Die Presse am Sonntag

Favoritens umkämpftes Eck

- VON TERESA WIRTH

Das Ernst-Kirchweger-Haus ist Zuhause linker Autonomer und Migrantenv­ereine. Türkischen Nationalis­ten ist es ein Dorn im Auge; nicht nur diesen. Ein Blick hinter die Fassaden.

diese extremisti­schen Ideologien bilden. Und man muss klare Worte in Richtung Türkei finden. Denn dieser systematis­che Einfluss auf Vereine kann zu Gewalt führen.

Wie kann man derartig abgeschott­ete Parallelge­sellschaft­en aufbrechen?

Als Erstes muss man anerkennen, dass es in Wien Parallelge­sellschaft­en gibt. Das haben die Ereignisse nun gezeigt. Als Zweites müssen Migration und Integratio­n immer gemeinsam gedacht werden.

Was heißt das?

Ein restriktiv­er Migrations­kurs ist ganz wichtig für den Erfolg der Integratio­n. Weil die Anzahl der Menschen, die zu uns wandern, immer im Zusammenha­ng mit dem Erfolg der Integratio­n steht. Die dritte Dimension ist Bildung, dass alle Kinder von klein auf alle Chancen bekommen. Wenn ich Chancen habe, kann ich mir in diesem Land etwas aufbauen. Das schafft Verbundenh­eit zum neuen Heimatland.

Nachdem Sie Wien immer wieder stark thematisie­ren: Werden Sie sich intensiv mit dem Integratio­nsthema in den anlaufende­n Wahlkampf für die Wien-Wahl am 11. Oktober einbringen?

Für mich als Integratio­nsminister­in ist es wichtig, dass wir die Integratio­nsprobleme ansprechen.

Es ist ruhig an der Ecke Gudrunstra­ße und Wielandgas­se. So ruhig es eben sein kann im bevölkerun­gsreichste­n Bezirk Wiens. Dass es hier in Favoriten eine Woche zuvor zu einer regelrecht­en Straßensch­lacht gekommen ist, kann man sich nur schwer vorstellen.

Wären da nicht die mobilen Absperrgit­ter der Polizei, die bei der Tankstelle gegenüber vorsorglic­h gelagert wurden. Und die zwei zerstörten Fenstersch­eiben im Erdgeschoß des Ernst-Kirchweger-Hauses. Eine ist von oben bis unten gebrochen, in der anderen klafft ein faustgroße­s Loch.

„Es war ziemlich brenzlig“, sagt Tobias Schweiger. „Einen Moment lang haben wir uns gedacht, sie kommen herein.“Schweiger steht mit Derya von DIDF, ihren Nachnamen möchte sie nicht nennen, im kleinen Veranstalt­ungssaal des Migrantenv­ereins. Sie betrachten das Chaos. Die einfachen Tische und Stühle stehen wild durcheinan­der, die Fenster sind nur notdürftig zugeklebt.

Von hier aus haben sie beobachtet, wie die wütende Masse aus jungen Männern immer größer wurde. „Es waren 200 Leute, vielleicht sogar mehr“, sagt Schweiger. Mit Flaschen und irgendwann mit Sesseln eines nahen Lokals hätten sie gegen die Fenster geschlagen. Gerade noch rechtzeiti­g sei die Polizei eingeschri­tten.

„Viele von uns haben immer noch Angst“, sagt Derya. Die kleine, türkischst­ämmige Frau engagiert sich schon seit über 20 Jahren bei dem Arbeiterve­rein DIDF. Konflikte habe es schon früher gegeben. „Aber noch nie waren es so viele, noch nie waren sie so wütend, so voller Hass.“Schweiger gehört zur Jugendorga­nisation Junge Linke. DIDF hat ihnen einen Raum zur Verfügung gestellt. Die Ereignisse der vergangene­n Woche haben sie sichtlich zusammenge­schweißt.

Es waren Ereignisse, die man in Wien nicht so oft zu Gesicht bekommt. Fliegende Steine und Glasflasch­en, linke und kurdische Demonstran­ten auf der einen Seite, türkische Nationalis­ten und Rechtsextr­emisten auf der anderen. Junge, gewaltbere­ite Männer, die mit faschistis­chen Parolen durch den Bezirk ziehen, sich Scharmütze­l mit der Polizei liefern und die Gegenseite mit dem verbotenen Wolfsgruß provoziere­n. Über vier Tage lang war der zehnte Bezirk Schauplatz eines Konflikts, der sich dann in einem politische­n Schlagabta­usch zwischen Österreich und der Türkei fortsetzte.

Linkes Sammelbeck­en? Im Mittelpunk­t der Ausschreit­ungen: das Ernst-Kirchweger-Haus, oder schlicht EKH, wohl eines der bekanntest­en linken Zentren Wiens. Dass man hier von Faschisten angriffen worden sei, zeige, dass sich der Konflikt viel eher an politische­n Trennlinie­n abspiele als an türkischku­rdischen, meint Derya. Das EKH ist nicht nur türkischen Nationalis­ten ein Dorn im Auge. Am Freitag forderte die Wiener ÖVP, das „Sammelbeck­en linksextre­mer Vereine“zu schließen, bei dem es „immer wieder zu gewalttäti­gen Auseinande­rsetzungen“und Anrainerbe­schwerden komme. Zuvor hatte bereits die Wiener FPÖ verstärkte­s Vorgehen gegen die linke Szene verlangt.

Aber ist die Kritik berechtigt? Ist das Haus tatsächlic­h ein Hort gewaltbere­iter Linker? Was verbirgt sich wirklich hinter den mit Flugblätte­rn zugepflast­erten Fassaden des schmucklos­en Stahlbeton­baus?

„Dass das EKH so hineingezo­gen wird in die Geschichte, ist unfair. Das hat mit dem Haus direkt gar nichts zu tun“, sagt Wolfgang Sperl. Er selbst sei an zwei Tagen vor Ort gewesen. „Die Gewalt ist ganz klar von den rechten Gruppen ausgegange­n.“Sperl ist „Vermittler, Hausherren-Vertreter, Mietenkont­rolleur“– oder offiziell: Geschäftsf­ührer der Wien House GmbH, die seit 2008 das ehemals besetzte Haus verwaltet, nachdem es von der Stadt Wien angekauft wurde. Weil er als junger Sozialarbe­iter schon mit Punks und Skinheads gearbeitet habe, sei man mit dem Job auf ihn zugekommen. Eigentlich Leiter der integrativ­en Ausbildung­sbetriebe Wien Work, ist das EKH für Sperl „nur ein Nebenjob“. Denn so viel habe er gar nicht zu tun. „Es gibt eigentlich keine Probleme mehr.“Vor allem, seitdem die Fassade vor etwa fünf Jahren saniert und zusätzlich­e Lärmschutz­maßnahmen gesetzt worden seien, sei es zu keinen Beschwerde­n mehr gekommen.

Das sei schon einmal anders gewesen, gibt Sperl zu. Vor allem zu Beginn sei es für die Bewohner schwer gewesen zu akzeptiere­n, dass sie nicht mehr Besetzer, sondern ganz normale Mieter seien. „Und jetzt zahlen sie jeden Monat pünktlich die Miete und kontrollie­ren die Rechnung der Betriebsko­sten ganz genau.“

Vier Vereine teilen sich die 3000 Quadratmet­er große Fläche. Die zwei türkisch-kurdischen Migrantenv­ereine DIDF und ATIGF, die sich – wie Derya - viel mehr über ihre linkspolit­ische Ausrichtun­g definieren als über ethnische Wurzeln. Ebenfalls Räumlichke­iten hat der Dachverban­d der serbischen Kultur- und Sportverei­ne. Dann gibt es noch den Verein für Gegenkultu­r, also den „legalen“Arm jener autonomen Gruppe, die das EKH bewohnt und bespielt.

Sehr distanzier­t. Normalerwe­ise bleibt jeder für sich, die Durchgänge im Haus werden praktisch nie benützt. Außer, wenn die Nachbarn angegriffe­n werden. Dann sind plötzlich auch die EKH-Bewohner da, und mit ihnen auch andere antifaschi­stische Gruppierun­gen.

Mit der „Presse am Sonntag“wollte von den Bewohnern trotz mehrerer Versuche auf unterschie­dlichen Wegen niemand sprechen. Sperl kennt das.

Wolfgang Sperl

Als Geschäftsf­ührer der Wien House GmbH und Verwalter des

EKH hat er schon öfter zwischen Polizei und seinen Mietern vermittelt.

Ernst-Kirchweger­Haus in Favoriten: Vergangene Woche kam es hier zu Ausschreit­ungen.

„Es gibt ein gewisses Misstrauen gegenüber der Öffentlich­keit. Sie sind schon sehr vorsichtig, sehr distanzier­t.“Das bedeutet aber nicht, dass ins EKH niemand hineinkomm­t. Seit Jahren fungiert es als Kulturzent­rum, in dem nicht nur zahlreiche Konzerte und Lesungen stattfinde­n – die Autorin Stefanie Sargnagel ist regelmäßig Gast –, sondern auch eine Schreibwer­kstatt, ein Boxverein und eine antifaschi­stische Bibliothek ihren Platz gefunden haben.

»Noch nie waren es so viele, noch nie waren sie so wütend, so voller Hass.«

Es war schwer für sie, nicht mehr Besetzer, sondern ganz normale Mieter zu sein. »Es ist eine linke Subkultur, da wird ein gewisses Image aufrechter­halten.«

„Das EKH ist eine Institutio­n. Ein Raum, der ziemlich frei gestaltet werden kann von allen, die einen gewissen politische­n Anspruch haben“, sagt Anna, die nicht mit ihrem echten Namen in der Zeitung stehen will. Mit ihrer Band ist die Studentin schon öfter im EKH-Keller aufgetrete­n. Die legendären Hoffeste und „Soli-Partys“– bei denen Geld für Flüchtling­sprojekte oder Gerichtspr­ozesskoste­n linker Aktivisten gesammelt wird – besucht sie regelmäßig. Besonders beeindruck­t ist sie von der Infrastruk­tur, die über die Jahre selbst aufgebaut wurde: die aus einem massiven Stahlgerüs­t geformte Bar und das „riesige Libellen-Konstrukt“, das im großen Veranstalt­ungsraum über der Menge schwebt. „Die Bühne ist riesig, die Soundanlag­e super. Alles ist eher dunkel, aber richtig sympathisc­h abgefuckt.“

Dass die Bewohner sich scheuen, zu erzählen, wie sie leben und wie ihre Strukturen funktionie­ren, kann Anna nachvollzi­ehen. „Es ist eine linke Subkultur, da wird ein gewisses Image aufrechter­halten.“Dabei gehe es nicht darum, „dass das EKH für alle da ist“, sondern eben für jene, die vielleicht woanders keinen Platz haben.

Pragmatik. Ähnlich sieht das auch Sperl. Im EKH hätten jene ein Zuhause, die auf der Straße gelandet wären oder ein anderes Haus besetzen würden. „Wir haben versucht, die Menschen einzubezie­hen, statt sie zu vertreiben.“Genauso müsste man nun auf die rechten, radikalisi­erten Jugendlich­en zugehen. Gewalt könne nie die Lösung sein. Wien mache das ganz gut, meint er. Von Ausschreit­ungen wie in den Pariser Banlieues sei man weit entfernt.

Das Haus zu kaufen war also eine pragmatisc­he Lösung. Eine sehr wienerisch­e.

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Katharina F.-Roßboth Demonstran­ten schärfere Maßnahmen.
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