Im Wasser bis zum Hals
Mangroven schützen Küsten – selbst vor Tsunamis – und nähren ihre Bewohner. Aber der Anstieg der Meere bedroht sie.
Als am 26. Dezember 2004 der Tsunami in die Küsten Südostasiens brandete, wurden im indischen Distrikt Cuddalore manche Ortschaften weggefegt, andere in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft nahmen kaum Schaden: Sie lagen hinter Mangrovenwäldern. Dass die selbst Tsunamis widerstehen, dass ein 100 Meter breiter Streifen die Wucht auch dieser Wellen abfangen kann, hatte sich früher schon in Modellrechnungen gezeigt, aber Empirie gab es kaum. Nun konnte Finn Danielson (Kopenhagen) als einer der ersten Daten auswerten, die aus Cuddalore: „Mangroven haben die Küsten geschützt“(Science 310, S. 643).
Das war fachlich fundiert, aber an allen betroffenen Küsten genügte auch der bloße Augenschein, um Bewohner und Behörden davon zu überzeugen, dass diese Wälder kein nutzloses Gestrüpp sind, das dem ökonomischen Prosperieren im Weg steht und bedenkenlos abgeräumt werden kann für Küstenverbauungen, vor allem aber für die Aquakultur von Shrimps. Das hatte diese Ökosysteme zur Jahrhundertwende so stark reduziert – je nach Region um 35 bis 86 Prozent –, dass internationale Forscher in einem Brandbrief an Science eine „Welt ohne Mangroven“kommen sahen (317, S. 41).
Der Segen solcher Wälder hatte sich auch früher gezeigt – bzw. der Fluch ihres Abräumens, der 1991 bei einem Zyklon in Bangladesch 138.000 Menschen das Leben kostete –, aber erst der Tsunami ließ umdenken, man versuchte aufzuforsten. Das ist nicht einfach, zum einen wird der Raum immer enger und zum anderen sind Mangroven Wunderwerke der Evolution, mit denen widrigste Habitate erschlossen wurden, nämlich die von morastigen Böden – oft in Deltas –, die zwei Mal am Tag vom Meer überspült werden.
Das brauchte Anpassung vor allem bei den Wurzeln, die im schwankenden Grund verankern und mit dem Salz fertigwerden müssen. Manche Mitglieder der Mangrovengemeinschaft – sie hat etwa 50 bis 80 Mitglieder, über die Zahlen herrscht Streit – lassen Salz erst gar nicht in die Wurzeln hinein, andere nehmen es auf und scheiden es durch Poren in den Blättern wieder aus, wieder andere lagern es ein. Und es geht nicht nur um die Abwehr von Lebensfeindlichem, es geht auch um den Zugang zu Lebensnotwendigem: Sauerstoff. Den produzieren Pflanzen nicht nur – in Fotosynthese –, sie konsumieren ihn auch, holen ihn mit den Wurzeln aus dem Erdreich. Aber im Schlamm ist kaum Sauerstoff, deshalb strecken viele Mangroven Wurzeln aus dem Boden in die Luft.
Ergebnis all dieser Anpassungen – zusammengefasst hat sie Sandhya Srikanth (Trees 30, S. 451) – sind höchst produktive Ökosysteme, in deren untersten Etagen sich Meeresbewohner relativ geschützt entwickeln können, und in denen auch weiter oben das Leben blüht, oft gefährliches – von Krokodilen bis zu Königstigern, die in den ausgedehntesten Mangroven der Erde, den Sundarbans im Delta des Ganges, nicht nur hinter Wassergetier bis hin zu Fröschen her sind, sondern auch als „Menschenfresser“gefürchtet werden –, öfter Verlockendes, das nährt und mit Material und Medizin versorgt.
Klein-Venedig. In manchen Mangroven wurden gar Pfahlsiedlungen angelegt, um die herum das Wasser strömt. Als Amerigo Vespucci das 1499 in Südamerika erblickte, erinnerte es ihn derart an Venedig, dass er das Land danach benannte: Klein-Venedig, Venezuela. Auch heute noch leben viele Menschen in und von solchen Wäldern, und viele leben in ihrem Schutz vor den Fluten der Meere und ihrem Anstieg. Holly Jones (Northern Illinois University) hat ihre Zahl gerade – sehr zurückhaltend – auf 5,3 Millionen Menschen geschätzt, weitere 3,4 Millionen sind ähnlich durch Korallen geborgen, oft überlappen beide Ökosysteme (PLoS One 29. 5.).
Schutz vor den Fluten, ja, aber Schutz vor dem Anstieg der Meere auch? Korallenriffe wachsen mit und lassen ihre Inseln mit dem Material, das die Wellen aus ihnen herausschlagen, mitwachsen – Gerd Masselink (Plymouth) hat es eben in Modellrechnungen und Experimenten bestätigt (Science Advanvces 10. 6.) – und Mangroven heben den Boden auch, indem sie um ihre Wurzeln herum Sedimente lagern. In denen und in den Wurzeln selbst steckt viel CO2 bzw. sein Kohlenstoff, pro Flächeneinheit doppelt soviel wie in Regenwäldern – Boone Kaufman (Oregon State University) hat es im Vergleich von Wäldern auf dem Festland und denen an der Küste Amazoniens gezeigt (Biology Letters 2018.0208) –, deshalb zählt man Mangroven gemeinsam mit Salzwiesen an Küsten und Seegras im Meer zu „blue carbon“, Ökosystemen im Wasser, die das Treibhausgas aus der Atmosphäre holen und den Klimawandel mildern.
Allerdings kann deren Beitrag – Pierre Taillardat (Singapur) hat ihn auf das Neutralisieren von 0,42 Prozent der anthropogenen CO2-Emissionen beziffert (Biology Letters 2018.0251) – die Erwärmung kaum bremsen und die Erhöhung der Meeresspiegel auch nicht. Können die Mangroven mit dem mithalten oder steigt ihnen irgendwann das Wasser über den Kopf?
Die Antwort suchte Neil Santailan (Macquarie University) in Mangrovensedimenten, die das Ende der letzten Eiszeit – als die Meere rasch und stark stiegen – archiviert haben. Demnach wird es für die Wälder ab 6,1 Millimeter im Jahr schwer, ab 7 unmöglich. Derzeit steigen die Meere um 3,4 Millimeter. Zum Jahrhundertende werden je nach CO2-Szenario bis zu 7 Millimeter prognostiziert. Das wäre das Aus für die Mangroven, denn früher konnten sie landeinwärts wandern, heute ist dort kein Platz mehr (Science 4. 6.).
Aber das Aus droht in vielen Regionen noch viel früher, vor allem in Deltas, in denen nicht nur wie andernorts die Meere steigen, sondern auch das Land sich senkt bzw. gesenkt wird, durch Ölförderung etwa, vor allem aber durch Übernutzung des Grundwassers. Zugleich bringen die Flüsse immer weniger Sediment, weil sie immer mehr verbaut werden und weil ihnen immer mehr Sand – für Beton – entnommen wird. Deshalb sinken viele Deltas – James Syvitski (University of Colorado) hat es global bilanziert (Nature Geoscience 2, S. 681) – und viele sinken sehr viel rascher als die Meere steigen, am Ganges bis zu 7 Millimeter im Jahr (Pnas 117, S. 1867), am Mekong bis zu 20 ( Science Total Environment 634, S. 715). Bald darf kein Tsunami mehr kommen, ein Taifun auch nicht.
Der Tsunami lehrte, dass diese Wälder kein Gestrüpp sind, das bloß im Weg steht.
Pro Flächeneinheit holen Mangroven doppelt so viel CO2 aus der Luft wie Regenwälder.