Die Presse am Sonntag

Stimmen aus dem Krieg

Die Autorin Bushra al-Maktari hat Schicksale zusammenge­tragen.

-

Plötzlich hagelte es Granaten auf das Viertel von Azzija Saleh in Taizz. Eine traf ihren Innenhof und hüllte alles in Rauch ein, erst später sah Saleh ihren Sohn Hamza auf dem Boden liegen. „Ein großes Loch klaffte in seinem Kopf und sein Gehirn lag daneben. Meine Hände waren in Blut getaucht, als ich versuchte, das gallertart­ige Fleisch aufzuklaub­en, um es zurück in seinen Kopf zu drücken.“

Es sind kaum zu ertragende Schicksale wie diese, die die jemenitisc­he Journalist­in Bushra al-Maktari in ihrem nun auf Deutsch erschienen­en Buch „Was hast du hinter dir gelassen?“schildert. Al-Maktari hat in den vergangene­n Jahren das Bürgerkrie­gsland bereist, die Menschen sprechen lassen und ihre Geschichte­n aufgeschri­eben. Sie lässt Männer wie Sakher Abdeljabba­r Mohammad zu Wort kommen, der davon erzählt, wie der Scharfschü­tze in seinem Viertel seinen kleinen Bruder Nasser durch das Küchenfens­ter

erschoss. Und Frauen wie Selwa Ali Mohammado, die keine Angehörige­n mehr hat. „Es gibt niemanden, der nach mir sieht und fragt: ,Was hast du denn, Selwa?‘“

Al-Maktaris Buch ist ein enorm wichtiges Zeugnis über den „vergessene­n Krieg im Jemen“, der seit mehr als fünf Jahren tobt und viel zu wenig Aufmerksam­keit von der Weltöffent­lichkeit erhält. „Mit einem Mal war er da, der Krieg“, schreibt die Autorin in ihrem Vorwort. „Mit einem Mal war sie da, die erniedrige­nde Schmach des Hungerns.“

– und es mangelt an allem. Die Auswirkung­en der Hungersnot lassen sich kaum in Worte fassen.

Viele Jahre nach 2011 kreuzen sich die Wege von Molhi, Al-Bukhaiti und Al-Abed in Wien. So verschiede­n ihre Lebenswege sind, so unterschie­dlich auch die Umstände, die sie in Österreich landen ließen – für alle drei ist die Erinnerung an den Jemen eine schmerzend­e Wunde, die sie jeden Tag aufs Neue auszuhalte­n versuchen. Asrar Molhis Vater war eben erst als Diplomat nach Wien gezogen, gemeinsam mit seinen beiden Töchtern, als die ersten Bomben der saudischen Allianz auf Jemen fielen. „Meine Mutter, mein Bruder, seine Kinder . . . jede Woche haben wir sie angerufen und wenn wir sie nicht erreicht haben, war der erste Gedanke: Sie sind tot“, sagt Molhi. Sie ist 27 Jahre alt, ihre langen Haare trägt sie offen, wenn ihr ein Wort auf Deutsch nicht einfällt, sucht sie sofort nach Ersatzwört­ern.

Sie habe sich fest zwingen müssen, nicht so zu denken. Nein, sie sind nicht tot, sie haben nur kein Internet. Dann nochmals versuchen, anzurufen. So ging das Monate, bis der restliche Teil der Familie nach Österreich konnte. Sie stellten einen Asylantrag. „Ich habe“, sagt Molhi, „dieses Schuldgefü­hl.“Sie ist hier in Österreich, während ihre Freunde, Bekannten, erweiterte Familie jeden einzelnen Tag ums Überleben kämpfen. Jahrelang ist sie mit Nachrichte­n aus dem Jemen eingeschla­fen und mit Nachrichte­n aus dem Jemen aufgewacht. „Irgendwann konnte ich nicht mehr. Irgendwann bin ich in eine Depression verfallen.“

Bomben auf den Flughafen. Eman AlBukhaiti nickt. Sie ist nur ein Jahr älter als Molhi, bevor sie spricht, denkt sie lang nach. Ihr Kopftuch ist tiefrot, sie trägt eine helle Jeansjacke. Auch sie hat in Österreich Asyl beantragt, lebt allein hier, alle ihre Angehörige­n sind noch in der jemenitisc­hen Hauptstadt. Beide jungen Frauen erzählen, dass der fortschrei­tende Krieg ein unbekannte­s und erschrecke­ndes Gefühl zutage gebracht habe: Das Angewöhnen an die Todesnachr­ichten.

Al-Bukhaiti hielt sich zufällig in der Türkei auf, als der Flughafen von Sanaa Ziel von Bombenangr­iffen wurde. Sie konnte nicht zurückflie­gen. Mehrere

 ?? Eug´enie Sophie ?? Mohammed Al-Abed, Asrar Molhi und Eman Al-Bukhaiti (v. l.) in einem Wiener Gastgarten.
Eug´enie Sophie Mohammed Al-Abed, Asrar Molhi und Eman Al-Bukhaiti (v. l.) in einem Wiener Gastgarten.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria