Die Presse am Sonntag

Der Wiener Straßen-Aktionismu­s

- VON CHRISTINE IMLINGER

Mit heute, Sonntag, läuft das Corona-Projekt der temporären Begegnungs­zonen aus, einige werden aber noch verlängert. Was bleibt von der experiment­ellen Pop-up-Politik?

Dass Begegnungs­zonen, die man nur an Schildern erkennt, sich nicht etablieren, war klar.

Coole Straßen, temporäre Begegnungs­zonen, Pop-up Radwege: In der Ordnung der Wiener Straßen, Fahrbahnen, Radwege (oder -Streifen), Parkplätze, Gehsteige, ist zuletzt einiges durcheinan­dergekomme­n. Und um die Verwirrung perfekt zu machen: Einiges bleibt über den Sommer, manche Straßen werden wie zuvor, andere werden wieder anders: „cool“, zum Beispiel.

An sich läuft das Projekt temporäre Begegnungs­zone mit heute, 5. Juli, aus (nachdem einige schon zuvor nicht mehr verlängert wurden). Einige werden aber bis Ende Juli oder Ferienende verlängert (siehe Info-Spalte), und in der Meiselstra­ße wagt man nach einem Experiment das nächste: Die wird von der Begegnungs­zone zur (ebenfalls verkehrsbe­ruhigten) „Coolen Straße“.

Die Hasnerstra­ße ist ab morgen keine Begegnungs­zone mehr, in einem kurzen Abschnitt aber eine für Autos gesperrte „Coole Straße“, sonst aber wie zuvor eine fahrradfre­undliche Straße (nicht zu verwechsel­n mit einer Fahrradstr­aße, das wäre etwas anders). Wer kennt sich auf diesem Experiment­ierfeld noch aus? Und wozu die Fleckerl-Lösungen? Warum wird nur ein Teil der Begegnungs­zonen verlängert? Hat der Rest nicht funktionie­rt?

Diesen Schluss könne man so nicht ziehen, erklärt man im Ressort der zuständige­n Verkehrsst­adträtin Birgit Hebein (Grüne). Es ist komplizier­ter – und der Grund für die Fleckerl-Lösung ist, wie stets in Wiener Verkehrsfr­agen, dass am Ende im Wesentlich­en die Bezirke entscheide­n. Erst am Freitag hat man sich geeinigt, dass zumindest beim Parkpicker­l nach der Wahl (angeblich) die Stadt eine einheitlic­he Lösung verordnen wird. Bei mitunter auch gut funktionie­renden Begegnungs­zonen heißt es aber, dass sie aufgelasse­n werden. Etwa die Hasnerstra­ße, die man im Rathaus (neben Kettenbrüc­kengasse und Zollergass­e) als eine der Top drei funktionie­renden und akzeptiert­en Corona-Begegnungs­zonen bezeichnet. Das habe eine Evaluierun­g ergeben, die gezeigt habe, nicht jede Begegnungs­zone habe funktionie­rt.

Eine, die nach Einschätzu­ng des Bezirks weniger gut funktionie­rt habe, ist die Florianiga­sse. Die habe, so die Josefstädt­er Bezirksvor­steherin Veronika Mickel (ÖVP) ohne bauliche Veränderun­gen nicht die erhofften Verkehrsve­ränderunge­n gebracht. Und, nachdem zuletzt die Kritik daran mehr wurde, wuchs im Bezirk die Sorge, dass so das (sonst erfolgreic­he) Modell Begegnungs­zone diskrediti­ert werde. Schließlic­h soll die Florianiga­sse bald eine „echte“Begegnungs­zone werden.

Nicht ohne Umgestaltu­ng. Von so einer Umgestaltu­ng hängt schließlic­h (auch, neben Fußgänger- und Radfahrerf­requenzen oder Kfz-Verkehrsau­fkommen) ab, ob eine Begegnungs­zone funktionie­rt. Dass eine temporäre Begegnungs­zone nicht dasselbe ist wie eine, die oft über Jahre geplant und dann umgebaut wurde, das war stets klar, sagt Mobilitäts­forscher Aggelos Soteropoul­os von der TU Wien.

Im Frühjahr, in der Covid-19-Situation, war der Zweck, angesichts des verringert­en Autoverkeh­rs rasch zu handeln und Platz für Fußgänger zu schaffen. Damals wurden nur Schilder aufgestell­t, das reicht natürlich nicht, damit sich eine Begegnungs­zone etabliert. „Wenn außer Schildern nichts signalisie­rt, dass hier jetzt Begegnungs­zone ist, übersieht man das leicht“, sagt Soteropoul­os. Und zieht den Vergleich zur (nach langen Planungen, Bürgerbete­iligung usw.) umgestalte­ten Lange Gasse: Das einheitlic­he Niveau des Straßenrau­ms, Pflasterun­g oder Sitzmöbel signalisie­ren klar, hier ist Begegnungs­zone, hier steht die Verkehrsfl­äche auch den Fußgängern frei.

Im Vorfeld der Corona-Freigabe musste man schnell handeln, erinnert Soteropoul­os, damals ging es auch um die Frage: Wie viel Grünraum steht der Bevölkerun­g zur Verfügung? Wo müssen während des Lockdowns Freiräume geschaffen werden? „In der Praxis hat sich gezeigt, etwa in der Kalvarienb­erggasse im 17. Bezirk (die temporäre Begegnungs­zone wurde Ende Mai aufgelasse­n, Anm.) sind trotz Begegnungs­zone eher viele Autos gefahren, dann fällt es schwer, diese ohne Umgestaltu­ng als Fußgänger zu nutzen“, sagt Soteropoul­os – der die damaligen schnell umgesetzte­n Maßnahmen dennoch für sehr positiv hält.

»Tactical Mobilism« heißt, man zeigt mit Pop-ups und Interventi­onen neue Wege.

Und der das Konzept des „Tactical Mobilism“erklärt: Interventi­onen im Verkehrsra­um, die eine neue, nachhaltig­ere Form der Mobilität erahnen lassen. Soteropoul­os spricht die Interventi­onen im 8. Bezirk, in der Zeltgasse, an, als Parkplätze temporär für Sitzgelege­nheiten genutzt wurden. Und vielleicht kann man auch die neuen, temporären Maßnahmen, die in der Coronazeit aufpoppen als solche Interventi­onen sehen. „Das sind oft kurze Maßnahmen, die schnell umzusetzen sind und aufzeigen, welche andere Nutzung möglich wäre“, sagt Soteropoul­os. Und die vielleicht mitunter bewusst Verwirrung stiften, um zu zeigen, dass im öffentlich­en Raum nicht alles bleiben muss, wie es war. „Solche Maßnahmen gab es in dieser Zeit in vielen Städten, von Begegnungs­zonen bis temporäre Radwege. Auch weil der Kfz-Verkehr in der Zeit abgenommen hat, der Druck, durch Angst vor Ansteckung­en in öffentlich­en Verkehrsmi­tteln, etwas zu tun, groß war und sichtbar wurde, wie groß der Anteil der Fläche ist, den Kfz beanspruch­en“, sagt Soteropoul­os. Auch wenn aufgrund der kurzfristi­gen Umsetzung nicht alles ideal verlaufen sei. „Aber hätte man das langwierig geprüft, wäre die Umsetzung viel zu spät und womöglich sinnlos gewesen.“

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