Gefangen in der Gewalt einer hypno
Frau im Comic? Das ist längst nicht mehr Männersache. Graphic Novels von und über Frauen erzählen vom Culture Clash, von sexuellem Missbrauch und von einem normalen Alltag, der doch nichts weniger als normal ist: drastisch, komisch, imaginativ.
Frauen im Comic: Das war von allem Comicanfang an reine Männersache – und blieb es etliche Jahrzehnte lang. So sah die Sache bis weit in die 1960er denn auch aus: Als Gestaltende kamen Frauen quasi schon qua Geschlecht von vornherein nicht infrage, als Gestaltete mussten sie sich mit dienenden Nebenrollen zufriedengeben, respektive damit, als optischer Aufputz missbraucht zu sein. Und falls Frau von Mann doch einmal für würdig genug befunden wurde, eine tragende Figur abzugeben, dann jedenfalls entlang sattsam bekannter Männervorstellungen, will sagen, auf jenem öden Feld zwischen Sexbombe, Megäre und naivem Dummchen, das Mann auch anderweitig stets gern bestellte – und mancherorts bis heut bestellt.
Wonder Woman, Supergirl und wie sie alle hießen, so unterschiedlich ihre Superkräfte auch erdacht gewesen sein mögen, was sie über die Grenzen ihrer Produktionsheimaten hinweg, sei es Marvel, sei es DC, verlässlich einte, war, dass die Drallheit sekundärer Geschlechtsmerkmale stets das Primäre an ihren Auftritten schien, was sich mit größter Selbstverständlichkeit bis zu den Superheldinnen-Blockbustern der Gegenwart fortgesetzt hat.
Wandel mit Bret´echer. Erst im Umfeld der Achtundsechziger kündigte sich hier (wie in so vielen anderen Bereichen) eine nennenswerte Veränderung an. Namen wie Claire Brete´cher (in Frankreich), erst vergangenen Februar knapp vor ihrem 80. Geburtstag verstorben, oder Lyn Chevli und Joyce Farmer (im US-Underground) sind mit einer in jenen Tagen völlig neuen Comicsicht auf Weiblichkeit verbunden, wie sie, zumindest was den Spezialbereich der Graphic Novel betrifft, heute so gut wie Common Sense ist: Selbstbewusst, wo’s nottut, kämpferisch – und mit jenem Realitätssinn ausgestattet, aus dem allein auch das Komische wachsen kann.
Vor allem im künstlerisch Anspruchsvolleren erweist sich die internationale Comicszene heute als auffallend weiblich. Und auch der deutschsprachige Comic-Boom der jüngeren Vergangenheit hat mit der in Berlin schaffenden, aus Wien gebürtigen Ulli Lust ästhetisch wie inhaltlich eine Frau als eine seiner Leitfiguren gefunden. Prägend vor allem Lusts autobiografische Arbeiten „Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“(2009) und „Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein“(2017).
Ulli Lust als Referenz. So ist es kein Zufall, wenn ein Verlag auf dem Klappentext eines autobiografisch gefärbten Graphic-Novel-Debüts ausgerechnet Ulli Lust als Referenz bemüht: „Lebendig und mitreißend erzählt“, wird Lust auf dem Umschlag von Büke Schwarz’ so knapp wie ironisch betiteltem Band „Jein“zitiert. Und bei aller berechtigten Skepsis solchen allzu oft freundschaftlich abgenötigten Bekenntnissen gegenüber: „Lebendig und mitreißend erzählt“ist über „Jein“nicht zu viel gesagt.
Im Mittelpunkt des Geschehens: Die erdachte Nachwuchskünstlerin Elaˆ Wolf, wie Schwarz selbst Berlinerin mit türkischen Wurzeln. Die gerät während der Vorbereitungsarbeit für eine Ausstellung, ihrer ersten großen Chance auf Öffentlichkeit, zwischen die Mühlsteine unterschiedlicher kultureller Prägungen und familiärer Erwartungen: Hie das Selbstverständnis einer jungen Frau, eingebettet in die Alles-ist-möglich-Libertinage einer westlichen Künstlerszene, die ihr fallweise durchaus zu locker und zu oberflächlich scheint; da die überkommenen Maßstäbe einer repressiven Gesellschaft, die mit ihren Rollenbildern wie mit ihrem politischen Alltag, wiewohl den Kilometern nach weit entfernt, stets Gegenwart der Protagonistin bleibt.
Verrat an der Herkunft. Was ihr abendländisches Umfeld längst zum moralisch kanonisierten Bestand erhoben hat, sei es Widerstand gegen die Despotieschübe eines türkischen Präsidenten, sei es Kopfschütteln über fremde soziale Normen: Vor ihrer Herkunft – und vor der deutschtürkischen Community Berlins – wird es zum Verrat, dem durchaus nicht nur mental Bestrafung droht. Wobei wir nicht vergessen wollen, wie kurz mitunter auch in innerabendländischer Wahrnehmung die Distanz zwischen hingenommener Kritik und dem militant grundierten Vorwurf der Nestbeschmutzung ist.
Büke Schwarz scheut nicht davor zurück, Konflikt Konflikt zu nennen. Doch mit derselben Klarheit, mit der sie die Probleme eines Wandelns zwischen den Welten am Beispiel ihrer Elaˆ Wolf und also an ihrem eigenen Beispiel exemplifiziert, versteht sie es auch, den Blick für das Komische zu bewahren, das diesem Weltenwandeln mitunter innewohnt. Nie leichtfertig, doch stets mit leichter Hand weist Schwarz auf Problemzonen wechselseitigen Kulturverständnisses hin – und nicht zuletzt darauf, dass nicht jede unserer Fragen eine eindeutige Antwort hat, was sich sinnfällig in ihrem Gestaltungsstil manifestiert: viele Grautöne, viel skizzenhaft Ungefähres, kaum je Deutlichkeit, die keinen Zweifel kennt.
Probleme eines Wandelns zwischen den Welten – und die Komik, die ihm innewohnt.
In ihrem eigenen Leben ist auch E´ milie Gleason für ihr Graphic-NovelDebüt, „Trubel mit Ted“, fündig geworden; doch nicht sie selbst steht im Mittelpunkt, sondern eine Figur, die, wie sie sagt, „frei inspiriert“von ihrem Bruder ist. Und mit dem, einer „Art Ufo auf langen Beinen“, hat’s seine eigene Bewandtnis: Er leidet am Asperger-Syndrom, eine Form des Autismus. Doch was heißt schon „leiden“? Für Gleason ist ihr Bruder doch, wie sie sagt, „quietschfidel“. . .
Mit ihrem Protagonisten Ted Gugus entwirft die Französin, Jahrgang 1992, das Bild eines von den Alltagsselbstverständlichkeiten dieser Welt zwar immer wieder heftig Gebeutelten, der diese Selbstverständlichkeiten freilich seinerseits mit unbeeindruckter Hartnäckigkeit zur Disposition stellt. Wie seltsam ist es denn wirklich, an keiner aufgehaltenen Hand vorbeigehen zu können, ohne Geld zu spenden, an keinem Flugblattverteiler, ohne die Veranstaltung, für die auf seinem Flugblatt geworben wird, dann auch zu besuchen, und wenn’s einem noch so zuwider ist? Und wie seltsam sind wir, die wir so wunderbar gelernt haben, solcherlei schlicht aus unserem Leben auszublenden?
In farbenfrohen, flächig designten Panels führt uns Gleason durch die durchaus ins Bildliche transportierten Verzerrungen einer Existenz, für die nichts ist, wie es vielleicht scheinen soll, sondern alles ist, wie es ist – und kein Grund einsichtig, mit der Erkenntnis lang hinter dem Berg zu halten. Dass sich daraus für den Betrachter Komik generiert, ist die eine Seite, die andere, dass für den Betroffenen wiederum unsere vorgebliche Normalität immer wieder komisch wirken muss. Zu Recht? Zu Unrecht? Wer kann das schon mit Gewissheit sagen . . .
Autobiografisch gefärbt: Das gilt auch für Nina Bunjevacs jüngste Graphic Novel, und gleichfalls, dass ihr Gegenstand tief ins Innerste der Persönlichkeit greift.
Komik freilich ist Bunjevacs
Sache nicht. Kein Wunder