Der Wiener Straßen-Aktionismus
Mit heute, Sonntag, läuft das Corona-Projekt der temporären Begegnungszonen aus, einige werden aber noch verlängert. Was bleibt von der experimentellen Pop-up-Politik?
Dass Begegnungszonen, die man nur an Schildern erkennt, sich nicht etablieren, war klar.
Coole Straßen, temporäre Begegnungszonen, Pop-up Radwege: In der Ordnung der Wiener Straßen, Fahrbahnen, Radwege (oder -Streifen), Parkplätze, Gehsteige, ist zuletzt einiges durcheinandergekommen. Und um die Verwirrung perfekt zu machen: Einiges bleibt über den Sommer, manche Straßen werden wie zuvor, andere werden wieder anders: „cool“, zum Beispiel.
An sich läuft das Projekt temporäre Begegnungszone mit heute, 5. Juli, aus (nachdem einige schon zuvor nicht mehr verlängert wurden). Einige werden aber bis Ende Juli oder Ferienende verlängert (siehe Info-Spalte), und in der Meiselstraße wagt man nach einem Experiment das nächste: Die wird von der Begegnungszone zur (ebenfalls verkehrsberuhigten) „Coolen Straße“.
Die Hasnerstraße ist ab morgen keine Begegnungszone mehr, in einem kurzen Abschnitt aber eine für Autos gesperrte „Coole Straße“, sonst aber wie zuvor eine fahrradfreundliche Straße (nicht zu verwechseln mit einer Fahrradstraße, das wäre etwas anders). Wer kennt sich auf diesem Experimentierfeld noch aus? Und wozu die Fleckerl-Lösungen? Warum wird nur ein Teil der Begegnungszonen verlängert? Hat der Rest nicht funktioniert?
Diesen Schluss könne man so nicht ziehen, erklärt man im Ressort der zuständigen Verkehrsstadträtin Birgit Hebein (Grüne). Es ist komplizierter – und der Grund für die Fleckerl-Lösung ist, wie stets in Wiener Verkehrsfragen, dass am Ende im Wesentlichen die Bezirke entscheiden. Erst am Freitag hat man sich geeinigt, dass zumindest beim Parkpickerl nach der Wahl (angeblich) die Stadt eine einheitliche Lösung verordnen wird. Bei mitunter auch gut funktionierenden Begegnungszonen heißt es aber, dass sie aufgelassen werden. Etwa die Hasnerstraße, die man im Rathaus (neben Kettenbrückengasse und Zollergasse) als eine der Top drei funktionierenden und akzeptierten Corona-Begegnungszonen bezeichnet. Das habe eine Evaluierung ergeben, die gezeigt habe, nicht jede Begegnungszone habe funktioniert.
Eine, die nach Einschätzung des Bezirks weniger gut funktioniert habe, ist die Florianigasse. Die habe, so die Josefstädter Bezirksvorsteherin Veronika Mickel (ÖVP) ohne bauliche Veränderungen nicht die erhofften Verkehrsveränderungen gebracht. Und, nachdem zuletzt die Kritik daran mehr wurde, wuchs im Bezirk die Sorge, dass so das (sonst erfolgreiche) Modell Begegnungszone diskreditiert werde. Schließlich soll die Florianigasse bald eine „echte“Begegnungszone werden.
Nicht ohne Umgestaltung. Von so einer Umgestaltung hängt schließlich (auch, neben Fußgänger- und Radfahrerfrequenzen oder Kfz-Verkehrsaufkommen) ab, ob eine Begegnungszone funktioniert. Dass eine temporäre Begegnungszone nicht dasselbe ist wie eine, die oft über Jahre geplant und dann umgebaut wurde, das war stets klar, sagt Mobilitätsforscher Aggelos Soteropoulos von der TU Wien.
Im Frühjahr, in der Covid-19-Situation, war der Zweck, angesichts des verringerten Autoverkehrs rasch zu handeln und Platz für Fußgänger zu schaffen. Damals wurden nur Schilder aufgestellt, das reicht natürlich nicht, damit sich eine Begegnungszone etabliert. „Wenn außer Schildern nichts signalisiert, dass hier jetzt Begegnungszone ist, übersieht man das leicht“, sagt Soteropoulos. Und zieht den Vergleich zur (nach langen Planungen, Bürgerbeteiligung usw.) umgestalteten Lange Gasse: Das einheitliche Niveau des Straßenraums, Pflasterung oder Sitzmöbel signalisieren klar, hier ist Begegnungszone, hier steht die Verkehrsfläche auch den Fußgängern frei.
Im Vorfeld der Corona-Freigabe musste man schnell handeln, erinnert Soteropoulos, damals ging es auch um die Frage: Wie viel Grünraum steht der Bevölkerung zur Verfügung? Wo müssen während des Lockdowns Freiräume geschaffen werden? „In der Praxis hat sich gezeigt, etwa in der Kalvarienberggasse im 17. Bezirk (die temporäre Begegnungszone wurde Ende Mai aufgelassen, Anm.) sind trotz Begegnungszone eher viele Autos gefahren, dann fällt es schwer, diese ohne Umgestaltung als Fußgänger zu nutzen“, sagt Soteropoulos – der die damaligen schnell umgesetzten Maßnahmen dennoch für sehr positiv hält.
»Tactical Mobilism« heißt, man zeigt mit Pop-ups und Interventionen neue Wege.
Und der das Konzept des „Tactical Mobilism“erklärt: Interventionen im Verkehrsraum, die eine neue, nachhaltigere Form der Mobilität erahnen lassen. Soteropoulos spricht die Interventionen im 8. Bezirk, in der Zeltgasse, an, als Parkplätze temporär für Sitzgelegenheiten genutzt wurden. Und vielleicht kann man auch die neuen, temporären Maßnahmen, die in der Coronazeit aufpoppen als solche Interventionen sehen. „Das sind oft kurze Maßnahmen, die schnell umzusetzen sind und aufzeigen, welche andere Nutzung möglich wäre“, sagt Soteropoulos. Und die vielleicht mitunter bewusst Verwirrung stiften, um zu zeigen, dass im öffentlichen Raum nicht alles bleiben muss, wie es war. „Solche Maßnahmen gab es in dieser Zeit in vielen Städten, von Begegnungszonen bis temporäre Radwege. Auch weil der Kfz-Verkehr in der Zeit abgenommen hat, der Druck, durch Angst vor Ansteckungen in öffentlichen Verkehrsmitteln, etwas zu tun, groß war und sichtbar wurde, wie groß der Anteil der Fläche ist, den Kfz beanspruchen“, sagt Soteropoulos. Auch wenn aufgrund der kurzfristigen Umsetzung nicht alles ideal verlaufen sei. „Aber hätte man das langwierig geprüft, wäre die Umsetzung viel zu spät und womöglich sinnlos gewesen.“