Familie Biedermeier zieht sich zurück
Der Blick auf die private Idylle und heile Kunstwelt überdeckt die Spannungen und Brüche der Zeit von 1815 bis 1848. Wir porträtieren in unserem neuen Geschichte-Magazin, nicht ohne Bezug zur Gegenwart, die Epoche des Biedermeier.
Als einzige Epoche hat das Biedermeier einem Blumenstrauß seinen Namen gegeben, bis heute gehört die Anfertigung eines Biedermeiersträußchens zur wahren Kunstdisziplin der modernen Floristik. Der Strauß steht im Biedermeier symbolisch für die Anlage des ganzen Gartens. Ein sorgfältig geschnittener Rasen bildet den gleichmäßigen Hintergrund für eine leuchtende Blütenfülle. Die farblich gut abgestimmte und für das ganze Jahr durchdachte Komposition der Pflanzen macht den Garten zu einem einzigen großen Bouquet.
Die Bedeutung des Gartens im Biedermeier hat auch zur Wahl des Titelbildes unseres neuen Geschichte-Magazins geführt. Erasmus von Engert schuf mit diesem Bild eines „Wiener Hausgartens“um 1830 ein charakteristisches Werk des Wiener Biedermeier. Das gemütvolle Lebensgefühl der kleinbürgerlichen Schichten wird hier durch die bescheidene Idylle eines kleinen Hinterhausgartens geschildert. Die junge Frau in diesem paradiesischen Idyll, die gleichzeitig mit Stricken und Lesen beschäftigt ist, wirkt wie eine säkularisierte Madonna, die gleichermaßen den Tugenden des weiblichen Fleißes und der religiösen Andacht nachkommt. Der Besitz eines solchen Hortus conclusus ermöglichte den Rückzug von der Hektik des Alltags und Versöhnung mit Gott und der Welt.
Diese Art von Hausgarten kam in den Jahren nach dem Wiener Kongress 1815 bei den Bürgern Wiens vor allem in den Vorstädten und Vororten in Mode. Man musste in der Regel mit wenigen Quadratmetern auskommen und dort alles unterbringen, was ein Privatgarten nach zeitgenössischen Vorstellungen aufzuweisen hatte: eine Nutzfläche, Rückzugsorte wie Lauben und Pavillons, Spielflächen für die Kinder, Blumenarrangements und Wasserbecken. Oft wurden solche kleinteiligen Gärten als „handtuchgroß“karikiert. Sie wirkten in der Tat oft überladen. Enge und Kleinräumigkeit sind neben dem überreichen Blumenschmuck charakteristisch.
In Mode kam der Garten, als man auf der Suche nach Rückzugsorten und
Biedermeier – Österreich 1815–1848
Zum Inhalt:
Der gute Kaiser Franz
Wien, die Kongressstadt Metternich
Ehe und Familie im trauten Heim Die Wiener „Backhendlzeit“Spitzel, Denunzianten, Zensoren – Cholera – Das Glück des Gartens – Design und Wohnkultur – Idylle und Kritik in der Malerei – Der Seelenschmerz der Dichter – Landpartien – Musik und Tanz – Pauperismus und Revolution
Texte: Günther Haller, Bilder: Tina Stani
Das Magazin (108 Seiten) ist ab 15. 7. erhältlich, kostet € 8,90 (für Abonnenten 6,90) und ist bestellbar unter diepresse.com/ geschichte. privaten Oasen für das Familienleben verlangte. Der Vergleich mit dem heutigen, jedoch unfreiwilligen Lockdown ist naheliegend. Damit sind wir bei dem großen Bild nebenan, das diesen Artikel illustriert, dem Rückzug in die eigene Wohnung. Er steht für die gängige Vorstellung dieser 33 Jahre zwischen 1815 und 1848 als einer Zeit, in der sich das Bürgertum aus Frustration über die politischen Einschränkungen durch das Metternich’sche System in die private Idylle des häuslichen Familienlebens zurückzog und sich mit Geselligkeit und Hausmusik begnügte.
In Mode kam der Garten, als man auf der Suche nach privaten Rückzugsorten war.
Voller Sehnsucht blickten spätere Generationen auf diese Zeit zurück, in der man in bürgerlicher Behaglichkeit zu leben verstand und trotz fehlendem Wohlstands einen hohen Lebensstil entwickelte und die Geschenke des Lebens zu genießen verstand. Dann fällt Biedermeier zusammen mit der Vorstellung von der „guten alten Zeit“, der Verwirklichung einfacher, stiller Freuden und Beschäftigung mit altvertrauten Dingen. Da manifestiert sich das Biedermeier leicht spießig. Das ist nur zum Teil richtig.
Zerrissenheit. Man bleibt nämlich an der Oberfläche, wenn man nur das Bukett anheimelnder, vergnüglicher und beglückender Lebensweisen sieht, nur an Blumengestecke und Klaviergeklimper denkt. Wer mit der Zeit behagliche Beschaulichkeit verbindet, trifft sie nicht ganz, hat aber in einem Punkt recht: Biedermeier ist Flucht, gewollter Rückzug in eine kleine geordnete Welt, weil die Zeit zerrissen ist. Verklärer wie Verächter des Biedermeierlebens bedenken nicht, wie groß die Spannungen in dieser Epoche waren, die der Einzelne zu bewältigen hatte.
Es waren große Umwälzungen auf allen Gebieten der Technik, Industrie, Medizin und der Wissenschaften und auch ein neues Verständnis von Justiz und Religion, die die Bürger erschreckten und beunruhigten. Sieht man genauer hin, sieht man in den Bildern von Ferdinand Waldmüller oder Johann Matthias Ranftl den gequälten Untertan, sieht in der Dichtung Adalbert Stifters und Ferdinand Raimunds den bitteren Kampf um das rechte Maß im Leben. Vieles von dem, was spätere Zeiten bewunderten oder verspotteten, „es ward erzeugt in Todesnot und Qualen“(so Franz Grillparzer).