Unfriendly Fire unter Korruptionsjägern
Über die Ibzia-Ermittler gab es seitens der Justiz einige Beschwerden. Aber auch sie sind mit den Korruptionsstaatsanwälten unzufrieden, wie ein Bericht zeigt. Da sind sie nicht die Einzigen. Justizintern gibt es Zerwürfnisse.
Justizministerin Alma Zadic´ (Grüne) ist ein charismatischer Mensch mit hoher sozialer Intelligenz und diplomatischem Verhandlungsgeschick. Gute Voraussetzungen, um zu schaffen, woran zwei Minister vor ihr scheiterten: die justizinternen Auseinandersetzungen rund um die Korruptionsstaatsanwaltschaft zu kalmieren. Bisher blieb aber auch sie erfolglos. Am Freitag bescherten die Streitereien zwischen den Korruptionsjägern und der Exekutive der Justizministerin und ÖVP-Innenminister Karl Nehammer sogar eine Spontanladung in den U-Ausschuss. Warum das Hickhack?
Es eskalierte, als es eigentlich Grund zum Feiern gab: Die Soko Tape hatte nach langen Ermittlungen das sogenannte Ibiza-Video Ende April sichergestellt und die Staatsanwaltschaft Wien, die die Hausdurchsuchung angeordnet hatte, davon unterrichtet. Danach arbeiteten die Beamten weiter im Protokoll: Das zwölfstündige Videorohmaterial mit verschiedenen Tonspuren musste technisch nachbearbeitet werden. Fremdsprachige Passagen per zertifiziertem Übersetzer eingedeutscht werden. Jedes Wort, jeder Räusperer muss verschriftlicht werden – und das in der Corona-Hochphase. Es nahm also etwas mehr Zeit in Anspruch als üblich. Ist das erledigt, kommen Video und Abschrift zum Akt. Soweit der normale Vorgang.
Neben der Staatsanwaltschaft Wien hatte aber auch die Wirtschaftsund Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) vor mehreren Monaten die Sicherstellung des Videos angeordnet. Dort fühlte man sich auf den Schlips getreten, nicht sofort vom Videofund unterrichtet worden zu sein, sondern erst aus den Medien Ende Mai davon erfahren zu haben. Das Bundeskriminalamt lud zu Hintergrundgesprächen, machte eine Aussendung. Die Soko argumentiert, man sei davon ausgegangen sei, dass die Information justizintern ihren Weg finden würde.
Was diese Posse zeigt: Die Zusammenarbeit hakt sowohl zwischen den Staatsanwaltschaften als auch mit der Exekutive. Und das nicht erst seit dem Videofund. Die Fronten sind verhärtet, der aktuelle Streit reiht sich in eine lange Liste an Vorwürfen, die die WKStA an die Soko richtet. Das ergibt sich aus den Akten, die der „Presse am Sonntag“vorliegen.
Vertrauensverlust. Liest man etwa das Tagebuch der Korruptionsstaatsanwälte, sieht man, wie sehr sie das Tun der Soko beschäftigt. Nämlich offenbar zum Teil mehr als der Ermittlungsgegenstand selbst. Die Ermittler ihrerseits haben ähnliche Dokumente angefertigt und sind vom Vorgehen der Justiz brüskiert.
Da begann die WKStA etwa, selbst Ermittlungen zu Ermittlern zu starten, holte Hintergrundinformationen über ihr Privatleben ein. Man vermutete, dass manche Soko-Mitarbeiter ÖVPMitglieder sein könnten – und somit eine mögliche Befangenheit vorliegen könnte. Es wurde mehrfach danach gefragt – und das, obwohl Soko-Leiter Andreas Holzer in einer Sitzung zu Protokoll gab, dass es in seiner Einheit keine ÖVP-Mitglieder gebe. Es eskalierte so weit, dass die WKStA zu ExJustizminister Clemens Jabloner zitiert wurde. Jabloner wies die Behörde an, künftig Nachforschungen zu den Ermittlern zu unterlassen. Der Ex-Präsident des Verwaltungsgerichtshofs erteilte die Weisung, dass eine Parteimitgliedschaft noch keine Befangenheit begründen würde. Diese zu beurteilen obliege dem Innenministerium.
Die Stimmung zwischen den Behörden wurde aber auch nach diesen klärenden Worten nicht besser. Da kritisierte die WKStA, dass Daten entgegen Anordnungen eingesehen wurden. Ein Missverständnis, wie sich aufklären ließ. Man hat geprüft, ob sie „lesbar“seien – ein Terminus technicus.
Die WKStA war erstaunt, aus den Medien von der Existenz des Videos erfahren zu haben.
Die gerichtlich angeordnete Hausdurchsuchung bei Strache wurde gebremst.
In E-Mails wird in den Raum gestellt, dass die Soko Beweismittel habe verschwinden lassen, weil nach Kopie Handys oder Laptops wieder zurückgegeben wurden. Die Soko ihrerseits sagt, niemand habe jemals ohne Rücksprache etwas zurückgegeben, und das sei dokumentiert.
Und dann ist die WKStA offenbar noch der Meinung, dass das technische Know-how des Bundeskriminalamts enden wollend sei. In einer weiteren Malversation geht es um die Sicherstellung von Chats. Die Korruptionsjäger wollen, dass man diese abfotografiert. Das Bundeskriminalamt insistiert darauf, dass dies nicht forensischen Standards entspräche.
Gebremste Hausdurchsuchung. Aber auch die Soko hat Beschwerden zur Arbeitsweise der WKStA, wie ein Bericht des Leiters, Andreas Holzer, vom Dezember 2019 zeigt. Dort wird die Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft Wien gelobt und die mit der WKStA als „klar verbesserungswürdig“tituliert. Zum Beispiel in der sogenannten Schredderaffäre: Da wird der Soko vorgeworfen, in der ÖVP-Parteizentrale absichtlich nicht genug sichergestellt zu haben, um die ÖVP zu schonen. Die Ermittler wehren sich gegen den Vorwurf. Es wird festgehalten, dass die Staatsanwaltschaft explizit eine freiwillige Nachschau und keine Hausdurchsuchung wollte. Und dass es auch auf Rücksprache keine Anordnung gab, Mobiltelefone oder Ähnliches sicherzustellen. Sämtliche Ermittlungsschritte seien in Absprache und auf Anordnung passiert. Weiters stößt den Ermittlern auf, dass Sachverhalte rund um die Schredderaffäre einer Wiener Stadtzeitung bekannt gewesen sein sollen, bevor die Soko davon unterrichtet wurde.
Auch bei den Ermittlungen rund um die Casinos Austria gibt es Differenzen. Die Soko hatte mehrere Hausdurchsuchungen beantragt, sie wurden gerichtlich bewilligt – und von der WKStA blockiert. Sie wollte eine Besprechung abwarten, die aber erst zehn Tage nach der gerichtlichen Anordnung hätte stattfinden sollen. Die WKStA wollte über eine eingeschränkte Hausdurchsuchung bei Ex-FPÖChef Heinz-Christian Strache, CasinosVorstand Peter Sidlo und dem FPÖ-Bildungsinstitut verhandeln. Die Soko befand das als nicht zielführend. Es wird weiters moniert, dass die WKStA ohne Rücksprache oder Information eigene Ermittlungsschritte gesetzt und Ergebnisse selbst ausgewertet hatte.
Und dann beschwert sich Holzer auch, dass benötigte und versprochene Berichte der WKStA mehrfach nicht oder erst sehr spät angeliefert und Ermittlungen somit verzögert wurden. Er weist dazu darauf hin, dass es während des Wahlkampfs 2019 zu einer massiven medialen Berichterstattung gegen die Ermittler gekommen sei. Gleichzeitig sei die Einrichtung einer Justizpolizei gefordert worden. Eine solche Umstrukturierung möchte die Korruptionsstaatsanwaltschaft schon länger – es gab auch bereits zarte Versuche, Derartiges ohne viel Aufsehen umzusetzen. So wurden im BVT-Verfahren auch Ermittler der Staatsanwaltschaft zugeordnet. Weil das rechtlich so aber nicht haltbar war, zog Innenminister Wolfgang Peschorn diese wieder ab.
Der Streit mit der Soko, der Wunsch nach einer eigenen Polizei und das Vorgehen in der BVT-Affäre dokumentieren das tiefe Misstrauen der WKStA gegen die Polizei. Worin das genau begründet ist, ist unklar, denn die vielen Anschuldigungen in der BVT-Causa gegen Exekutivbeamte konnten sich bisher nicht erhärten. Was bleibt, sind eine Staatsaffäre und hohe Kosten. Für den Steuerzahler, aber auch für die ehemals beschuldigten Beamten, die sich für ihre Anwälte teilweise hoch verschulden mussten.
Manche dieser Ermittlungen wurden erst nach Zweitbeurteilung von Ober- und Aufsichtsbehörden eingestellt. Auch sie sind der WKStA ein Dorn im Auge, die mittlerweile justizinterne Sträuße auf allen Ebenen ausficht. Es gab Anzeigen gegen die Oberstaatsanwaltschaft Wien. Auseinandersetzungen mit der Staatsanwaltschaft Wien – und mit Reibebaum Christian Pilnacek, ehemaliger Generalsekretär und Sektionschef, der auf Druck abmontiert wurde. Er gab der WKStA mehrfach – manchmal durchaus ungehalten – zu verstehen, dass er mit der Arbeit und der Effizienz nicht einverstanden sei. Denn tatsächlich führt die zweitgrößte Behörde Österreichs sehr lange Verfahren, die oft in wenig münden. Das ist nur zum Teil der Komplexität der Sachverhalte geschuldet.
Die Anliegen der Korruptionsjäger werden von der Opposition unterstützt.
Die WKStA kämpft also unter dem Banner der Unabhängigkeit für eine Staatsanwaltschaft, die ein in sich geschlossenes System sein soll: ohne Ermittler von außen, ohne Oberbehörden. Mit diesem Anliegen hat sie sich auf das politische Spielfeld begeben, das sich seit dem BVT-U-Ausschuss auf die zweite und dritte Beamtenebene verlagert hat.
Die Opposition unterstützt die Korruptionsjäger – wohl auch, um zu zeigen, dass das System der bisher fast immer von der ÖVP eingesetzten Justizminister nicht richtig war. Mit dem Sturz von Pilnacek wurde ein erster Sieg errungen. Seine Sektion wird in zwei geteilt. Es gilt als wahrscheinlich, dass sich WKStA-Leiterin Ilse-Maria Vrabl-Sanda bewirbt. Doch Zadic´ würde sich damit noch mehr Unruhe ins Haus holen. Vrabl-Sanda ist umstritten. Auch in ihrer eigenen Behörde.