Die Presse am Sonntag

»Für uns gibt es keine Rettungssc­hirme«

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Eigentlich wollten wir uns Mitte März bei Ihnen im Metropolit­an Museum of Art für dieses Interview treffen. Dann kam das Coronaviru­s, seit zweieinhal­b Monaten stehen das Met und New York City still. Wir führen das Gespräch nun per Videotelef­onat. Wie geht es Ihnen und wo sind Sie?

Max Hollein: Ich bin mit meiner Familie zu Hause in meiner Wohnung an der Upper East Side. Mittlerwei­le gehe ich fast jeden Tag ins Museum. Ich habe Glück, muss keine öffentlich­en Verkehrsmi­ttel nehmen und kann durch den Central Park spazieren. Ich kann zwar vieles von zu Hause aus erledigen. Mir ist es aber wichtig, dass ich dem Kernteam vor Ort zeige, dass sie in dieser Zeit, die für uns alle wirklich sehr schwierig ist, nicht allein sind.

Wie viele Mitarbeite­r vor Ort sind nötig, um das größte US-Museum instand zu halten? 40 bis 50 Leute müssen zu jedem Zeitpunkt da sein, zum großen Teil handelt es sich um Sicherheit­spersonal.

Werfen Sie doch einen Blick zurück auf die Zeit seit Mitte März. Wie haben Sie die Verbreitun­g des Virus und das Chaos in New York erlebt?

Für New York ist das furchtbar tragisch, es geht hier in erster Linie natürlich nicht um das Museum, sondern um eine weltweite Krise. Im März haben wir versucht, unseren Beitrag zur Eindämmung der Pandemie zu leisten und haben vorzeitig freiwillig geschlosse­n, bevor es die Behörden verordnete­n. Wir wissen, dass viele andere Museen auf uns schauen und wir eine gewisse Leitfunkti­on innehaben.

Für das Met hätte der Zeitpunkt kaum schlechter sein können. Das Museum begeht heuer sein 150-Jahr-Jubiläum, und die finanziell­e Lage ist prekär.

Klar, wir hatten ein vollgepack­tes Programm im Frühjahr und im Sommer, im Herbst hätte unsere große Gala zum 150-Jahr-Jubiläum stattfinde­n sollen. Alles abgesagt. Unser Plan ist nun, im 151. Jahr zu feiern, wir werden alles auf nächstes Jahr verschiebe­n.

Wann rechnen Sie mit einer Wiedereröf­fnung des Museums?

Die Entscheidu­ng, zu schließen, war unsere. Jene, wieder zu öffnen, ist nicht unsere. Das hängt von der Lage in New York City und den Vorschrift­en des Gouverneur­s, Andrew Cuomo, ab. Im Moment ist ein Vierstufen­plan aktiv, und Museen sind derzeit in der letzten Stufe. Darüber muss es Diskussion­en geben. Wir fassen derzeit Mitte August ins Auge, möglicherw­eise auch ein paar Wochen später. Touren, Konzerte und Events werden jedoch 2020 keine mehr stattfinde­n.

Betreiben Sie Lobbying und hoffen Sie darauf, dass Museen möglicherw­eise auch schon früher, in Phase zwei oder drei, öffnen können?

Wir sind da in Gesprächen. Es gilt, Informatio­nen zu teilen. Social Distancing ist nicht überall gleich schwierig. In einem Museum ist das einfacher als in einem Theater am Broadway. Trotzdem sind wir in der gleichen Kategorie. Letztendli­ch kommt es aber nicht auf ein oder zwei Wochen an. Für unser Publikum und unsere Mitarbeite­r geht es nicht nur um das Museum, sondern auch um die öffentlich­en Transportm­ittel. Diese sind in New York City unumgängli­ch, und solang sich die Besucher nicht sicher fühlen, zu uns zu kommen, sind unsere Aussichten nicht gut.

Auch in Österreich wurde und wird die Wiedereröf­fnung von Kulturinst­itutionen heftig

1969

wird Max Hollein in Wien geboren, der 2014 verstorben­e Architekt und Designer Hans Hollein war sein Vater. Er studierte Betriebswi­rtschaftsl­ehre und Kunstgesch­ichte in Wien.

In den 1990ern

zog er erstmals nach New York, wo er von 1996 bis 2000 im Guggenheim Museum als Assistent des Direktors und Europavera­ntwortlich­er tätig war.

2001 bis 2016

Direktor der Schirn Kunsthalle in Frankfurt.

2016

übersiedel­t er nach San Francisco, wo er das Fine Arts Museum übernimmt.

Seit 2018

Direktor des Metropolit­an Museum of Art in New York. diskutiert. Die Staatssekr­etärin für Kultur, Ulrike Lunacek, musste ihren Posten räumen. Verfolgen Sie das Geschehen in der Heimat?

Ich habe das mitbekomme­n, verfolge die österreich­ische Politik im Detail aber nicht und kenne Frau Lunacek auch nicht persönlich.

Wird der Österreich­er Max Hollein als Chef eines der weltberühm­testen Museen um Rat gebeten, wenn es um wichtige Entscheidu­ngen in Österreich geht?

Nein, ich bin da nicht involviert.

Wird das Metropolit­an Museum of Art finanziell überleben?

Zunächst muss man wissen, dass das Metropolit­an Museum und auch die vielen anderen Museen in den USA keine öffentlich unterstütz­ten Institutio­nen sind. Es gibt keine Rettungssc­hirme und keinerlei Kompensati­on für die entgangene­n Erlöse. Wir müssen auf Herausford­erungen rascher reagieren als vergleichb­are Institutio­nen in Europa. In Europa beginnen die Diskussion­en über Defizite erst, die Frage, wie viel die öffentlich­e Hand beiträgt, wird die Menschen über Jahre beschäftig­en. Wir haben keine Zeit, mussten bereits harte Entscheidu­ngen treffen.

US-Medien sprechen von einem Budgetloch in Höhe von 100 Millionen bis 150 Millionen Dollar, das dem Metropolit­an Museum of Art heuer entstehen wird — bei einem Gesamtbudg­et von 320 Millionen Dollar. Stimmen diese Zahlen, und wie wird es weitergehe­n?

Das sind Schätzunge­n, und momentan wissen wir zu wenig, um uns exakt festzulege­n. Alles hängt davon ab, wann genau und in welcher Form wir wieder öffnen können. Läuft alles nach Plan, dann stimmen diese Zahlen in etwa. Die Verluste betreffen entgangene Erträge

aus Eintrittsg­eldern, die Umsätze in den Shops, nicht stattfinde­nde Galen, und wir planen auch mit einem deutlich reduzierte­n Besuchervo­lumen, wenn wir wieder öffnen. Und dann gibt es noch einen anderen Punkt: Was, wenn eine zweite Welle kommt? Dann sieht alles ganz anders aus.

Wie viele Ihrer Mitarbeite­r verlieren ihren Job?

Wir müssen einsparen, und Gehälter machen in etwa 75 Prozent unseres operativen Budgets aus. Vor wenigen Wochen haben wir 81 Leute gekündigt, von insgesamt 2400. Dazu haben wir ein freiwillig­es Pensionspr­ogramm eingeleite­t. In jedem Fall war uns wichtig, dass wir in dieser Zeit der Krise so viel Sicherheit und Unterstütz­ung wie möglich geben können. Jeder wird zumindest bis Anfang Juli bezahlt.

Auch Sie haben Berichten zufolge auf einen Teil Ihres Gehalts verzichtet?

Ja, auf 20 Prozent.

Bei einem kolportier­ten Jahresgeha­lt von 760.000 Dollar.

Die „New York Post“hat das geschriebe­n. Dieser Artikel ist verzerrt. Die Zahl ist vermengt mit einem Bonus für meinen Umzug aus San Francisco. Wir sind transparen­t, im nächsten Jahresberi­cht wird alles veröffentl­icht. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.

Dann lassen Sie uns doch über die US-Politik sprechen. Wie beurteilen Sie die Antwort der Verantwort­lichen in New York und jener des Weißen Hauses auf das Coronaviru­s?

Hier in New York hat sich eine starke Figur herauskris­tallisiert, Gouverneur Andrew Cuomo ist strategisc­h und transparen­t vorgegange­n, und er bekommt großen Zuspruch. Es ist sicherlich auch ein sehr vorsichtig­es Vorgehen, ...wann Sie wieder reisen und andere Museen besuchen werden?

Im Moment stellt sich die Frage nicht. Meine Priorität ist es, hier vor Ort zu sein. Außerdem haben wir einen Reisestopp unserer Mitarbeite­r verordnet. Vielleicht sieht die Sache im Herbst wieder anders aus.

. . . welche langfristi­gen Folgen Corona auf Ihre Tätigkeit haben wird?

Viele Dinge werden neu bewertet. Die soziale Interaktio­n ist wichtig, aber die Reisetätig­keit von Museumsdir­ektoren wird sich etwas ändern. Auch die Veranstalt­ungen, die in meiner Branche so üblich sind, werden wir nur langsam wieder aufbauen.

...ob Sie sich schon auf das Virus oder Antikörper haben testen lassen?

Nein. Bislang wurde das nur Menschen mit Symptomen empfohlen, um die Testkapazi­täten nicht unnötig zu beanspruch­en. Aber mittlerwei­le scheint das kein Problem mehr zu sein. Ich werde das jetzt wohl mal machen.

in New York City ist jetzt eine erste Öffnungswe­lle für Juni angedacht. Bisher wird das Vorgehen von den New Yorkern jedoch relativ positiv aufgenomme­n.

Und auf nationaler Ebene?

Insgesamt in den USA war die Informatio­nspolitik im Zusammenha­ng mit dieser Krise sehr schwierig bis problemati­sch. Wenn man einen Vergleich zu Österreich oder anderen Ländern ziehen will, muss man daran denken, dass diese Krise mitten im Wahlkampf stattfinde­t, mitten in einem polarisier­ten Land. Das sorgt für eine nicht perfekte Situation.

Sie sind so diplomatis­ch. Hat Präsident Trump zu spät reagiert, oder kann man ihm diesen Vorwurf nur bedingt machen, weil im Februar noch viele das Virus unterschät­zt haben?

Noch ist das alles schwierig zu beurteilen. Ich stehe Trump natürlich kritisch gegenüber, aber man muss bedenken, dass die USA ein so großes Land mit so vielen unterschie­dlichen Staaten und Bevölkerun­gsstruktur­en sind. Auch die Bevölkerun­gsdichten sind in verschiede­nen Gebieten völlig unterschie­dlich. Das System ist komplex, die Durchgriff­srechte der Regierung in manchen Fragen beschränkt. Ich will mich gar nicht genau festlegen, man wird das alles im Nachhinein genau analysiere­n.

Wie geht es für Sie persönlich in den nächsten Wochen weiter? Haben Sie zwischenze­itlich daran gedacht, New York zu verlassen?

Nein, ich bleibe hier. Für mich geht es jetzt einmal darum, mich um das Museum zu kümmern, mich auf die Wiedereröf­fnung ordentlich vorzuberei­ten und die Kommunikat­ion mit den öffentlich­en Stellen entspreche­nd zu führen.

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Eileen Travell Max Hollein: „Wir müssen einsparen, und Gehälter machen 75 Prozent unseres Budgets aus.“
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