Richtiger Umgang mit Medien ist Teil moderner Erziehung
Psychotherapeut und Erziehungsberater Matthias Herzog virtuelle Welt für Kinder zur realen Gefahr werden kann. erklärt, warum die
Während der Coronakrise sind viele Eltern zu Hause an ihre Grenzen gestoßen, weil sie nicht wussten, wie sie ihre Kinder beschäftigen sollen. Ist es in Ordnung, den Kleinen in einer Stresssituation ein Tablet in die Hand zu drücken?
Matthias Herzog: Das ist keine gute Idee. Bis zum Volksschulalter sollten Kinder interaktive Medien, Spiele und Internet nur gemeinsam mit einem Erwachsenen erkunden, denn virtuelle Welten sind ja nicht real. Die Kinder tauchen dann immer mehr in diese Welt ein, und das in einem Alter, in dem sie nicht wirklich etwas damit anfangen können, wenn ihre Bezugsperson fehlt. Etwas anderes ist es, wenn sich das Kind im Fernsehen eine bereits bekannte Serie anschaut, weil der unsichere Rahmen der virtuellen Welt gebrochen ist. Dann sammelt das Kind gewohnte Erfahrungen und kann das im besten Fall danach einem Elternteil erzählen. In der virtuellen Welt aber beginnt das Kind, Bedürfnisse, die eigentlich in die reale Welt gehören, zu befriedigen. Spielerische Auseinandersetzung, Freundschaften, Abwechslung oder Geborgenheit sollten aber in der realen Welt stattfinden. Die virtuelle Welt sollte möglichst mit realen Beziehungen angereichert werden, das heißt, es soll ein Austausch mit einem Erwachsenen darüber stattfinden, damit keine künstliche Parallelwelt entstehen kann.
Sollten Medienzeiten einer strengen Zeiteinheit unterliegen?
Medienkonsum sollte strukturiert sein. Je kleiner die Kinder sind, desto kürzer sollten die Phasen sein. Eine kurze Phase für Vorschulkinder wären 20 Minuten. Ab dem Volksschulalter kann man raufgehen bis zu einer Stunde. Es ist aber besser, die Phasen zu unterbrechen, als in einem Stück durchschauen zu lassen. Wenn ich also weiß, ich muss an einem Tag zwei Stunden etwas arbeiten und kann das Kind in dieser Zeit nicht beschäftigen, sollte die Medienzeit je nach Alter des Kindes gesplittet werden.
Kleine Kinder verstehen oft nicht, wenn der Fernseher nach einer bestimmten Zeit abgedreht wird, sie wehren sich durch Toben und Schreien. Wie steuert man als Elternteil dagegen?
Durch Ablenkung – und die Idee, dass man vom frühesten Alter an beginnt, reale und virtuelle Welt zu unterscheiden und in das Erziehungskonzept einzubauen. Bei kleinen Kindern sollte immer ein konkretes Konzept da sein: die spielerische Auseinandersetzung, das Angebot einer Alternative. Das Kind lernt dann zwei Schemata: die virtuelle und die reale Struktur. Mediennutzung ist immer ein Teilbereich der Erziehungsaufgaben einer modernen Familie. Und Erziehung hat auch immer etwas mit Struktur zu tun. Man muss sich das als Kontinuum vorstellen, denn es soll ja nicht so sein, dass man strikt und autoritär bestimmte Dinge durchzieht, sondern dass man sich für die Erziehung ein bestimmtes Ziel setzt und situativ anpasst. Auf die Mediennutzung heruntergebrochen heißt das: Es passiert nichts, wenn das Kind an einem Tag etwas länger schauen darf als sonst. Aber prinzipiell sollte klar sein, dass es eine Struktur gibt.
Eltern lassen ihre Kleinen meist besonders gern am Abend fernschauen, wenn sie selbst vom Tag erschöpft sind und sich ausruhen wollen. Schadet der Medienkonsum dem Einschlafprozess?
Auch hier kommt es sehr stark auf das Alter an. Bis zum Schulalter sollte man vom Medienkonsum vor dem Schlafengehen
Matthias Herzog
ist systemischer Psychotherapeut in Wien.
Eltern-Kind-Beratung
Er war unter anderem 15 Jahre beim psychologischen Dienst der Stadt Wien zur Beratungstätigkeit in Eltern-Kind-Zentren und zur Beratung von Mitarbeitern von Wohngemeinschaften beschäftigt.
aber jedenfalls Abstand nehmen, weil das für das für das neuronale System anregend ist und es anschließend für das Kind schwieriger ist, in eine Ruhephase zu finden. Geschickter ist es, dem Kind Routinen vorzuleben, gemeinsam ein Buch zu lesen oder vielleicht noch etwas zu zeichnen. Je nachdem, was das Kind eben gern macht, um ruhiger zu werden.
Wie problematisch ist es, wenn Kinder im Schulalter jederzeit Zugriff auf Smartphone, Laptop etc. haben und sich damit bei Langeweile ganz leicht ablenken können? Schadet das der Kreativität?
Die Struktur der virtuellen Welt wirkt lebendig, ist aber im Grunde tot. Diese Welt ist nicht echt und damit von den Anforderungen gänzlich anders orientiert. Zudem ist sie – verglichen mit einer sozialen Interaktion – sicherer und risikoärmer, vor allem für kleine Menschen. Wenn Kinder beginnen, ihre psychischen Strukturen in die virtuelle Welt hineinzuverlagern, dann bauen sie für die realen Bedingungen eine falsche Struktur auf, die sie dort oftmals nicht erfolgreich verwenden können. Ein wesentlicher Teil der menschlichen Entwicklung ist aber das soziale Lernen. Wenn ein Kind also viele Erfahrungen in der virtuellen Welt sammelt, diese aber unter Gleichaltrigen nicht anwenden kann, weil andere das nicht passend finden, dann entstehen Dysfunktionen. Auf der Verhaltensebene spricht man dann schon von einer psychischen Störung. Und es ist eine unmittelbare Erfahrung aus der Praxis, dass viele Kinder in psychologischer Betreuung eine hohe Mediennutzung haben. Viele Störungsbilder sind damit verbunden.
Aber wie gehe ich dann als Elternteil damit um, wenn mein Kind schon im Volksschulalter ein eigenes Smartphone will, weil viele Mitschüler auch schon eines haben?
Die Empfehlung lautet, dass Kinder erst ab dem zehnten oder elften Lebensjahr ein Smartphone haben sollten. In der Volksschulzeit ist ein erstes Probieren mit der virtuellen Welt zwar schon allein möglich, aber ohne ein eigenes Handy zu besitzen. Eltern sollten außerdem immer wissen, was Kinder im Netz machen. Im Idealfall hat sich eine Beziehung aufgebaut, sodass Kinder über ihre Erfahrungen im Netz selbstverständlich erzählen.
Sobald Kinder schließlich doch ein Smartphone haben, ist Kontrolle nur mehr eingeschränkt möglich. Wie kann man ein Kind davor schützen, sich völlig in der virtuellen Welt zu verlieren?
Durch Medienerziehung. Je früher diese passiert, desto unwahrscheinlicher ist es, dass Kinder ab einem gewissen Alter in die virtuelle Welt abtauchen. Kinder und Jugendliche sollten im Gegenteil ganz selbstverständlich davon erzählen. Das gelingt auch meist, es ist Teil einer Erziehung, die von klein auf begonnen werden sollte. Deswegen sollte man Medien nicht tabuisieren, weil dann tendieren Kinder eher dazu, etwas zu verstecken. Ab dem zwölften Lebensjahr etwa gibt es sehr unterschiedliche Lebensläufe bei Jugendlichen, sodass eine einheitliche Antwort zum Umgang mit dem Smartphone eher schwierig ist. Mit etwa 14 Jahren kann man den Umgang im Großen und Ganzen dem Kind überlassen, ein Einwirken wird dann ohnehin schwieriger. Aber auch hier gilt es zu beachten, dass die Entwicklung eines jungen Menschen etwas sehr Individuelles ist. Darauf sollte man das Verhalten als Elternteil stets abstimmen.