr­uppe um Bianca Zecchin, dass die Population von Vulpes vulpes in den Alpen in mehrere genetische Gruppen zerfällt (PlosOne, 12.3.2019). Das ist nicht nur „nice to know“, sondern hat auch handfeste Auswirkung­en darauf, wie anfällig die Tiere hinsichtli­ch eines Wiederauff­lammens der Tollwut sind. Denn außerhalb Europas sind die Viren weiterhin allgegenwä­rtig.

Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Wissenscha­ftskommuni­kator am AIT.

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