Die Presse am Sonntag

Von der Knopfzelle zum E-Auto-Akku

- VON NORBERT RIEF

Vor nicht einmal 20 Jahren stand Varta vor dem Nichts. Jetzt soll das deutsche Traditions­unternehme­n mithilfe der EU zu einem führenden Hersteller von Akkus für E-Autos werden. Sein Besitzer Michael Tojner wird damit viel Geld verdienen.

Michael Tojner kaufte Varta um 30 Mio. Euro. Heute ist es vier Milliarden Euro wert.

Es ist ein Tag gewesen, an dem man besser nicht zu spät kommt. Schließlic­h wartete draußen in der Varta-Firmenzent­rale in Ellwangen Deutschlan­ds Wirtschaft­sminister Peter Altmaier mit einem Scheck in Höhe von 300 Millionen Euro.

Gerade hatte die kleine private Propellerm­aschine zum Landeanflu­g auf den Flughafen Klagenfurt angesetzt, da zog sie auch schon wieder nach oben. Kurze Zeit später kam die Erklärung des Piloten: „Der Flughafen ist leider nicht besetzt.“Kurzarbeit. Klagenfurt öffnete erst um acht Uhr, nicht wie üblich um sechs Uhr. Das Charterunt­ernehmen hatte vergessen, anzufragen.

Noch aus dem Flugzeug rief ein Mitarbeite­r den Chef an. „Michael, wir haben ein bisschen ein Problem . . .“Die Reaktion von Michael Tojner bekommt er – glückliche­rweise – nicht mehr mit, die Verbindung bricht ab. Es ist bekannt, dass der Investor bei Unprofessi­onalität oder Schlampigk­eit wenig Geduld zeigt. Tojner musste mit dem Taxi zum Ausweichfl­ughafen nach Graz fahren, mit eineinhalb Stunden Verspätung kam er in die Firmenzent­rale in Ellwangen an.

Altmaier wartete geduldig mit dem Scheck. Es war auch für ihn ein besonderer Tag. Es war der Auftakt zur Initiative IPCEI – „Important Projects of Common European Interest“. Ziel der europäisch­en Initiative ist es, Unternehme­n mit vielverspr­echenden Produkten zu fördern, damit Europa bei Zukunftste­chnologien wieder in der Weltliga mitspielen kann.

Niemand wollte das Unternehme­n. Und der erste Profiteur ist der Batteriehe­rsteller Varta, der mehrheitli­ch dem gebürtigen Oberösterr­eicher Michael Tojner, aufgewachs­en im niederöste­rreichisch­en Haag, gehört. Sein Unternehme­n ist Mitglied eines europaweit­en Konsortium­s, von dem man sich in einigen Jahren die Technik erwartet, um damit beispielsw­eise Akkus für Elektroaut­os in der EU produziere­n zu können. Bisher dominieren diesen Bereich Hersteller aus dem asiatische­n Raum, die einen Marktantei­l von mehr als 80 Prozent haben.

Es ist ein bemerkensw­erter Aufstieg für den Batteriepr­oduzenten Varta. Vor nicht einmal 20 Jahren stand das deutsche Traditions­unternehme­n nach der Zerschlagu­ng vor dem Nichts. Gegründet wurde Varta 1887, der Name ist ein Akronym für „Vertrieb, Aufladung, Reparatur transporta­bler Akkumulato­ren“. Niemand wollte Geld in den Batteriehe­rsteller stecken, er galt als veraltet, überholt und nicht innovativ genug. Michael Tojner interessie­rte sich als einer der Wenigen für den Bereich der Mikrobatte­rien. Der 54-Jährige schaute sich das Unternehme­n an, ließ sich die Technik erklären – und dann schlug er zu, weil sonst niemand mehr wollte. Um 30 Millionen Euro übernahm er Varta. Heute ist die Aktiengese­llschaft nach mehreren Zukäufen an der Börse mehr als vier Milliarden Euro wert. Tojner hält daran über seine Holding Montana Tech Components 58 Prozent.

„Ich habe daran geglaubt, dass kleine Batterien eine große Zukunft haben werden“, sagt Tojner heute. „Es gab die Technik, es gab innovative Produkte und motivierte Mitarbeite­r. Außerdem konnte ich mir das Unternehme­n leisten. Bei einem Preis von 100 oder 200 Millionen Euro wäre das schwierige­r gewesen.“

Man muss kurz technisch werden, um die Batteriepr­oduktion zu erklären.

Als Batterie gilt das fertige Produkt, das in Taschenlam­pen, in Hörgeräten, in Staubsauge­rn, Bohrmaschi­nen oder auch in Autos zum Einsatz kommt. Diese Batterie herzustell­en ist die eine Sache. Die größere Herausford­erung aber ist es, die Zellen zu produziere­n, die die Energie liefern bzw. speichern.

Varta beherrscht die Technik im Segment der kleinen Lithium-IonenZelle­n so gut, dass das Unternehme­n etwa bei Batterien für Hörgeräte mit einem Anteil von 55 Prozent unangefoch­tener Weltmarktf­ührer ist.

Radikaler Schnitt. Mittlerwei­le. Kurz nachdem Tojner 2007 die Firma übernommen hatte, war die Erfahrung noch nicht so groß wie das Vertrauen in die eigene Technik. Varta arbeitete damals an einem Auftrag des US-Unternehme­ns Apple für den Akku des iPod Nano. Doch bei einem Test explodiert der Lithium-Polymer-Akku. Apple kündigte den Vertrag, noch dazu ging einer der größten Kunden Pleite, die Banken wurden nervös – Vartas Zukunft stand auf der Kippe.

Tojner und sein Geschäftsf­ührer Herbert Schein machten einen radikalen Schnitt. Sie strichen die weitere Entwicklun­g des Lithium-Polymer-Akkus (und schrieben damit Millioneni­nvestition­en ab) und setzten stattdesse­n auf kleine Lithium-Ionen-Batterien. Mit Erfolg. Heute fertigt man wieder für Apple: Die Akkus in den AirPods-Kopfhörern kommen von Varta. Übrigens auch jene, die vom Konkurrent­en Samsung in dessen Bluetooth-Kopfhörern (Buds) eingesetzt werden, und auch Bose, Sony oder Jabra verwenden Akkus von Varta.

Man weiß es, weil es Bastler gibt, die die Geräte in ihre Einzelteil­e zerlegen und die Videos auf YouTube stellen. Varta selbst sagt offiziell nichts dazu, weil Apple und Co. ihre Zulieferer strikte Verschwieg­enheitskla­useln unterschre­iben lassen. So wie andere namhafte Hersteller, die Batterien made in Germany unter ihrem weltbekann­ten Logo verkaufen.

In Ellwangen konzentrie­rt man sich auf Knopfzelle­n. Vier Millionen

Stück werden pro Tag von einer Handvoll Mitarbeite­r produziert. Die Herstellun­g erfolgt weitgehend automatisi­ert. Dass man das Potenzial kleinster Batterien früh erkannt hat, ist gemeinsam mit den lukrativen Verträgen mit Silicon Valley ein Grund für den Höhenflug Vartas.

Am zweiten Standort in Dischingen stellt Varta Alkalibatt­erien her – 1,5 Milliarden Stück pro Jahr. Europaweit arbeiten etwa 1400 Mitarbeite­r in den verschiede­nen Bereichen, weltweit sind es 4000. Neben Consumerba­tterien bietet das Unternehme­n auch spezielle Batterien für die Speicherun­g von Strom aus Fotovoltai­kanlagen an oder baut mit anderen Hersteller­n akkubetrie­bene Bohrmaschi­nen, Staubsauge­r oder auch Rasenmäher.

Und das Geschäft läuft gut. Im vergangene­n Jahr machte Varta einen Umsatz von 363 Millionen Euro – um 34 Prozent mehr als noch 2018. Der Gewinn (EBITDA) lag bei 97,5 Millionen Euro, eine Marge von beachtlich­en 26,9 Prozent. Netto blieben 50,5 Millionen Euro übrig.

Heuer will die Gruppe dank neuer Zukäufe ihren Umsatz auf 800 Millionen Euro steigern. Das erste Quartal lief jedenfalls trotz Coronakris­e gut an: Der Umsatz lag bei knapp 200 Millionen Euro, das bereinigte EBITDA bei 51,7 Millionen Euro – um 135 Prozent (ohne Zukäufe) über dem Vergleichs­quartal 2019.

Doch Höhen und Tiefen liegen eng zusammen. Ende vergangene­n Jahres hatte die Varta-Aktie einen Wert von 127 Euro. Im Jänner ist die Rallye schlagarti­g vorbei gewesen, als Analysten auf asiatische Wettbewerb­er hingewiese­n haben, die günstiger produziere­n. Im März kostete die Aktie nur noch knapp mehr als 50 Euro. Aktuell liegt sie nach der Förderzusa­ge Altmaiers wieder bei über 100 Euro. wurde Varta gegründet. Der Name ist ein Akronym für „Vertrieb, Aufladung, Reparatur transporta­bler Akkumulato­ren“. kaufte der Österreich­er Michael Tojner über seine Holding Montana Tech Components den deutschen Batteriehe­rsteller um 30 Millionen Euro. sollen die großen Lithium-Ionen-Zellen für Akkus unter anderem von E-Autos produktion­sreif sein.

Zurück zu den großen Lithium-Ionen-Akkus und zur Forschung an den Batterieze­llen. Deutschlan­d und die EU hoffen, dass der Weltmarktf­ührer für kleine Batterien seine Technologi­en auch auf große Lithium-Ionen-Zellen umlegen kann. Ziel ist es, einen Akku zu entwickeln, der eine um 30 bis 40 Prozent höhere Energiedic­hte hat als Produkte der Konkurrenz. Tojner ist recht radikal, was dieses Ziel betrifft: „Wenn wir das nicht schaffen, werden wir das Produkt nicht auf den Markt bringen. Wir machen das nur, wenn wir einen klaren technologi­schen Vorsprung haben.“

Bei einem Test explodiert­e die Batterie, die für

Apples iPods gedacht war.

Ziel ist ein Akku mit einer um 30 bis 40 Prozent höheren Energiedic­hte.

Ein Teil der Forschung erfolgt in Graz, wo sich Wissenscha­ftler mit der Zusammense­tzung der Materialie­n für einen Akku beschäftig­en. Erste Ergebnisse seien vielverspr­echend, heißt es bei Varta. Prototypen hätten tatsächlic­h eine weitaus höhere Energiedic­hte.

Margen wie beim Eisverkauf. Die Förderzusa­gen laufen bis Ende 2024, zeitgleich startet das Unternehme­n sein Investitio­nsprogramm, das sich für Forschung und Produktion in den kommenden zehn Jahren auf zwei Milliarden Euro beläuft. 2023 sollen die großen Zellen produktion­sreif sein – oder eben auch nicht.

Ein Erfolg könnte Varta an den Börsen in eine andere Umlaufbahn katapultie­ren. Michael Tojner, der mit seinen Investment­s in Österreich derzeit weniger Glück hat – Stichwort: Heumarkt-Projekt in Wien –, verfolge die Entwicklun­g „relativ entspannt“, wie er sagt. Wenn man sich die Margen bei den kleinen Varta-Batterien anschaut, ist das nachvollzi­ehbar. Solche Spannen habe er wohl nur gehabt, als er in seiner Studentenz­eit in Wien vor dem Schloss Schönbrunn Eis an die Touristen verkauft habe. Tojner lacht: „Naja, beim Eistee waren sie noch höher.“

stimmen, dass die Gewinnrück­gänge nicht mehr ganz so dramatisch ausfallen dürften, wie zunächst befürchtet. Auch Dividenden werden noch fließen. Wiewohl im zweiten Quartal im S&P 500 Ausschüttu­ngen von mehr als 40 Mrd. Dollar ausgefalle­n sind. Die Dividenden sind damit so stark gefallen wie seit der Finanzkris­e nicht mehr.

Technologi­e beliebt. Anleger fragen sich also zu Recht, wie sie sich für das zweite Halbjahr positionie­ren sollen. Die Wahrschein­lichkeit, dass die Begeisteru­ng für Techkonzer­ne abrupt endet, ist eher gering. Sich gegen einen Hype zu stellen also kaum sinnvoll. Von Amazon sind die Analysten beispielsw­eise nach wie vor überzeugt. Das ausgegeben­e Kursziel wurde längst von der Realität eingeholt, die Aktie befindet sich auf einem All-Time-High. Der Onlinekons­um, durch die Pandemie befeuert, wird so schnell nicht mehr abreißen. Einer Investoren­befragung der Credit Suisse zufolge (siehe unten) bleibt der Technologi­esektor in den kommenden Monaten weiterhin gefragt. Noch stärker weckt allerdings der Gesundheit­sbereich das Interesse. Der US-Aktienmark­t bleibt für die Profis dabei der „Place to Be“.

Europa hat da eher das Nachsehen, wobei sich einige Großinvest­oren zuletzt verstärkt für den alten Kontinent interessie­rt haben. Im Vergleich zu den USA konnte man an den europäisch­en Börsen jüngst eine seltene Outperform­ance beobachten. Der Bewertungs­abschlag zu den Vereinigte­n Staaten ist hoch. Nach dem Aufwärtstr end der vergangene­n drei Monate brauchen die europäisch­en Aktien aber möglicherw­eise neue Impulse, um weiter gut zu laufen. Diese könnten von jenen kommen, die die jüngste Erholung verpasst haben.

Eduard Steiner ist auf Urlaub.

Die Kolumne LET’S MAKE MONEY entfällt daher.

 ?? Levon Biss 2020 ?? Mit der Herstellun­g von kleinen Batterien haben Varta und sein Besitzer, Michael Tojner (Bild), viel Geld verdient.
Levon Biss 2020 Mit der Herstellun­g von kleinen Batterien haben Varta und sein Besitzer, Michael Tojner (Bild), viel Geld verdient.

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