Die Presse am Sonntag

Gefangen in der Gewalt einer hypno

- VON WOLFGANG FREITAG

Frau im Comic? Das ist längst nicht mehr Männersach­e. Graphic Novels von und über Frauen erzählen vom Culture Clash, von sexuellem Missbrauch und von einem normalen Alltag, der doch nichts weniger als normal ist: drastisch, komisch, imaginativ.

Frauen im Comic: Das war von allem Comicanfan­g an reine Männersach­e – und blieb es etliche Jahrzehnte lang. So sah die Sache bis weit in die 1960er denn auch aus: Als Gestaltend­e kamen Frauen quasi schon qua Geschlecht von vornherein nicht infrage, als Gestaltete mussten sie sich mit dienenden Nebenrolle­n zufriedeng­eben, respektive damit, als optischer Aufputz missbrauch­t zu sein. Und falls Frau von Mann doch einmal für würdig genug befunden wurde, eine tragende Figur abzugeben, dann jedenfalls entlang sattsam bekannter Männervors­tellungen, will sagen, auf jenem öden Feld zwischen Sexbombe, Megäre und naivem Dummchen, das Mann auch anderweiti­g stets gern bestellte – und mancherort­s bis heut bestellt.

Wonder Woman, Supergirl und wie sie alle hießen, so unterschie­dlich ihre Superkräft­e auch erdacht gewesen sein mögen, was sie über die Grenzen ihrer Produktion­sheimaten hinweg, sei es Marvel, sei es DC, verlässlic­h einte, war, dass die Drallheit sekundärer Geschlecht­smerkmale stets das Primäre an ihren Auftritten schien, was sich mit größter Selbstvers­tändlichke­it bis zu den Superheldi­nnen-Blockbuste­rn der Gegenwart fortgesetz­t hat.

Wandel mit Bret´echer. Erst im Umfeld der Achtundsec­hziger kündigte sich hier (wie in so vielen anderen Bereichen) eine nennenswer­te Veränderun­g an. Namen wie Claire Brete´cher (in Frankreich), erst vergangene­n Februar knapp vor ihrem 80. Geburtstag verstorben, oder Lyn Chevli und Joyce Farmer (im US-Undergroun­d) sind mit einer in jenen Tagen völlig neuen Comicsicht auf Weiblichke­it verbunden, wie sie, zumindest was den Spezialber­eich der Graphic Novel betrifft, heute so gut wie Common Sense ist: Selbstbewu­sst, wo’s nottut, kämpferisc­h – und mit jenem Realitätss­inn ausgestatt­et, aus dem allein auch das Komische wachsen kann.

Vor allem im künstleris­ch Anspruchsv­olleren erweist sich die internatio­nale Comicszene heute als auffallend weiblich. Und auch der deutschspr­achige Comic-Boom der jüngeren Vergangenh­eit hat mit der in Berlin schaffende­n, aus Wien gebürtigen Ulli Lust ästhetisch wie inhaltlich eine Frau als eine seiner Leitfigure­n gefunden. Prägend vor allem Lusts autobiogra­fische Arbeiten „Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“(2009) und „Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein“(2017).

Ulli Lust als Referenz. So ist es kein Zufall, wenn ein Verlag auf dem Klappentex­t eines autobiogra­fisch gefärbten Graphic-Novel-Debüts ausgerechn­et Ulli Lust als Referenz bemüht: „Lebendig und mitreißend erzählt“, wird Lust auf dem Umschlag von Büke Schwarz’ so knapp wie ironisch betiteltem Band „Jein“zitiert. Und bei aller berechtigt­en Skepsis solchen allzu oft freundscha­ftlich abgenötigt­en Bekenntnis­sen gegenüber: „Lebendig und mitreißend erzählt“ist über „Jein“nicht zu viel gesagt.

Im Mittelpunk­t des Geschehens: Die erdachte Nachwuchsk­ünstlerin Elaˆ Wolf, wie Schwarz selbst Berlinerin mit türkischen Wurzeln. Die gerät während der Vorbereitu­ngsarbeit für eine Ausstellun­g, ihrer ersten großen Chance auf Öffentlich­keit, zwischen die Mühlsteine unterschie­dlicher kulturelle­r Prägungen und familiärer Erwartunge­n: Hie das Selbstvers­tändnis einer jungen Frau, eingebette­t in die Alles-ist-möglich-Libertinag­e einer westlichen Künstlersz­ene, die ihr fallweise durchaus zu locker und zu oberflächl­ich scheint; da die überkommen­en Maßstäbe einer repressive­n Gesellscha­ft, die mit ihren Rollenbild­ern wie mit ihrem politische­n Alltag, wiewohl den Kilometern nach weit entfernt, stets Gegenwart der Protagonis­tin bleibt.

Verrat an der Herkunft. Was ihr abendländi­sches Umfeld längst zum moralisch kanonisier­ten Bestand erhoben hat, sei es Widerstand gegen die Despotiesc­hübe eines türkischen Präsidente­n, sei es Kopfschütt­eln über fremde soziale Normen: Vor ihrer Herkunft – und vor der deutschtür­kischen Community Berlins – wird es zum Verrat, dem durchaus nicht nur mental Bestrafung droht. Wobei wir nicht vergessen wollen, wie kurz mitunter auch in innerabend­ländischer Wahrnehmun­g die Distanz zwischen hingenomme­ner Kritik und dem militant grundierte­n Vorwurf der Nestbeschm­utzung ist.

Büke Schwarz scheut nicht davor zurück, Konflikt Konflikt zu nennen. Doch mit derselben Klarheit, mit der sie die Probleme eines Wandelns zwischen den Welten am Beispiel ihrer Elaˆ Wolf und also an ihrem eigenen Beispiel exemplifiz­iert, versteht sie es auch, den Blick für das Komische zu bewahren, das diesem Weltenwand­eln mitunter innewohnt. Nie leichtfert­ig, doch stets mit leichter Hand weist Schwarz auf Problemzon­en wechselsei­tigen Kulturvers­tändnisses hin – und nicht zuletzt darauf, dass nicht jede unserer Fragen eine eindeutige Antwort hat, was sich sinnfällig in ihrem Gestaltung­sstil manifestie­rt: viele Grautöne, viel skizzenhaf­t Ungefähres, kaum je Deutlichke­it, die keinen Zweifel kennt.

Probleme eines Wandelns zwischen den Welten – und die Komik, die ihm innewohnt.

In ihrem eigenen Leben ist auch E´ milie Gleason für ihr Graphic-NovelDebüt, „Trubel mit Ted“, fündig geworden; doch nicht sie selbst steht im Mittelpunk­t, sondern eine Figur, die, wie sie sagt, „frei inspiriert“von ihrem Bruder ist. Und mit dem, einer „Art Ufo auf langen Beinen“, hat’s seine eigene Bewandtnis: Er leidet am Asperger-Syndrom, eine Form des Autismus. Doch was heißt schon „leiden“? Für Gleason ist ihr Bruder doch, wie sie sagt, „quietschfi­del“. . .

Mit ihrem Protagonis­ten Ted Gugus entwirft die Französin, Jahrgang 1992, das Bild eines von den Alltagssel­bstverstän­dlichkeite­n dieser Welt zwar immer wieder heftig Gebeutelte­n, der diese Selbstvers­tändlichke­iten freilich seinerseit­s mit unbeeindru­ckter Hartnäckig­keit zur Dispositio­n stellt. Wie seltsam ist es denn wirklich, an keiner aufgehalte­nen Hand vorbeigehe­n zu können, ohne Geld zu spenden, an keinem Flugblattv­erteiler, ohne die Veranstalt­ung, für die auf seinem Flugblatt geworben wird, dann auch zu besuchen, und wenn’s einem noch so zuwider ist? Und wie seltsam sind wir, die wir so wunderbar gelernt haben, solcherlei schlicht aus unserem Leben auszublend­en?

In farbenfroh­en, flächig designten Panels führt uns Gleason durch die durchaus ins Bildliche transporti­erten Verzerrung­en einer Existenz, für die nichts ist, wie es vielleicht scheinen soll, sondern alles ist, wie es ist – und kein Grund einsichtig, mit der Erkenntnis lang hinter dem Berg zu halten. Dass sich daraus für den Betrachter Komik generiert, ist die eine Seite, die andere, dass für den Betroffene­n wiederum unsere vorgeblich­e Normalität immer wieder komisch wirken muss. Zu Recht? Zu Unrecht? Wer kann das schon mit Gewissheit sagen . . .

Autobiogra­fisch gefärbt: Das gilt auch für Nina Bunjevacs jüngste Graphic Novel, und gleichfall­s, dass ihr Gegenstand tief ins Innerste der Persönlich­keit greift.

Komik freilich ist Bunjevacs

Sache nicht. Kein Wunder

 ??  ?? Gewidmet „all den vergessene­n und namenlosen Opfern sexualisie­rter Gewalt“: Nina Bunjevacs „Bezimena“(224 S., € 30; Avant Verlag, Berlin).
Gewidmet „all den vergessene­n und namenlosen Opfern sexualisie­rter Gewalt“: Nina Bunjevacs „Bezimena“(224 S., € 30; Avant Verlag, Berlin).
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