Das etwas andere Gehirn von Frühchen
Die Hirnsektionen sind oft schlechter vernetzt – das hat Folgen. Musik hilft aber.
Alles beginnt in der dritten Woche: Der Embryo ist keine zwei Millimeter groß, und doch wachsen in ihm bereits ein Gehirn und ein Nervensystem heran. Noch handelt es sich um eine dünne Zellschicht, wie die Mikroversion eines Waschlappens. Aus der Platte erwächst ein Rohr, in dem wiederum Nervenzellen entstehen. In den kommenden Monaten wird sich der Lappen immer stärker wölben, bis zur Geburt ein komplexes Geflecht aus rund 100 Milliarden Neuronen entstanden ist.
Zumindest im Regelfall. Kommt das Baby sehr früh zur Welt, sind die einzelnen Sektionen des Gehirns noch nicht vollends miteinander vernetzt. Ebenso fehlt ab diesem Zeitpunkt die dafür nötige Ruhe: Auf der Neonatologie piepsen Geräte, werden Türen geöffnet, Kabel und Sonden am kindlichen Körper befestigt und wieder entfernt. Alles Signale, die im Mutterleib nicht auf das noch unausgereifte Gehirn einströmen und deshalb teils nicht adäquat verarbeitet werden können. Konkret: Die Frühgeborenen können nicht beurteilen, welche Reize für sie relevant sind und welche nicht.
Die Folge: Das Gehirn von sehr frühen Frühgeborenen baut sich leicht anders auf als jenes von termingerecht Geborenen, weshalb sie später öfter mit Konzentrationsschwierigkeiten kämpfen, ängstlicher und motorisch gehemmter sein können als Gleichaltrige.
Musikalische Aufholjagd. Um gegenzusteuern, erklingt auf manchen Frühgeburtenstationen bereits sanfte Musik, die den Stresslevel der Babys senken und damit die Hirnentwicklung begünstigen soll. So untersuchte ein Wissenschaftlerteam um Petra Hüppi vom Universitätsklinikum Genf im Vorjahr die Hirnaktivität von 39 Frühchen mittels funktioneller Magnetresonanztomografie. 20 Kindern wurden fünfmal die Woche über den Tag verteilt Flötenund Harfenklänge vorgespielt, die 19 übrigen bekamen zeitgleich Kopfhörer ohne Töne aufgesetzt. Das Ergebnis: Die Frühchen, die keine Musik zu hören bekommen hatten, wiesen eine verringerte Aktivität sowie schlechtere Verschachtelungen im Gehirn auf. Zwischen der Musik-Gruppe und termingerecht Geborenen wurden hingegen kaum Unterschiede entdeckt.
Hüppi zufolge profitiert allen voran das sogenannte Salienz-Netzwerk von der musikalischen Stimulation. Seine Aufgabe besteht im Lenken der Aufmerksamkeit, indem die verschiedenen Sinneseindrücke registriert und entsprechende Signale an die zuständigen Hirnregionen weitergeleitet werden – etwa auditive Stimuli an die auditiv-kognitiven-emotionalen Netzwerke.