Die Presse am Sonntag

Richtiger Umgang mit Medien ist Teil moderner Erziehung

Psychother­apeut und Erziehungs­berater Matthias Herzog virtuelle Welt für Kinder zur realen Gefahr werden kann. erklärt, warum die

- VON ANNA GABRIEL

Während der Coronakris­e sind viele Eltern zu Hause an ihre Grenzen gestoßen, weil sie nicht wussten, wie sie ihre Kinder beschäftig­en sollen. Ist es in Ordnung, den Kleinen in einer Stresssitu­ation ein Tablet in die Hand zu drücken?

Matthias Herzog: Das ist keine gute Idee. Bis zum Volksschul­alter sollten Kinder interaktiv­e Medien, Spiele und Internet nur gemeinsam mit einem Erwachsene­n erkunden, denn virtuelle Welten sind ja nicht real. Die Kinder tauchen dann immer mehr in diese Welt ein, und das in einem Alter, in dem sie nicht wirklich etwas damit anfangen können, wenn ihre Bezugspers­on fehlt. Etwas anderes ist es, wenn sich das Kind im Fernsehen eine bereits bekannte Serie anschaut, weil der unsichere Rahmen der virtuellen Welt gebrochen ist. Dann sammelt das Kind gewohnte Erfahrunge­n und kann das im besten Fall danach einem Elternteil erzählen. In der virtuellen Welt aber beginnt das Kind, Bedürfniss­e, die eigentlich in die reale Welt gehören, zu befriedige­n. Spielerisc­he Auseinande­rsetzung, Freundscha­ften, Abwechslun­g oder Geborgenhe­it sollten aber in der realen Welt stattfinde­n. Die virtuelle Welt sollte möglichst mit realen Beziehunge­n angereiche­rt werden, das heißt, es soll ein Austausch mit einem Erwachsene­n darüber stattfinde­n, damit keine künstliche Parallelwe­lt entstehen kann.

Sollten Medienzeit­en einer strengen Zeiteinhei­t unterliege­n?

Medienkons­um sollte strukturie­rt sein. Je kleiner die Kinder sind, desto kürzer sollten die Phasen sein. Eine kurze Phase für Vorschulki­nder wären 20 Minuten. Ab dem Volksschul­alter kann man raufgehen bis zu einer Stunde. Es ist aber besser, die Phasen zu unterbrech­en, als in einem Stück durchschau­en zu lassen. Wenn ich also weiß, ich muss an einem Tag zwei Stunden etwas arbeiten und kann das Kind in dieser Zeit nicht beschäftig­en, sollte die Medienzeit je nach Alter des Kindes gesplittet werden.

Kleine Kinder verstehen oft nicht, wenn der Fernseher nach einer bestimmten Zeit abgedreht wird, sie wehren sich durch Toben und Schreien. Wie steuert man als Elternteil dagegen?

Durch Ablenkung – und die Idee, dass man vom frühesten Alter an beginnt, reale und virtuelle Welt zu unterschei­den und in das Erziehungs­konzept einzubauen. Bei kleinen Kindern sollte immer ein konkretes Konzept da sein: die spielerisc­he Auseinande­rsetzung, das Angebot einer Alternativ­e. Das Kind lernt dann zwei Schemata: die virtuelle und die reale Struktur. Mediennutz­ung ist immer ein Teilbereic­h der Erziehungs­aufgaben einer modernen Familie. Und Erziehung hat auch immer etwas mit Struktur zu tun. Man muss sich das als Kontinuum vorstellen, denn es soll ja nicht so sein, dass man strikt und autoritär bestimmte Dinge durchzieht, sondern dass man sich für die Erziehung ein bestimmtes Ziel setzt und situativ anpasst. Auf die Mediennutz­ung herunterge­brochen heißt das: Es passiert nichts, wenn das Kind an einem Tag etwas länger schauen darf als sonst. Aber prinzipiel­l sollte klar sein, dass es eine Struktur gibt.

Eltern lassen ihre Kleinen meist besonders gern am Abend fernschaue­n, wenn sie selbst vom Tag erschöpft sind und sich ausruhen wollen. Schadet der Medienkons­um dem Einschlafp­rozess?

Auch hier kommt es sehr stark auf das Alter an. Bis zum Schulalter sollte man vom Medienkons­um vor dem Schlafenge­hen

Matthias Herzog

ist systemisch­er Psychother­apeut in Wien.

Eltern-Kind-Beratung

Er war unter anderem 15 Jahre beim psychologi­schen Dienst der Stadt Wien zur Beratungst­ätigkeit in Eltern-Kind-Zentren und zur Beratung von Mitarbeite­rn von Wohngemein­schaften beschäftig­t.

aber jedenfalls Abstand nehmen, weil das für das für das neuronale System anregend ist und es anschließe­nd für das Kind schwierige­r ist, in eine Ruhephase zu finden. Geschickte­r ist es, dem Kind Routinen vorzuleben, gemeinsam ein Buch zu lesen oder vielleicht noch etwas zu zeichnen. Je nachdem, was das Kind eben gern macht, um ruhiger zu werden.

Wie problemati­sch ist es, wenn Kinder im Schulalter jederzeit Zugriff auf Smartphone, Laptop etc. haben und sich damit bei Langeweile ganz leicht ablenken können? Schadet das der Kreativitä­t?

Die Struktur der virtuellen Welt wirkt lebendig, ist aber im Grunde tot. Diese Welt ist nicht echt und damit von den Anforderun­gen gänzlich anders orientiert. Zudem ist sie – verglichen mit einer sozialen Interaktio­n – sicherer und risikoärme­r, vor allem für kleine Menschen. Wenn Kinder beginnen, ihre psychische­n Strukturen in die virtuelle Welt hineinzuve­rlagern, dann bauen sie für die realen Bedingunge­n eine falsche Struktur auf, die sie dort oftmals nicht erfolgreic­h verwenden können. Ein wesentlich­er Teil der menschlich­en Entwicklun­g ist aber das soziale Lernen. Wenn ein Kind also viele Erfahrunge­n in der virtuellen Welt sammelt, diese aber unter Gleichaltr­igen nicht anwenden kann, weil andere das nicht passend finden, dann entstehen Dysfunktio­nen. Auf der Verhaltens­ebene spricht man dann schon von einer psychische­n Störung. Und es ist eine unmittelba­re Erfahrung aus der Praxis, dass viele Kinder in psychologi­scher Betreuung eine hohe Mediennutz­ung haben. Viele Störungsbi­lder sind damit verbunden.

Aber wie gehe ich dann als Elternteil damit um, wenn mein Kind schon im Volksschul­alter ein eigenes Smartphone will, weil viele Mitschüler auch schon eines haben?

Die Empfehlung lautet, dass Kinder erst ab dem zehnten oder elften Lebensjahr ein Smartphone haben sollten. In der Volksschul­zeit ist ein erstes Probieren mit der virtuellen Welt zwar schon allein möglich, aber ohne ein eigenes Handy zu besitzen. Eltern sollten außerdem immer wissen, was Kinder im Netz machen. Im Idealfall hat sich eine Beziehung aufgebaut, sodass Kinder über ihre Erfahrunge­n im Netz selbstvers­tändlich erzählen.

Sobald Kinder schließlic­h doch ein Smartphone haben, ist Kontrolle nur mehr eingeschrä­nkt möglich. Wie kann man ein Kind davor schützen, sich völlig in der virtuellen Welt zu verlieren?

Durch Medienerzi­ehung. Je früher diese passiert, desto unwahrsche­inlicher ist es, dass Kinder ab einem gewissen Alter in die virtuelle Welt abtauchen. Kinder und Jugendlich­e sollten im Gegenteil ganz selbstvers­tändlich davon erzählen. Das gelingt auch meist, es ist Teil einer Erziehung, die von klein auf begonnen werden sollte. Deswegen sollte man Medien nicht tabuisiere­n, weil dann tendieren Kinder eher dazu, etwas zu verstecken. Ab dem zwölften Lebensjahr etwa gibt es sehr unterschie­dliche Lebensläuf­e bei Jugendlich­en, sodass eine einheitlic­he Antwort zum Umgang mit dem Smartphone eher schwierig ist. Mit etwa 14 Jahren kann man den Umgang im Großen und Ganzen dem Kind überlassen, ein Einwirken wird dann ohnehin schwierige­r. Aber auch hier gilt es zu beachten, dass die Entwicklun­g eines jungen Menschen etwas sehr Individuel­les ist. Darauf sollte man das Verhalten als Elternteil stets abstimmen.

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