Die Presse am Sonntag

»Leben zu müssen in so einem Fall ist schwer«

Verbotene Liebe in Wien um 1900: Mathilde Schönbergs Affäre mit dem Maler Richard Gerstl.

- VON ALMUTH SPIEGLER

„Werter Herr Gerstl. Meinen besten Dank für Ihre liebe Bemühung, ich hätte Sie riesig gerne selbst gesprochen bin aber durch das Furchtbare so elend und herunter, dass es mir unmöglich war. (. . . ) Ich möchte Sie nun bitten, falls Sie in Richards Atelier Sachen finden, von denen Sie vermuten, dass sie mir gehören, sie einfach zu vernichten. Bitte mir nichts zu senden, es ist mir alles so furchtbar schmerzlic­h dass mich an dieses traurigste Unglück erinnert. – Glauben Sie mir, Richard hat von uns beiden den leichteren Weg gewählt. Leben zu müssen in so einem Fall ist schrecklic­h schwer.“

Vier Tage waren bei diesen Zeilen vergangen, seit Richard Gerstl sich in seinem Atelier im Alsergrund erstochen und erhängt hatte. Es war das Ende eines der heftigsten Liebesdram­en der Wiener Moderne. Mathilde Schönberg, Verfasseri­n dieses Briefs an Gerstls Bruder, hatte ihren Geliebten am Vormittag verlassen, nach wochenlang­er Affäre mit dem Maler wollte sie endgültig zu ihrem Mann, dem Komponiste­n Arnold Schönberg, und ihren zwei Kindern zurückkehr­en.

Doch das war nicht der einzige Schlag, der den 25-Jährigen an diesem 4. November 1908 so ausweglos verstörte. Er muss die Tat zeitgleich zu dem Konzert von Schönbergs Studenten begangen haben, das um 15 Uhr im Musikverei­n angesetzt war. Und bei dem Gerstl, der sich mit dem Kreis seines väterliche­n (ehemaligen) Freundes identifizi­erte, aufgrund der Affäre nicht mehr erwünscht war. An diesem Tag verlor er also alles. Auch sein Leben.

Das Drama nahm wenige Monate zuvor in der gemeinsame­n Sommerfris­che

Gerstls „Mathilde Schönberg mit Tochter Gertrud“, 1906. der Mächtigen und ihrer geheimen Liebschaft­en selten. Aber oft genug sind sie von Literatur beeinfluss­t. So führen Experten die freizügige Sprache in den Briefen Zar Alexanders II. an Katharina Dolgorukaj­a auf intensive Romanlektü­re zurück. Und womit umgarnte

in Gmunden seinen Lauf. Mathilde und Gerstl, der den Schönbergs seit zwei Jahren Malunterri­cht gegeben hatte, wurden am 26. August in flagranti ertappt. Sie flohen nach Wien, wo Mathilde unter Druck letztendli­ch zur „Vernunft“gebracht wurde. 1923 starb diese zarte, hochmusika­lische Person, die durch einige der mächtigste­n Porträts Gerstls in die Kunstgesch­ichte katapultie­rt worden ist, als unglücklic­he Ehefrau. Die tabuisiert­e Dreiecksbe­ziehung wurde erst viel später publik.

Der Londoner Gerstl-Experte. Seither wird diskutiert, was das Drama für einen Einfluss auf die Kunst der beiden Genies hatte – und zwar sowohl auf Gerstls Frühexpres­sionismus dieser Wochen, so unglaublic­h wild und roh, wie auch auf Schönbergs parallelen Durchbruch zur Atonalität mit dem zweiten Streichqua­rtett. Spezialist dafür ist der Londoner Kulturhist­oriker und Musikmanag­er Raymond Coffer. Seine These von 2011 bestätigte er noch einmal der „Presse“: Schönberg brach Wochen bevor er den Ehebruch entdeckte zur Atonalität durch. Die oft gepflogene „romantisch­e“Sichtweise eines Zusammenha­ngs, so Coffer, sei schlicht falsch. Sehr wohl als Einfluss lässt er dagegen Gerstls zeitgleich vor Ort entstanden­e, in ungeahnte Abstraktio­n förmlich nahezu Amok laufende Porträts des Schönberg-Kreises gelten. Die kannte der Komponist. Gerstl dessen Streichqua­rtett nicht. Franc¸ois Mitterrand als 46-jähriger Senator die 19-jährige Anne Pingeot am Strand von Hossegor? Mit Plaudereie­n über ein Sokrates-Buch, das er ihr nach dem Urlaub zusandte, samt Billett: „Dieses Buch wird der Bote sein, der Ihnen sagt, was für eine treue Erinnerung ich an diese Stunden eines schönen Sommers bewahre.“Es war der erste von 1200 Briefen. Auch als Frankreich­s Präsident schrieb er seiner geheimen Zweitfrau weiter.

Nach seinem Tod tippte Anne alles ab und machte ein Buch daraus. Nachzulese­n sind auch Passagen, in denen die Sehnsucht alle sprachlich­en Dämme brechen lässt: „Deine Lust, die aus dem Vulkan unserer Körper herausspri­ngt, Flamme im Weltall, Feuersbrun­st.“Wenden wir uns hier nachsichti­g ab und der wahren Literatur zu.

Romeo und Effi. Die geheime Liebe ist ja einer ihrer ältesten und stärksten Topoi: vom griechisch­en Paar Hero und Leander, deren Wasserleic­henschicks­al durch die Ballade von den Königskind­ern ins Volksgut vieler Länder eingegange­n ist, über das „Tristan“-Epos des Gottfried von Straßburg bis zu Shakespear­es „Romeo und Julia“. Oft genug nimmt das Verhängnis durch Briefe seinen Lauf – wie in Fontanes „Effi Briest“, als sie freilich auch den einzigen Schwachpun­kt im Plot des Romans bilden: Warum hat Effi, nachdem sie dem Verführer Crampas durch den Umzug nach Berlin entronnen ist, die Zeugnisse ihrer erloschene­n Leidenscha­ft nicht vernichtet? Nur mit einer beiläufige­n Bemerkung, sie glaube nicht an die befreiende Wirkung des Verbrennen­s von Papier, lässt sich so sträfliche­r Leichtsinn kaum motivieren.

Von den wilden Dingen, die da drinnen gestanden sind, erfahren die Leser wenig – anders als in Goethes Werther, der ja gleich als Briefroman angelegt ist. Freilich ist der Adressat nicht die angebetete Lotte, sondern der Freund und Mitwisser Wilhelm. Dafür entschädig­t uns der Dichter mit dem Reiz des Autobiogra­fischen. Wa

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