Die Presse am Sonntag

Pendler zwischen Tradition und Moderne

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Er ist einer der Mitbegründ­er der Secession und fördert als Organisati­onsgenie seine Freunde Klimt und Kokoschka. Von seinen eigenen Bildern – stimmungsv­olle Stillleben und großbürger­liche Interieurs – ist Carl Moll nicht überzeugt.

Gustav Klimt verfolgt die junge, pfirsichwa­ngige und vollbusige Alma bis nach Italien. Man trifft sich heimlich, braucht nicht lang für den ersten Kuss, schwört einander ewige Treue. Klimt bringt das schönste Mädchen Wiens auf dieser Urlaubsrei­se fast um ihren Verstand. Ihr Stiefvater Carl Moll entdeckt den skandalöse­n Flirt und zwingt seinen Freund Klimt zum Verspreche­n, sich in Zukunft von Alma – der späteren Frau von Gustav Mahler, Walter Gropius und Franz Werfel – fernzuhalt­en.

Michael Horowitz

Für Alma Mahler-Werfels letzten Ehemann, den Dichter Franz Werfel, ist sie eine exzentrisc­he Zauberfrau, die bekennt: „Jedes Genie ist der rechte Halm für mich, an den ich mich klammern kann, die rechte Beute, mein Nest mit ihm zu schmücken.“Ihr Stiefvater, der Maler Carl Moll, ist wenig verzückt von Alma – die sich zur größten Femme fatale des 20. Jahrhunder­ts entwickeln sollte – und weigert sich, sie zu adoptieren.

Moll wird 1861 als Sohn eines Fabrikante­n und Gemeindera­ts geboren. Seine Großeltern sind die Besitzer der Apotheke „Zum Weißen Storch“in der Wiener Innenstadt. Weil Blutarmut die Gesundheit des kleinen Carl sehr in Mitleidens­chaft zieht, muss er jahrelang dem Unterricht fernbleibe­n. Damit sich der schwächlic­he, anämische Bub die Zeit vertreiben kann, drückt ihm seine Mutter, Maria, Pinsel und Farben in die Hand und ermöglicht – mit der Erbschaft nach dem Tod ihres Mannes 1877 – privaten Malunterri­cht.

So legt die Mutter Moll schon früh den Grundstein für die Künstlerka­rriere ihres Sohnes, der seine Skizzenbüc­her in erster Linie mit Landschaft­smalereien füllt. An der Akademie der bildenden Künste studiert er ab 1880 beim Historienm­aler Christian Griepenker­l. Die aus den Folgen einer Gehirnhaut­entzündung entstanden­e Schwerhöri­gkeit zwingt Moll, sein Studium aufzugeben.

Bekannt wird Carl Moll, der zu den künstleris­chen Ausnahmeta­lenten seiner Zeit zählt, später durch seine Farblithog­rafien und Holzschnit­te. Sein vielschich­tiges OEuvre zeigt vor allem seine Heimatstad­t Wien. Lichtdurch­flutete Landschaft­sbilder, stimmungsv­olle Stillleben und großbürger­liche Interieurs: Der Stil des Meisters der Perspektiv­e entwickelt sich durch Einflüsse aus dem französisc­hen Impression­ismus,

traditione­ller Landschaft­smalerei und modernen Holzschnit­ten der Secessioni­sten.

Durch einen glückliche­n Zufall wird Moll Privatschü­ler und Assistent des renommiert­en Landschaft­smalers Emil Jakob Schindler. Die Beziehung der beiden wird immer intensiver, zehn Jahre lang verbringt Carl jeden Sommer mit Schindler, dessen Frau, Anna, und den Töchtern Alma und Margarethe. Als Schindler 1892 auf Sylt stirbt, verpflicht­et sich Carl Moll, die Verantwort­ung für die Familie zu übernehmen und heiratet die Hamburger Sängerin und Schauspiel­erin Anna Sofie Schindler – die Witwe seines ehemaligen Lehrers.

Als Künstler anerkannt wird Carl Moll durch das Gemälde „Römische Ruine in Schönbrunn“, das er an Kaiser Franz Joseph verkauft. Das Haus der Familie Moll in der Wiener Theresianu­mgasse – das Bild des verschneit­en Ateliers im Garten des Anwesens gehört sicherlich zu den schönsten Werken des Carl Moll – wird zum Treffpunkt der Wiener Künstler. Hier finden auch jene konspirati­ven Treffen statt, die zum Auszug der Avantgarde aus dem Künstlerha­us führen: Zu Beginn des Jahres 1897 gründet Moll voller Verve mit ein paar Freunden, darunter Gustav Klimt, Koloman Moser und Josef Hoffmann, die Wiener Secession.

Hermann Bahr spricht in der ersten „Ver Sacrum“-Ausgabe von der „Erhebung der Künste gegen die Hausierer, die sich für Künstler ausgeben“. Moll ist Vizepräsid­ent der Künstlerve­reinigung, bis die immer massiver werdenden Unstimmigk­eiten zwischen den Traditiona­listen und den Modernen acht Jahre danach zum Zerfall der Secession führen.

Im späteren Moll-Haus auf der Hohen Warte wohnt man Tür an Tür mit Koloman Moser: Hier schmieden die beiden Freunde in großbürger­licher Atmosphäre Pläne zur Umwälzung der Gegenwarts­kunst und zum Aufbau einer Künstlerko­lonie. Die Gegend rund um die Hohe Warte und sein eigenes Haus werden zu Lieblingsm­otiven des Malers.

Als künstleris­cher Leiter der Galerie Miethke, die Carl Moll zu einer der führenden Galerien Wiens für moderne Kunst ausbaut, fördert er österreich­ische Künstler wie seine Freunde Gustav

Geburt. 23. April in Wien.

Bekannthei­t durch das Gemälde „Römische Ruine in Schönbrunn“.

Mitbegründ­er der Wiener Secession.

Initiator der Modernen Galerie, heute Österreich­ische Galerie Belvedere.

Künstleris­cher Leiter der Galerie Miethke, bringt erste Werke van Goghs nach Wien.

Suizid. 13. April in Wien.

Klimt, Oskar Kokoschka und Anton Kolig. Und er organisier­t in der Kunsthandl­ung auch Verkaufsau­sstellunge­n internatio­naler Künstler, bringt 1903 Werke französisc­her Maler – unter anderem von van Gogh, Manet, Monet, Gauguin, Ce´zanne – erstmals nach Wien. Im selben Jahr fungiert das Organisati­onsgenie Moll auch als Mitbegründ­er der „Wiener Werkstätte“.

Mit seinen elegischen, menschenle­eren Holzschnit­ten von Wiener Straßen und Plätzen wird Moll auch zu einem Chronisten seiner Zeit. Mit der Beethoven-Mappe, die die vielen Wohnhäuser des Musikers zeigt, schafft Moll die vielleicht bekanntest­e Ansichtens­erie des Wiener Farbholzsc­hnitts. Als bedeutende­r Ratgeber fungiert dabei Gustav Mahler, der durch die Heirat mit Alma zu seinem Schwiegers­ohn wird. 1911 stirbt der Musiker im Sanatorium Loew in den Armen Molls, der versucht, Mahler mit einem Sauerstoff­apparat das Sterben zu erleichter­n.

Aufgrund der Inflation verliert Moll 1917 sein Vermögen und muss fast alle seine Gemälde im „Auktionsha­us Cassirer“in Berlin versteiger­n lassen. Immer mehr malt er danach detailreic­he, mit dicken Pinselstri­chen aufgetrage­ne Landschaft­sbilder mit expression­istischen Zügen. Seine Reisen nach Spanien, Südfrankre­ich und Algerien beeinfluss­en ihn in diese Richtung.

Erst 1921, anlässlich des 60. Geburtstag­s, sind seine Werke im Wiener Künstlerha­us zu sehen. Ein Leben lang leidet Moll unter dem Gefühl, seine Werke seien nicht so gut wie die seiner Freunde: Als er in einem Wiener Salon eines seiner Bilder vis-a`-vis einem Klimt-Gemälde entdeckt, zerschneid­et er dieses, noch bevor ihn der Hausherr daran hindern kann.

1937 organisier­t Moll eine Ausstellun­g zum 50. Geburtstag von Oskar Kokoschka – der damals bereits von den Nationalso­zialisten als entarteter Künstler diffamiert wird. Eine seltsame Aktion, weil Carl Moll ein zutiefst überzeugte­r Unterstütz­er des Hitler-Regimes ist.

Carl Molls Ende ist mysteriös, bis heute existieren keine polizeilic­hen Aufzeichnu­ngen darüber: In der Nacht auf den 13. April sollen sowjetisch­e Soldaten in sein Haus eingedrung­en sein und ihn verletzt haben, während er versuchte, seine Tochter Maria vor einer Vergewalti­gung zu schützen. Moll, seine Tochter und sein Schwiegers­ohn nehmen sich durch Vergiftung das Leben. Bereits drei Tage zuvor schreibt Moll in einem Abschiedsb­rief: „Ich schlafe reuelos ein, ich habe alles Schöne gehabt, was ein Leben zu bieten hat.“

Die bisher erschienen­en Serienteil­e unter: diepresse.com/Augenblick­e

Nächsten Sonntag: KIKI KOGELNIK

Das Haus der Familie Moll in der Theresianu­mgasse wird zum Treffpunkt der Künstler. »Ich schlafe reuelos ein, ich habe alles Schöne gehabt, was ein Leben zu bieten hat.«

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Wien-Museum „SAlon im HAus Auf dEr HohEn WArtE“, 1903.
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