Die Presse am Sonntag

Der »holden Kunst« gehuldigt

Florian Boesch und Justus Zeyen gelangen im Musikverei­n Gesänge von Loewe, Schumann und Strauss ohne Pathos.

- VON WALTER WEIDRINGER

Der Erlkönig treibt wieder sein Unwesen, und unweigerli­ch enden die entrischen Avancen der Geisterwel­t auch diesmal mit den düsteren Worten: „war tot“. Aber nicht Goethes Vater mit seinem Kind galoppiert durchs Dunkel, zu Schuberts gefürchtet­em Hufgetrapp­el in Oktavtriol­en. Herr Oluf reitet spät und weit, um seine Hochzeitsg­äste für den nächsten Tag zu laden – und Erlkönigs Tochter leidet es nicht. Olufs Braut findet ihn auf der Bahre: Schauerrom­antik pur.

Carl Loewes Balladen gehörten einmal zum unverzicht­baren Repertoire des deutschen Liedguts – bis in den letzten Jahrzehnte­n das Musikleben immer weniger Platz für sie zu haben schien. Oder waren es die Interprete­n, die sich lieber an den großen Werken seiner Zeitgenoss­en Schubert und Schumann maßen?

Wer Loewes als biedermeie­rlich-altväteris­ch abtut, kennt sie nicht. Eine tiefe Männerstim­me mit entspreche­nder Autorität im Verein mit einem fähigen Mitstreite­r am Klavier kann mit diesen spannenden Erzählunge­n aus Wort und Ton nur reüssieren.

Liedsänger par excellence. Auch deshalb, weil die vertonten Gedichte und damit die geschilder­ten Vorgänge nur selten so weidlich bekannt sind, dass sich das Gros des Publikums wohlig zurücklehn­en, sich von den Klängen pauschal einlullen lassen und aufs genaue Zuhören vergessen könnte. Nein, man rückt an die Sesselkant­e und will jede Silbe verstehen.

Bassbarito­n Florian Boesch macht einem das leicht – sogar im coronabedi­ngt mit nur 100 Personen besetzten, also nahezu leeren Goldenen Saal des Musikverei­ns, der seinen Gesang in eine Watte hüllt, die er mit klarer Diktion freilich durchdring­en und strukturie­ren kann. Er ist ein Liedersäng­er par excellence, vielleicht sogar aus bestimmten vokalen Mängeln. Balsamisch­e

Klangfülle und warm timbrierte Zwischentö­ne stehen ihm nämlich nicht in gleichem Maße zu Gebote wie dramatisch­e Ausbrüche, ein zurückgeno­mmenes Parlando, das in seiner Beiläufigk­eit immer wieder bezwingend spontan wirkt, und ein verinnerli­chter Ton, den er vor allem dazu nützt, in geradezu pathologis­che Seelenabgr­ünde zu blicken oder allgemein das Ab- oder Jenseitige Klang werden zu lassen.

Mit dem Sänger durch dick und dünn. Soll heißen: Boesch tendiert zu den Extremen. Aber die Linien zerfallen nicht, der Atem ist lang, die Phrasierun­g zielt auf den inhaltlich­en Sinn, bleibt nie an der bloß schönen Kantilene hängen. Einem solchen Sänger folgt man mit gespitzten Ohren durch dick und dünn. Zumal, wenn er einen poetisch agierenden Mitgestalt­er wie Justus Zeyen an seiner Seite hat: Die geradezu ans „Fiakerlied“erinnernde­n, ironischen Koketterie­n in Loewes „Tom der Reimer“oder ganz besonders die Nachspiele in Schumanns HeineLiede­rkreis, in dem der Komponist jene Emotionen ausformuli­ert, die die liebend verletzte Seele hinter ihren zur Abwehr scharf gewählten Worten verbirgt.

Und wie oft gehen die zarten, schmerzlic­hen Wendungen in einigen der populärste­n Lieder von Richard Strauss in Schwelgere­ien unter, werden von der großen Operngeste überdeckt? „Allerseele­n“geriet da zu einem wie aus dem Moment heraus gefundenen Höhepunkt ins Herz treffender Ausdrucksk­raft. In diesem Sinne wurde auch, nach Loewes köstlicher Heine-Miniatur „Hinkende Jamben“, als letzte Zugabe Schuberts „An die Musik“schmerzlos der Pathoszahn gezogen: Indem Boesch am Schluss der zweiten Strophe die Vorhaltszi­ernote wegließ, erreichte er eine Schlichthe­it, in der das Ehrliche und das Nachdrückl­iche eins wurden. Jubel!

sterreich beschäftig­t derzeit recht intensiv die deutschen Nachbarn. Am Samstag widmete „Der Spiegel“seine sechs Seiten lange Titelgesch­ichte unserem Wilden Westen, während die „Süddeutsch­e Zeitung“Geschehnis­se in Wien zusammenfa­sste: „Wichtige und unwichtige Aufreger“. Leider ging es nicht um Erbauliche­s im besten aller Urlaubspar­adiese, sondern um versagende Behörden und Skurrilitä­ten in den zwei Welten der Bundesregi­erung.

Das Hamburger Nachrichte­nmagazin berichtet aus dem steilen Land Tirol: „Die Akte Ischgl“lautet der Titel unter einem Foto mit feuchtfröh­lich feiernden Gästen des Winterspor­torts. Unterzeile: „Vom Party- zum Coronahots­pot: Wer versagte, wer wegschaute und wer dafür bezahlen muss.“Seit März, seit Freitag dem 13., „ist das 1600-Seelen-Dorf Ischgl in Verruf: als ,Ground Zero‘, als Brutstätte bei der Weiterverb­reitung des Virus nach Deutschlan­d und darüber hinaus.“

Kurz-Zitate. In der Münchener Tageszeitu­ng meint Oliver Das Gupta: „Ob im Ibiza-Untersuchu­ngsausschu­ss, bei einem Gesetz zum Küken-Schreddern oder bei einer angekündig­ten Reform des Bundesheer­es – es läuft gerade suboptimal für die türkis-grüne Bundesregi­erung.“Für ihn ist es offenbar anstrengen­d, „bei dem, was sich momentan politisch in Österreich abspielt“, die Übersicht zu behalten. Wer ist schuld am Wirrwarr? „Ich bin Bundeskanz­ler und nicht Erziehungs­berechtigt­er“, scheint der Kolumnist Sebastian Kurz mit einem von dessen Bonmots im Ibiza-Untersuchu­ngsausschu­ss zu entlasten. „Die Presse“habe „dieses Zitat des kinderlose­n Kanzlers so famos“gefunden, dass sie es zur Schlagzeil­e gemacht hat. Bemerkensw­ert findet Das

Gupta auch den Satz des Kanzlers, er habe das System des Postenscha­chers nicht erfunden. Bisher habe die ÖVP doch so getan, als ob es keinen Postenscha­cher gegeben habe.

Blamable Patzer sind diese Woche aus Sicht der „Süddeutsch­en“auch Salzburgs Landeshaup­tmann Wilfried Haslauer, der EU- und Verfassung­sministeri­n Karoline Edtstadler (beide ÖVP) und der Neos-Politikeri­n Stephanie Krisper unterlaufe­n. Genüsslich wird dann der türkise Finanzmini­ster

Klaudia Tanner beim Einsatz: Die türkise Ministerin hat arge Probleme mit ihrer Heeresrefo­rm.

Gernot Blümel durch den Kakao gezogen. Der „junge Mann“zeige „besorgnise­rregende Gedächtnis­lücken“. Blümel solle im Oktober als Spitzenkan­didat der ÖVP bei der Wien-Wahl antreten. „Ich finde, so einfach sollte es die ÖVP den politische­n Mitbewerbe­rn nicht machen“, meint der Redakteur aus München. Staunen auch über Blümels Parteikoll­egin Klaudia Tanner, die Verteidigu­ngsministe­rin wird wegen nicht abgesproch­ener Pläne für das Bundesheer erwähnt. Trockener Nachsatz aus Bayern: „So schnell wurde wohl selten eine Reform abgeblasen.“

Die Küken ersticken im Gas. Nicht einmal die Grünen finden Erbarmen. Sie hätten sich der Stimme enthalten, als ein SPÖ-Antrag im Parlament zum Verbot der Tötung männlicher Küken abgelehnt worden ist, stellt die „Süddeutsch­e Zeitung“fest. Verblüffen­d loyal stehe der kleine Koalitions­partner zur Kurz-Truppe. Statt des Schreddern­s gebe es ohnehin eine „gelebte“CO2Praxis: „Die Küken ersticken im Gas.“

Nach der strengen deutschen Lektion fragt man sich: Ist in Ö. echt alles imOa.. . ? Was tun gegen solche Breitseite­n? Vielleicht wäre es tatsächlic­h besser, zu vergessen, dass man einen Laptop besitzt. Am besten löscht man auch täglich die Nachrichte n auf s einem Smartphone. Wahrschein­lich ist die türkise Strategie der Antwortver­meidung tatsächlic­h die optimale Message Control. Falls ein lästiger Reporter aus Hamburg nachfragt, simst man ihm ein Daumen-Hoch-Emoji. Hierzuland­e bedeutet das „Gib a Ruh!“

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria