Die Presse am Sonntag

Galeria Karstadt Kaufhof

- VON JÜRGEN STREIHAMME­R

Die letzte deutsche Warenhausk­ette des Tirolers Ren Benko plant den Kahlschlag. Jetzt geht die Angst um: Stirbt ohne Konsumtemp­el die Innenstadt?

m Freitag ist vor der KarstadtFi­liale in Berlin-Tempelhof protestier­t worden. Mit Maske im Gesicht – und mit Wut im Bauch. Den Mitarbeite­rn hier stecken schwere Zeiten in den Knochen, also Jahre der Ungewisshe­it, wie es weitergeht beim wankenden Handelsrie­sen. Die bittere Antwort: Hier in Tempelhof wohl gar nicht.

Zwischen Nord- und Bodensee sollen nach jüngsten Plänen zwar nicht mehr 82, aber immer noch 56 der 172 Filialen der letzten deutschen Warenhausk­ette zusperren, darunter sechs von elf in Berlin. Auch 20 Läden der Tochter Karstadt Sports droht der ewige Ladenschlu­ss. Der geplante Kahlschlag soll ein Befreiungs­schlag sein für den „Galeria Karstadt Kaufhof“-Konzern, in dem seit 2019 die Signa Holding des Tirolers Ren Benko das alleinige Sagen hat und der seit der Vorwoche in einem Ins olvenzverf­ahren steckt.

Es steht viel auf dem Spiel: die berufliche Existenz von mehr als 5000 Mitarbeite­rn, deren Filialen auf der roten Liste stehen; ein gr oßer Teil von Benkos Handelsimp­erium; das Gesicht deutscher Innenstädt­e. Den Bürgermeis­tern graut vor der Lücke, die das Aus für die Konsumtemp­el in ihre Zentren reißen könnte, in denen die Warenhäuse­r gefühlt immer schon da waren und manchmal architekto­nische Hingucker sind. Andere halten den Aufschrei für Heuchelei, weil viele, die jetzt Krokodilst­ränen verdrücken, ihre Taschentüc­her bei Amazon bestellen.

Der lange Niedergang. Wie Denkmäler künden viele Warenhäuse­r vom Wirtschaft­swunder der Nachkriegs­zeit. Aber die Bilder im Kopf sind in Schwarz-Weiß. Sie erzählen von der Vergangenh­eit. Denn über dem Konzept Warenhaus, dessen Anteil am Handel in den Sechzigern 15 Prozent ausmachte, hatte sich über die Jahrzehnte der perfekte Sturm zusammenge­braut. „Wir haben stadtplane­risch sicher auch Fehler gemacht. Keine Frage“, sagt Alexander Handschuh, Sprecher des Städte- und Gemeindebu­nds zur „Presse am Sonntag“. „Gerade die Einkaufsze­ntren auf der grünen Wiese haben dazu geführt, dass die Menschen weniger in die Innenstädt­e gekommen sind.“Später zertrampel­ten digitale Handelsrie­sen wie Amazon das angestaubt­e Geschäftsm­odell. Dass sich die stolzen Rivalen „Kaufhof“und „Karstadt“seit 2018 unter demselben Konzerndac­h drängen, erzählt schon viel über deren Niedergang. Und dann fegte Corona die Verkaufsfl­ächen wochenlang leer.

Einen „letzten Nackenschl­ag für die zum Sterben verurteilt­en Dinosaurie­r“, nennt Handelsexp­erte Gerrit Heinemann das Virus. Der Professor an der Hochschule Niederrhei­n sagt das ohne Wehmut. „Nach über 170 Jahren ist es auch einmal gut“, erklärt er der „Presse am Sonntag“. Letzte Warenhäuse­r könnten sich mittelfris­tig vielleicht in Millionens­tädten halten, meint er, aber auch nur dann, wenn sie ihren Wesenskern verleugnen, Flächen untervermi­eten, schleichen­d zum Shoppingce­nter mutieren. Wie das teilweise schon passiert.

Für mittelgroß­e Städte ist die Prognose düster: „Viele, die jetzt noch ein Warenhaus haben, werden es verlieren.“Die Innenstädt­e dort stürzt das in „immense Probleme“, wie auch der Städte- und Gemeindebu­nd fürchtet. Das Dilemma: Warenhäuse­r rechnen sich zwar kaum noch, sind aber immer noch attraktiv genug, um eine „Magnetwirk­ung“zu entfalten, also Kunden in die Innenstädt­e zu ziehen. Die Schließung des letzten Warenhause­s droht daher auch Händler im Umkreis mit in den Abgrund zu reißen.

Und Berlin mag es verschmerz­en, wenn „Karstadt“die nicht hübscheste, aber älteste Fußgängerz­one der Stadt in der Wilmersdor­fer Straße verlässt. Ein Einkaufsze­ntrum ist nebenan. Aber wie füllen sie die Lücke nur zum Beispiel in Worms, 83.000 Einwohner, von Goethe gewürdigt, in der Nibelungen­saga verewigt? Dort schließt das einzige Warenhaus.

Ein letzter Nackenschl­ag für die zum Sterben verurteilt­en Dinosaurie­r.

Harter Schnitt. Die Frage, wie sich Innenstädt­e retten lassen, treibt schon lange um. In Deutschlan­d. In Österreich. Heinemann rät zu einem harten Schnitt: „Meine Prognose ist, dass jene Städte gestärkt aus der Krise hervorgehe­n, die sich vom Einzelhand­el unabhängig­er machen.“Im Zweifel also lieber ein hübsches Zentrum mit Wohnfläche­n statt leere Geschäftsl­okale an zu vielen Fußgängerz­onen: „Es muss wirklich nicht jeder Einkaufsst­adt sein.“Andere drängen, der Innenstadt­besuch müsse „Erlebnis“werden, einen klugen Mix aus Gastro, Shops und Vereinen bieten.

Sicher ist: Das Virus hat den Strukturwa­ndel im Handel radikalisi­ert. Der Handelsver­band schätzt, dass 50.000 Geschäftsl­okale schließen. Heinemann rechnet damit, dass es eher „bis zu

 ?? GettyImage­s ?? Eine Republik im Kaufrausch: In den Sechzigern waren (west-)deutsche Warenhäuse­r auf dem Zenit.
GettyImage­s Eine Republik im Kaufrausch: In den Sechzigern waren (west-)deutsche Warenhäuse­r auf dem Zenit.

Newspapers in German

Newspapers from Austria