»Den Kopf in den Sand stecken bringt nichts«
Eine Bar vor dem Ruin, eine Familie fast auf der Straße, eine Kameraassistentin ohne Einnahmen. Das Virus hat viele in eine Existenzkrise getrieben. Warum schaffen es manche besser da raus?
Es ist Sonntagabend, als bei Christian Schilcher die Erkenntnis mit voller Wucht einschlägt. Er und seine Familie haben ein echtes Problem. Seine gut gehende Cocktailbar war da schon einige Tage wegen des Lockdowns geschlossen. Anfangs dachte er noch: „Es wird hart, aber es geht schon.“Die Regierung hatte einschneidende Maßnahmen gesetzt, schien aber einen Plan zu haben. „Koste es, was es wolle“waren Worte, die auch ihn beruhigten. „Privat war es nicht so tragisch, wir sind gerade erst umgezogen. Ich hatte Zeit, die Wohnung einzuräumen, mich um den Buben zu kümmern.“
Doch plötzlich fand er sich in einer völlig neuen Situation wieder. Mit jeder Pressekonferenz gab es mehr Verschärfungen. In Italien explodierten die Zahlen der Covid-19-Erkrankten – und -Toten. Die Ausgangsbeschränkungen, stellte sich schnell heraus, würden weit länger dauern als vermutet. Das ist der Moment, in dem er sich mit seiner Freundin am Esstisch zusammensetzt. Ihr Sohn, gerade einmal zwei Jahre alt, schläft im Nebenzimmer. „Ich habe nicht gewusst, wie wir weitertun.“
Es ist der Moment, sagt er, in dem bei ihm zum ersten Mal „so etwas wie Existenzängste“auftraten. Wie sollen sie die nächsten Monate finanziell überstehen? Chris Schilcher ist Geschäftsführer und Teilinhaber der Cocktailbar Krypt im neunten Bezirk. Die acht Meter unter der Erde liegende Bar wurde erst vor zweieinhalb Jahren eröffnet. Ein prosperierendes Geschäft, aber die Investments sind noch nicht abbezahlt. Ihre gesamten Ersparnisse stecken in dieser Bar, die geschlossen auch kein Einkommen für die Familie abwirft. Geld, das sie in diesem Moment benötigen: Erst eine Woche vor dem Lockdown sind sie in eine neue Wohnung gezogen. „Endlich eine, die größentechnisch passt, aber natürlich teurer. Auch der Umzug hat Geld gekostet.“Kurz davor hatten sie noch in ein neues Familienauto investiert. Seine Freundin war zwar eben aus der Karenz in die Teilzeit zurückgekehrt, durch den Lockdown aber sofort in Kurzarbeit geschickt worden. Mit dem Einkommen seiner Freundin können sie nicht einmal die Kosten für die Wohnung decken. „Ich habe schon gedacht, wir müssen ausziehen, weil wir die Miete nicht mehr zahlen können.“
Ein sich leerender Kalender. Ungefähr zur gleichen Zeit geht Teresa Ferstl bereits davon aus, dass sie mit Ende Juni kein Geld mehr zur Verfügung haben wird. Die 31-Jährige ist selbstständig und arbeitet beim Film. Sie macht dort Kameraassistenz, -technik und Beleuchtung. Bereits kurz vor dem Lockdown hat sie die Auswirkungen des Coronavirus gespürt, weil schon Drehs und Aufnahmen von Liveveranstaltungen, auf die sie spezialisiert ist, abgesagt wurden. Doch in der LockdownWoche ging auf einmal alles ganz schnell. „Es sind einfach stündlich Absagen hereingekommen.“Ihr Kalender sei wie der Ladebalken eines Handys gewesen, „der sich rasch entleert“. Am Ende sei der Kalender – bis auf drei, vier Online-Vorlesungen – von Anfang April bis Ende des Jahres leer gewesen. „Da denkst du dir dann einfach: Schluck.“
Wie meistern wir Krisen? Warum können manche Menschen besser mit ihnen umgehen? Warum erholen sich manche nach Rückschlägen, schaffen es vielleicht sogar, ihre Situation zu verbessern? Und wie wird man selbst krisenfest? Antwort: Es liegt an ihrer Resilienz. Das in den vergangenen Jahren viel zitierte Wort steht für psychische Widerstandskraft und Anpassungsfähigkeit. „Resilienz heißt: wieder aufstehen, sich abputzen und weitergehen“, erklärt Psychologin und Resilienztrainerin Natalia Ölsböck, die schon Bücher dazu geschrieben hat.
Dabei ist das Thema ein junges. Erst 1955 brachen Forscher nach Hawaii auf, um dort die Entwicklung von Kindern in widrigen Verhältnissen zu erforschen. Ihre Erkenntnis: Ein Drittel der Kinder entwickelte sich besser als andere, obwohl sie mit den gleichen Widerständen zu kämpfen hatten. „Man hatte den Eindruck, diese Kinder wuchsen förmlich an ihren Schwierigkeiten“, so Ölsböck in ihrem Buch.
Ins Handeln kommen. Heute, sagt Ölsböck, wisse man, dass Resilienz bei jedem Menschen in unterschiedlicher Ausprägung vorhanden sei. Man könne diese fördern und trainieren, wenn sie auch in Wellen verlaufe. „Es ist immer auch davon abhängig, welche Belastungen aktuell vorhanden sind und wie viele Ressourcen ich aktivieren kann.“Und um ein Missverständnis auszuräumen: Auch resiliente Menschen fühlen sich schlecht. „Zu Beginn der Coronapandemie waren alle geschockt.“Aber jetzt, nach einigen Wochen, seien Resiliente schon längst ins Handeln gekommen – raus aus der Opferrolle und der Schockstarre. „Die überlegen schon längst, was sie tun können.“Und zwar unabhängig davon, wie schwer sie von der Krise getroffen wurden.
Auch bei Theresa Ferstl setzte Stress, aber keine Panik ein. „Weil Panik nichts bringt.“Dabei hatte sie schon davor Rückschläge hinnehmen müssen. Ihre langjährige Beziehung war vor Kurzem zerbrochen, sie war deshalb früher als geplant von ihrer Saison in einem Surfcamp in Spanien zurückgekehrt. Seither wohnt sie in der Wohnung ihrer Mutter in Wien, die den Lockdown in der Steiermark verbringt. Ihre eigene Wohnung ist durch die verfrühte Rückkehr noch nicht frei. Große finanzielle Rücklagen gibt es für Ein-Personen-Unternehmen in ihrer Branche ohnehin nicht, und auch die Familie kann schlecht helfen. Ihr Vater musste selbst sein Geschäft schließen. „Es war ein großes ,Fuck‘, zusammengesetzt aus lauter kleinen.“
»Ich dachte schon, wir müssen ausziehen, weil wir die Miete nicht mehr zahlen können.« »Resilienz heißt: Wieder aufstehen, sich abputzen und weitergehen.«
Trotzdem reagiert sie. „Ich wusste, es bringt nichts, daheim zu sitzen und mich den Endzeitgedanken hinzugeben.“Also beschließt sie, einer älteren Nachbarin beim Einkaufen zu helfen, meldet sich beim Roten Kreuz und beginnt, für die Team Österreich Tafel als Ehrenamtliche zu fahren. Dafür legt sie die Einsatzfahrzeuglenkberechtigungsprüfung ab. „Was für ein Wort“, sagt sie und lacht. Sie ist fit und jung, sie hat keine Angst, schwer krank zu werden. „Ich habe versucht, irgendetwas Sinnvolles mit der Zeit zu tun, die ich zwangsweise zur Verfügung hatte.“Ihre Tage beginnt sie noch immer vor neun Uhr, weiters beschließt sie, keinen Tropfen Alkohol zu trinken. Und sie trifft noch eine Entscheidung: Sie kauft sich, obwohl finanziell angespannt, ein gebrauchtes Mountainbike, um im Rahmen der Gesetze genügend Bewegung zu finden. Sie braucht die Bewegung, davor war sie fast jeden