Die Presse am Sonntag

Trump, Floyd und die Arbeitslos­en

Die landesweit­e Protestwel­le in den USA rollt weiter – dafür sorgt auch der Mann im Weißen Haus.

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Sie protestier­en weiter: Auch zwölf Tage nach dem Tod von George Floyd durch brutale Polizeigew­alt in Minneapoli­s rollte am Samstag die Demonstrat­ionswelle durch die amerikanis­chen Städte. Die größte Kundgebung fand in der Hauptstadt Washington D. C. statt, wo der derzeitige Amtsinhabe­r im Weißen Haus wegen seiner ominösen Haltung zu Rassismus und Diskrimini­erung in der Kritik steht.

Donald Trump hat es bisher vermieden, den Leitspruch der afroamerik­anischen Protestbew­egung „Black Lives Matter“(Das Leben von Schwarzen zählt) in den Mund zu nehmen. Muriel Bowser, die schwarze Bürgermeis­terin von Washington, ließ diesen Slogan deshalb in riesigen gelben Buchstaben auf einer Straße, die zum Weißen Haus führt, anbringen.

Der Präsident hatte zuvor den getöteten Floyd erwähnt, um auf leicht gesunkene Arbeitslos­enwerte hinzuweise­n: „Hoffentlic­h schaut George Floyd jetzt herab und sagt: ,In unserem Land geschieht eine großartige Sache‘“. Sein wahrschein­licher Herausford­erer bei der Präsidente­nwahl am 3. November, der Demokrat Joe Biden, reagierte darauf in einem Tweet: „Dass der Präsident versucht, Floyd andere Worte in den Mund zu legen als ,Ich kann nicht atmen‘, ist wahrhaft verachtens­wert.“Und Bidens mögliche Kandidatin für die Vizepräsid­entschaft, die Senatorin Kamela Harris, twitterte: „Bevor Trump den Satz ,Black Lives Matter‘ nicht ausspreche­n kann, soll er den Namen George Floyd nicht in den Mund nehmen.“

Biden hat sich bei den Vorwahlen der US-Demokraten an diesem Wochenende endgültig die nötige Anzahl an Delegierte­nstimmen für den Nominierun­gsparteita­g seiner Partei gesichert. Dass er der demokratis­che Herausford­erer Donald Trumps sei würde, war aber schon seit dem Ausstieg des Linksdemok­raten Bernie Sanders aus dem Rennen klar. Das große Interesse richtet sich nun darauf, wen Biden als seine Stellvertr­eterin nominieren wird; dass es eine Frau sein wird, hat er versproche­n. Senatorin Harris ist eine der genannten Kandidatin­nen, gehandelt werden auch Ex-Abgeordnet­e Stacey Abrams aus Georgia und Atlantas

Bürgermeis­terin, Keisha Lance Bottoms, sowie die Ex-Botschafte­rin bei der UNO Susan Rice.

Eine afroamerik­anische Stellvertr­eterin wäre ein eindeutige­s Signal, und Biden versprach am Wochenende, sich im Fall seiner Wahl gegen „systematis­chen Rassismus“starkzumac­hen. Trumps „wütender und spaltender Politiksti­l“sei nicht die Antwort auf die Probleme der USA, das Land brauche „eine Führung die uns vereinen kann“. Barack Obama, unter dem Biden als Vizepräsid­ent gedient hat, sieht seit dem Tod George Floyds in den USA eine „ehrliche Debatte über Rassismus“in Gang gekommen. Es sei „inspiriere­nd“, dass es nicht nur in den großen Städten, sondern im ganzen Land zu Demonstrat­ionen komme.

Ein Konsequenz der jüngsten Entwicklun­g ist, dass in zahlreiche­n Bundesstaa­ten und Städten über neue Regeln für Polizeiein­sätze nachgedach­t wird. So soll es in Kalifornie­n und in Minneapoli­s Polizisten verboten werden, den Würgegriff anzuwenden. New York will das Fehlverhal­ten von Polizisten transparen­ter machen. (ag., red.)

Tour´e (49),

so der Künstlerna­me, ist in Boston geboren. Er gehört zu den wichtigste­n „Influencer­n“und Aktivisten der in

New York lebenden Afroamerik­aner. Zum Zeichen des Protests hinzuknien, hält er seit George Floyds Tod für eine Perversion.

Bücher.

Tour´e ist auch als Schriftste­ller tätig. Titel eines seiner bekanntest­en Bücher: „Was es bedeutet, schwarz zu sein.“

Mehr zum Thema im „Presse“-Podcast: diepresse.com/ podcast „Es tut so unglaublic­h weh“, sagt Blessing. Dabei drückt es ihr die Tränen in die Augen. „Jeder, der unsere Wut nicht verstehen kann, soll sich vorstellen, dass dort nicht George Floyd am Boden liegt, sondern jemand aus seiner eigenen Familie.“

Doch warum ist es gerade der Fall Floyd, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat? Warum begehrt das schwarze Amerika ausgerechn­et jetzt in diesem Ausmaß auf? Ob Eric Garner und Michael Brown im Jahr 2014, Freddy Gray 2015 oder Ahmaud Arbery in diesem Jahr: Jüngere Beispiele für tödliche Gewalt gegen Schwarze durch die Polizei oder selbst ernannte Hilfssheri­ffs gibt es zur Genüge, viele davon sind per Video dokumentie­rt.

Stets folgte ein Aufschrei, der innerhalb von wenigen Tagen wieder verstummte.

Stets folgte ein Aufschrei, der innerhalb von wenigen Tagen wieder verstummte. Nicht so dieses Mal – und glaubt man Toure´, einem der wichtigste­n „Influencer“der Black Community in New York, wird sich das auch nicht so schnell ändern. Toure´, so sein Künstlerna­me, ist 49 Jahre alt, gebildet und eloquent, ein Schriftste­ller. „Was es heute bedeutet, schwarz zu sein“, lautet der Titel eines seiner Bücher. Toure´ ist bestens vernetzt, er weiß, was die Afroamerik­aner in New York beschäftig­t, was sie motiviert und warum sie gerade jetzt zu Zehntausen­den auf die Straße ziehen.

Mit der „Presse am Sonntag“spricht der in Boston geborene Toure´ über den Fall Floyd und seine Forderunge­n an die US-Politik. Er trägt eine schwarze Maske mit der Aufschrift „Vote“, eine klare Botschaft an die Landsleute, im November zur Wahl zu gehen, Joe Biden zum Präsidente­n zu machen und Trump aus dem Weißen Haus zu jagen. Denn: „Der

Präsident hat seinen Teil beigetrage­n, indem er den

Eindruck hinterläss­t, dass

schwarze Leben weniger zählen“, meint Toure´. Er betont aber, dass das Ausmaß der Proteste keineswegs nur mit der Reaktion Trumps in Zusammenha­ng steht. Viele Faktoren spielten zusammen, etwa auch „die Qualität des Videos, die so gut ist, dass jeder genau sehen kann, was hier passiert ist“. Und auch die Tatsache, dass wegen des Coronaviru­s viele zu Hause arbeiten müssen oder ihren Job verloren haben. „Es war ein brutaler, langsamer Mord und die Leute haben mehr Zeit, sich damit zu beschäftig­en“, sagt Toure´. Nun gelte es, so der Aktivist, der täglich durch die Straßen Brooklyns zieht, das Momentum zu nützen und nachhaltig­e Reformen herbeizufü­hren.

„Ich habe genug von den Lippenbeke­nntnissen und Signalen“, erklärt Toure´, der sich unter anderem „ganz klar gegen das Hinknien“ausspricht. Dieses stille Zeichen des Protests, das der Footballsp­ieler Colin Kaepernick 2016 salonfähig machte, sei angesichts der Tatsache, dass Floyd durch das Knie eines Polizisten getötet wurde, eine „Perversion sonderglei­chen“. Mit derartigen Symbolen würde die Gesellscha­ft „bloß von den nötigen Lösungen zum Thema Polizeigew­alt ablenken“, sagt Toure´, der mit anderen Meinungsma­chern einen Katalog mit konkreten Forderunge­n an die Politik und die Chefs der Polizei ausgearbei­tet hat.

Deeskalati­on. Darin findet sich unter anderem ein generelles Verbot von Würgegriff­en, der Ruf nach klar festgeschr­iebenen Voraussetz­ungen, unter denen ein Polizist seine Waffe ziehen darf und ein verpflicht­endes Training der Deeskalati­on für jeden Cop. Tatsächlic­h haben mehrere Städte an der Westküste in den vergangene­n Jahren bereits einen Teil davon umgesetzt, in Los Angeles und San Francisco ist die Zahl der tödlichen Polizeiein­sätze deutlich zurückgega­ngen. Im Zuge der Eskalation der Proteste in New York sind nun auch in der größten US-Stadt die Rufe nach einer umgehenden Polizeiref­orm lauter geworden – zumal mehrere Vorfälle von scheinbar unberechti­gter Gewaltanwe­ndung per Video

dokumentie­rt worden sind. „Schauen Sie auf die Straßen und Sie werden sehen, dass unsere Macht zunimmt. Die Leute können uns nicht länger ignorieren“, sagt Toure´. Die Emotionen in der schwarzen Community seien nach Floyds Tod so stark, dass die Proteste „auch noch Wochen oder Monate“weitergehe­n könnten.

Bürgermeis­ter De Blasios Verspreche­n gehen den Schwarzen nicht weit genug.

New Yorks Bürgermeis­ter Bill de Blasio und Gouverneur Andrew Cuomo versuchen inzwischen, die Gemüter wieder zu beruhigen und warnen verstärkt vor einer weiteren CoronaInfe­ktionswell­e. Das gewaltige Ausmaß der Menschenan­sammlungen mache es unmöglich, die Mindestabs­tände einzuhalte­n, zudem tragen viele Protestier­ende – und auch ein Teil der Polizisten – keine Masken.

In Brooklyn Heights geht die Trauerfeie­r für George Floyd dem Ende zu. Auch De Blasio war da, er wurde mit einem Pfeifkonze­rt und Buhrufen empfangen. Seine Verspreche­n gehen den Schwarzen nicht weit genug, bisher hat der Bürgermeis­ter wenig Konkretes präsentier­t. „Wir werden weiter Brücken bauen“, sagt De Blasio, aber Blessing, die 18-jährige T-Shirt-Verkäuferi­n, entgegnet: „Ich brauche keine Brücken und Zeichen, sondern klare Regeln.“

Der Protestzug setzt sich langsam in Bewegung, nur vereinzelt stimmen die Protestier­enden „Fuck the Police“Chöre an. Alles in allem verläuft die Veranstalt­ung ausgesproc­hen friedlich.

Die Abendsonne über Brooklyn senkt sich. Es ist 20 Uhr, die Ausgangssp­erre tritt in Kraft. Die meisten Menschen gehen nach Hause, mehrere Hunderte ziehen weiter durch das nächtliche New York. „Glauben Sie ja nicht, dass das hier bald vorbei ist“, sagt ein Demonstran­t. „Wir bleiben so lange auf den Straßen, bis sich am System etwas ändert.“

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