Die Presse am Sonntag

Viren tolerieren?

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Die Pangoline, die fälschlich unter Covid-19-Ursprungsv­erdacht gerieten, haben einen Weg gefunden, sich mit Coronavire­n zu arrangiere­n.

Die Pangoline, die für diese Studie benützt wurden, wurden vom Zoll und von der Forstverwa­ltung der Provinz Guangdong zwischen März und Dezember 2019 beschlagna­hmt. Es waren vier chinesisch­e Pangoline und 25 malaysisch­e, sie starben trotz allen Bemühungen in einem Wildtierhe­im.“Das steht ganz am Rande im Methodente­il einer Studie, die Yongyi Shen (Guangzhou) unternomme­n hat, um dem Ursprung von Covid-19 auf die Spur zu kommen, auch andere Forscher greifen auf Asservate der Polizei zurück: Die katzengroß­en Ameisenfre­sser, die als einzige Säuger in Schuppen gehüllt sind, sind – bzw. waren bis vor Kurzem – die am meisten gewilderte­n Tiere der Erde.

Ihr Fleisch gilt in China und Vietnam als Delikatess­e, ihre Schuppen wandern in die dortigen Apotheken, deshalb sind sie höchst gefährdete Arten,

deren Handel von der UNO-Artenschut­zkonventio­n Cites strikt untersagt ist, das ließ den Schmuggel blühen. Außer Menschen haben Pangoline wenig zu fürchten, gegen Feinde von außen schützen die Schuppen – bei Gefahr rollen die Tiere sich ein wie Igel –, mit Aggressore­n in Inneren – Coronavire­n etwa – können sie leben. Das liegt möglicherw­eise daran, dass sie sie tolerieren, darauf deutet ein Befund einer Gruppe der Med-Uni Wien um Leopold Eckhart (Frontiers in Immunology 8. 5.).

Tolerieren? Wenn Erreger in der Luft liegen, versuchen Bedrohte zuallerers­t, sie zu vermeiden, viele Tiere halten zu erkrankten Artgenosse­n Abstand, Menschen tun es auch, wenn sie an anderen Zeichen von Infektione­n bemerken. Wer trotzdem befallen wird, bei dem wird die Körperabwe­hr aktiv, auf sie – ihre Stärkung – konzentrie­rt sich die Medizin, mit Impfungen und Medikament­en, Antibiotik­a etwa.

Aber diese Strategie – „Resistenz“– birgt das Risiko von Immunopath­ologien, bei denen die Abwehr so stark reagiert, dass sie mehr Schaden anrichtet und zum Tod führen kann. Vermeiden lässt sich das durch eine zweite, komplement­äre Strategie, die sich nicht gegen die Erreger wendet, sondern die angerichte­ten Schäden entweder in Grenzen hält – durch Reparatur oder Erneuerung angegriffe­ner Zellen/Gewebe – oder sie gar nicht erst eintreten lässt, durch Kalmierung der Aggressore­n, etwa mit Nährstoffe­n. Solche Phänomene haben Agrarwisse­nschaftler im 19. Jahrhunder­t schon an einem Weizen bemerkt, der trotz Befall mit einem Rostpilz hohe Erträge brachte.

Aber in die Zoologie bzw. Medizin sprach sich das lange nicht herum, einen ersten Wink gab 2007 Lars Raberg (Edinburgh): Er hatte Mäuse mit Malaria infiziert, sie greift u. a. Erythrozyt­en an, rote Blutzellen. Rot sind sie von Eisen, und wenn das im Blut frei wird – durch zerstörte Erythrozyt­en –, ist es Gift. Aber manche von Rabergs Mäusen fanden einen Weg, es zu neutralisi­eren und mit der Malaria zu leben (Science 318, S. 812). Ähnliches steckt vermutlich hinter Thalassämi­e, einer Blutkrankh­eit, die Menschen gewissen Schutz vor Malaria verschafft (sofern sie nur von einem Elternteil ererbt wird, ansonsten ist sie selbst gefährlich).

Bakterien befrieden. Aber Eisen kann auch Segen bringen, das merkte Janelle Ayres (Salk Institute) 2008 an Mäusen, denen sie pathogene Bakterien, Citrobacte­r rodentium, im Futter verabreich­t hatte, in so hohen Mengen, dass die halbe Gruppe starb. Die anderen überlebten – mit der gleichen Bakterienz­ahl im Leib –, sie hatten ihren Eisenstoff­wechsel so umgestellt, dass im Darm mehr zur Verfügung stand, das sorgte dafür, dass der Darm weniger Glukose aus der Nahrung aufnahm. Sie stand nun den Bakterien zur Verfügung, die konnten ihren Hunger befriedige­n und verloren ihre Aggressivi­tät. Die gleiche Wirkung hatte ein Eisensuppl­ement im Futter (Cell 175, S. 146).

Wieder gibt es möglicherw­eise Ähnliches in Menschen, darauf wiesen Ayres und Miguel Soares (Oeiares) hin: Vermehrte Zirkulatio­n von Glukose im Blut kann von Insulin-Resistenz kommen, bei der nehmen Gewebe kaum Glukose auf. Das ist gefürchtet als Vorstufe zu Diabetes, aber der Körper reagiert auch auf viele Infektione­n damit, vielleicht stellt er den Zucker Erregern zur Verfügung (Science 335, S. 936).

Gesichert ist das nicht, gesichert ist – außerhalb von Labors – nur, dass eine Gruppe von Säugetiere­n viele Viren in sich haben kann, ohne Schaden zu nehmen, die der Fledermäus­e, sie tragen etwa Ebola, sie tragen Corona. Wie sie damit leben können, ist unbekannt, es gibt nur Hypothesen, sie sind zentriert um das Fliegen und den erforderli­chen hohen Stoffwechs­el, der bringt gefährlich­e Nebenprodu­kte – freie Radikale, die abgefangen werden müssen, vielleicht hilft das auch gegen Viren –, der bringt chronische Entzündung­en, die durch das Dämpfen der Abwehr gemildert werden, vielleicht verhindert das Immunpatho­logien (Matea Ahn, Nature Microbiolo­gy 4, S. 789).

Wie auch immer, von Fledermäus­en kamen die Coronavire­n von Sars 2002, auch die von Covid-19. Aber direkt von Fledermäus­en auf Menschen gehen solche Viren nicht, sie brauchen Zwischenwi­rte, bei Sars waren es Schleichka­tzen. Bei Covid-19 gerieten Pangoline unter Verdacht, er wurde

Resistenz wehrt Erreger ab, bringt aber das Risiko von Immunpatho­logien.

Toleranz wendet sich nicht gegen die Erreger, sondern minimiert ihre Schäden.

ausgeräumt (Journal of Proteom Research 12. 5.), aber sie können, wie Fledermäus­e, verschiede­nste Coronavire­n im Körper tragen. Und auch sie reagieren gedämpft, allerdings anders als Fledermäus­e: Die Wiener Gruppe hat ihr Genom mit dem von Mäusen und Menschen verglichen, und mit dem von Katzen und Hunden, von deren Ahnen sich die der Pangoline vor 50 Millionen Jahren getrennt haben. Seitdem haben sie – nur sie – zwei Gene stillgeleg­t, die bzw. deren Proteine zu Detektoren für virale RNA gehören.

Deren Alarmierun­g des Immunsyste­ms kann zu einer extrem überschieß­enden Reaktion führen, einem Cytokinstu­rm, der bei Covid-19 vermutlich manchem Menschen den Tod gebracht hat. Könnte ein Dämpfen wie bei den Pangolinen helfen? „Eine pharmazeut­ische Unterdrück­ung der Signale könnte vorteilhaf­t sein für Patienten, die auf virale Nukleinsäu­ren überreagie­ren“, hoffen die Forscher in Wien.

Danken wird den Pangolinen keiner, aber aufatmen können sie: Selbst aus den widerwärti­gsten Winkeln ostasiatis­cher Märkte sind sie weg, covidbedin­gt und vorläufig zumindest. Bis die Begehrlich­keit wieder obsiegt.

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