»Ich bin für jede Hilfe vom Staat dankbar«
Gerhard Kracher zählt zu den renommiertesten Winzern Österreichs. Mit der »Presse am Sonntag« spricht er über schlaflose Nächte und 11.000 verlorene Flaschen Wein. Staatshilfen nimmt er in Anspruch, er erwartet sie aber nicht.
„Sich neu erfinden“steht ja quasi auf dem Etikett von Kracher. Es gab eine Zeit, da wurde jede zweite Flasche Kracher-Wein in den USA getrunken.
Gerhard Kracher: Ja, und davon 80 Prozent in New York City. Und dann kam 9/11.
Und da stand dann von einem Tag auf den anderen das Geschäft. Kann man 2001 und die Gegenwart vergleichen?
Dieses Mal ist es noch schlimmer, weil alle Märkte betroffen sind. Damals hatten wir ja Österreich, Deutschland und die Schweiz. Aber es waren plötzlich 50 Prozent des Umsatzes weg – und zwar für Monate. Damals mussten wir schnell lernen und umdenken.
Und zwar?
Wir durften nicht mehr von wenigen Märkten abhängig sein. Bis dahin kannten wir aus den USA nur Wachstum. Da hat es immer geheißen: Wir brauchen mehr Wein. Und plötzlich war das weg. Wir haben dann begonnen, uns für neue Märkte zu interessieren. In manchen Ländern waren wir ja vertreten. Aber unsere Importeure waren de facto Amateure, die das Weingeschäft nebenbei als Hobby machten. Das reicht natürlich nicht, um in der Top-Gastronomie vertreten zu sein.
Wie kommt man nach China, Japan oder Brasilien?
Kontakte und Freundschaften waren wichtig. Winzer, mit denen wir seit Jahrzehnten befreundet waren, haben uns Tipps gegeben. Das war natürlich ein Prozess, der sich über Jahre gestreckt hat.
Und das Ergebnis?
Irgendwann exportierten wir in 25 Länder. Und wir haben nie wieder zugelassen, dass ein Markt oder ein Händler zu viel Macht über uns ausübt.
Und dann kam die Finanzkrise.
Ja, das war kurz nachdem mein Vater gestorben war. Damals ist uns wieder die USA weggebrochen. Unser damaliger Importeur stand kurz vor der Pleite und schuldete uns mehr als 400.000 Euro. Ich war damals vermutlich einer der Letzten in Österreich, die Erbschaftssteuer gezahlt haben. Da habe ich mir schon gedacht: Die geplanten Investitionen kann ich mir eine Zeit lang abschminken. Damals lieferten wir in 40 Länder und konnten die Ausfälle teilweise ausgleichen. Mein Glück war, dass ich in New York einen tollen neuen Importeur gefunden habe. Den habe ich heute noch. Aber davor hatte ich einige schlaflose Nächte, viele nächtelange Telefonate. Wirtschaftlich war für uns vermutlich 9/11 härter. Emotional war natürlich die Finanzkrise für mich schlimmer. Ende 2007 ist wie gesagt mein Vater gestorben. Ich war damals 26 Jahre alt. Dann kam die Finanzkrise. Damals war ich natürlich auch noch sehr jung, noch nicht so gefestigt wie jetzt. Da gab es Wochen, wenn ich da auf 15 Stunden Schlaf gekommen bin, war es viel.
Haben Sie auch Angst, dass es einmal nicht mehr weitergeht?
Meine Devise war immer: Wenn eine Tür zugeht, geht eine andere auf.
Aber Türen gehen nicht von allein auf.
Nein, man muss sie selber aufmachen. Aber bei der aktuellen Covid-19-Krise waren plötzlich alle Türen zu. Und zwar alle 61.
Kracher exportiert in 61 Länder?
Unter normalen Umständen schon. Ich war tatsächlich vor dieser Krise der Meinung, dass ich sehr gut aufgestellt bin. Ich habe ja auch mein Sortiment verändert, Kracher macht nicht nur Süßwein. Knapp ein Drittel sind trockene Weine. Ich habe Projekte mit Aldo Sohm im Weinviertel, wo wir Grünen Veltliner machen. In Neckenmarkt machen wir Rotweine. In Rumänen, in Transsilvanien, mache ich Eiswein. Und es gibt mit finewineshop.com noch den Weinhandel. Wir beliefern ja sehr viele Kreuzfahrtschiffe. Das steht natürlich auch alles. Weil auf diesen Schiffen ist vor allem amerikanisches und chinesisches Publikum.
Wie wichtig ist der Heimmarkt Österreich? Das Weingut erzielt hier etwas mehr als ein Drittel seines Umsatzes.
Und der Weinhandel?
Ich mache damit doppelt so viel Umsatz wie mit dem Weingut. Und wie gesagt: Ich dachte, ich habe das Unternehmen auf so viele Beine gestellt, da kann nichts mehr passieren. Und plötzlich kommt Corona.
Wie haben Sie den Beginn der Coronapandemie erlebt?
Die ersten zehn Tage waren ein Horror. Alles stand still. Und dann, schön langsam, kamen in den beiden Webshops, es gibt ja auch den Kracher-Webshop, immer mehr Bestellungen rein. Das hat uns zumindest Mut gemacht. Es ist natürlich ein Tropfen auf den heißen Stein im Vergleich zu vorher. Aber psychologisch ist es wichtig zu sehen, dass es da noch jemanden gibt, der dein Produkt mag. Und besonders positiv habe ich natürlich das Ende des Lockdown empfunden, als wir unsere Türen geöffnet haben. Und siehe da: Die Kunden kamen.
Wieder ist eine Tür aufgegangen.
Ja, und es kamen natürlich viele Stammkunden. Und endlich sperrten die Restaurants auf, und wir erhielten die ersten Bestellungen. In viele Restaurants bin ich ja schon als Kind mit meinem Vater gegangen. Und auch das ist nur ein weiterer Tropfen auf den heißen Stein. Die meisten Exportmärkte funktionieren nicht. In den meisten Ländern schaut es ja bekanntlich viel schlimmer aus als bei uns. Deutlich schlimmer. Brasilien ist etwa ein sehr wichtiger Exportmarkt für mich. Drei Tage vor dem Lockdown wollte ich einen Container nach Brasilien liefern. Die Flaschen waren natürlich eigens für Brasilien etikettiert. Aber es war nirgends ein Container aufzutreiben. Weil die meisten in China und Italien feststeckten. Als ich zwei Wochen später endlich einen Container organisiert hatte, waren in Brasilien schon die Grenzen dicht.
Und wie ging die Geschichte schlussendlich aus?
Das Geschäft ist vermutlich geplatzt.
Das heißt: Alle Etiketten runter?
Das geht leider nicht. Der Aufwand ist so enorm, dass es sich nicht rechnet.
Was machen Sie nun mit dem Wein?
Ich weiß es nicht. Es schaut so aus, als würde er mir gehören. In Österreich darf ich ihn nicht vertreiben. Ich darf ihn mit diesem Etikett nicht einmal verschenken. Es geht da immerhin um 11.000 Flaschen. Und ich gebe mich da keiner Illusion hin. Solche Märkte wie Brasilien sind für lange Zeit zu.
Gerhard Kracher
bewirtschaftet im burgenländischen Illmitz rund 35 Hektar Weingärten. Er beschäftigt 36 Mitarbeiter. Kracher ist für seine Süßweine über die Grenzen Österreichs bekannt. Er exportiert seinen Wein in 61 Länder.
Kracher
betreibt neben dem Weingut auch einen Weinhandel und einen Online-Weinshop, über den er knapp 1700 internationale Weine vertreibt, darunter Raritäten, bei denen eine Flasche bis zu 10.000 Euro kostet.
Vater Alois Kracher
war einst der erste österreichische Winzer, der vom amerikanischen Weinkritiker Robert Parker 100 Punkte bekam. Für seine Trockenbeerenauslesen 2017 erhielt Gerhard Kracher zuletzt im April Spitzenbewertungen von bis zu 98 Parker-Punkten.
Wie schaut es mit den USA aus?
Dort gibt es nicht nur die Coronakrise, sondern auch die Proteste gegen Polizeigewalt. In New York haben die meisten Restaurants zu. Das wirft uns wieder um Monate zurück. Ich rechne damit, dass es noch mindestens ein Jahr dauert, bis so etwas wie Normalität einkehrt. Wir haben auch schon wieder kleinere Mengen nach China geschickt. Doch dann gab es in Peking ja plötzlich wieder mehr Infektionen. Das sorgte sofort wieder für Verunsicherung.
Was bedeutet das?
Wir haben uns auf den Onlinehandel konzentriert. Und wir werden ins Onlinegeschäft noch mehr investieren als ursprünglich geplant.
Aber unterm Strich wird es auch für Sie ein grausames Geschäftsjahr. Nehmen Sie staatliche Hilfen in Anspruch?
Im Moment brauche ich meine Reserven auf. Einige Mitarbeiter sind in Kurzarbeit. Aber als Unternehmer bin ich selbst verantwortlich. Ich sehe das so: Ich bin für jede Hilfe vom Staat dankbar, aber ich erwarte mir nichts Großes.
Zurück zum Weinhandel. Da geht es ja in der Regel um sehr exquisite Weine.
Nicht nur exquisite Weine. Ich habe 1700 Weine im Onlineshop, und sie kosten von sieben bis 10.000 Euro. Aber jeder Wein ist etwas Spezielles. Es sind alles Entdeckungen von unseren vielen Reisen in der Weinwelt.
Dahinter steckt also Ihre Weinleidenschaft und jene Ihrer Mitarbeiter.
Ja, und bei den meisten Weinen sind wir Exklusivimporteur.
Wurde während des Lockdown privat mehr Wein getrunken?
Ja, aber das wiegt die fehlende Gastronomie bei Weitem nicht auf. Aber die Leute haben sich öfter ein Gläschen gegönnt. Ich habe – mit Abstandhalten – mit meinem Nachbarn Wein getrunken. Und das fast jeden Tag. Normalerweise machen wir das einmal im Monat, weil ich ja viel unterwegs bin.
Eduard Steiner ist auf Urlaub.
LET’S MAKE MONEY erscheint wieder am 5.7.2020