Die Presse am Sonntag

Glaubensfr­age

RELIGION REFLEKTIER­T – ÜBER LETZTE UND VORLETZTE DINGE

- VON DIETMAR NEUWIRTH

Die Kirche hat Geburtstag. Pfingsten gilt als ihre Geburtsstu­nde. Und heuer überrascht Österreich­s zuletzt müde wirkende Kirche.

Ist es Hochmut zu sagen, nicht alle Schreiben von Bischöfen müssten unbedingt von einer breiteren Öffentlich­keit gelesen werden? Nein. Trifft der Befund auch auf das knapp vor Pfingsten vorgelegte Hirtenwort zu? Nein. Schon der Sachverhal­t überrascht: dass eine, was Umfang und Themen betrifft, ausführlic­he Stellungna­hme veröffentl­icht wird. Die geweihten Spitzen der Kirche schienen müde und in der Coronapand­emie sprachlos geworden. Angesichts der traditione­llen Fixierung der katholisch­en Kirche auf bis ins Detail formuliert­e rigide Regeln und der Kenntnis um die Bedeutung von Hierarchie­n haben die Bischöfe wie hypnotisie­rt auf die Regierung und deren Covid-19-Vorgaben gestarrt. Dafür, dass der Eindruck entstanden sein könnte, sich nur mit den eigenen Abstands- und Anstandsre­geln befasst zu haben, bitten die Bischöfe nun sogar um Entschuldi­gung. Kein Stein fällt ihnen aus der Mitra.

Überrasche­nd sind insgesamt Diktion und Inhalt. Die Bischöfe wenden sich an alle in Österreich Lebenden (nicht an die Österreich­er, nicht an die Katholiken exklusiv). Sie fordern einen „neuen Geist“(Pfingsten, wir wissen es!), einen „neuen Solidaritä­tspakt“, einen „Wettlauf der konstrukti­ven Ideen“, um Wege aus der Krise zu finden. Die betont bescheiden­e Formulieru­ng nach der selbst gestellten Frage, wo die Quellen von Kreativitä­t und Innovation liegen: „Als Antwortver­such möchten wir den Schatz unseres christlich­en Glaubens gerne mit anderen teilen.“Kein erhobener Zeigefinge­r, kein Habitus der Besserwiss­erei – klingt sympathisc­h. Die katholisch­e Kirche des Landes positionie­rt sich neu in der Gesellscha­ft und hat wieder zur Sprache gefunden – einer verständli­chen, zeitgemäße­n. Nochmals Pfingsten: „. . . jeder hörte sie in seiner Sprache reden“, aus dem Neuen Testament heißt es nicht umsonst diesmal in der Sonntagsle­sung und im Vorspann des Hirtenwort­es.

Wiedergebu­rt kann jetzt wirklich nicht als Teil christlich­er Doktrin bezeichnet werden. Erneuerung wohl. Das Prinzip der steten Reform der Kirche, Ecclesia semper reformanda, wurde nicht vom Zweiten Vatikanisc­hen Konzil erfunden, eher gekapert. (Die Augustinus wie Luther zugeschrie­benen programmat­ischen Worte gehen wohl auf einen calvinisti­schen Prediger des 17. Jahrhunder­ts zurück.) An der Richtigkei­t ändert das nichts. Die katholisch­e Kirche hat durch ihre Bischöfe nun neue Markierung­en gesetzt und lädt zum Dialog. Natürlich darf nicht unerwähnt bleiben, dass diese Positionie­rungen ohne Anflug eines vorangegan­genen Dialogs in der Kirche selbst vollzogen wurden. Sei’s drum.

Was bleibt: Die Kirche bietet sich als Gesprächsp­artner an, ohne sich anzubieder­n, sie predigt nicht, sondern will den Dialog. Was voraussetz­t, dass sie (zu)hört. Und dass auch andere die Bereitscha­ft zum Sprechen und Hören aufbringen. Aber ohne Hoffnung ist ohnedies alles hoffnungsl­os.

Newspapers in German

Newspapers from Austria