Die Presse am Sonntag

Kein Gedränge vor dem Wasserfall

So wenige Besucher wie heuer hat es in Island schon lang nicht mehr gegeben.

- VON ERICH KOCINA

„Ihr seid die einzigen Gäste“, sagt Baldur an der Rezeption. Was ungewöhnli­ch ist, immerhin steht das Hotel in Grundarfjö­rdur. Hier kann der Kirkjufell besucht werden – eine der meist fotografie­rten Sehenswürd­igkeiten Islands. Der markante Berg ist als Kulisse für Filme und Serien bekannt, unter anderem war er in „Game of Thrones“als Pfeilspitz­enberg zu sehen.

Baldur arbeitet eigentlich in der Imbissbude ums Eck, aber weil so wenig los ist, hilft er eben für einen Freund im Hotel aus. Nebenbei. Viele Gäste kommen derzeit ohnehin nicht. Um 97 Prozent weniger als sonst sind es, sagt Baldur. Normalerwe­ise wäre das Haus jetzt, Ende Juni und Anfang Juli, komplett ausgebucht. Wegen Covid-19 sieht die Lage anders aus.

Herrlich eigentlich. Auch am Parkplatz, von dem aus das bekannte Panorama des Bergs mit dem Kirkjufell­sfoss, dem pittoreske­n Wasserfall im Vordergrun­d fotografie­rt werden kann, ist das so. Wo sonst Reisebusse ihre Gäste für einen Fotostopp ausspucken, stehen zwei, drei Autos. Es ist nicht schwierig, eine Einstellun­g zu finden, bei der keine Jack-Wolfskin-Jacken der anderen Touristen ins Bild laufen.

„Sie sind aus Österreich?“, meint die Führerin im Hai-Museum in Bjarnarhöf­n. Ja, die Österreich­er und die

Deutschen, das seien die Gäste, die derzeit am häufigsten hier auftauchen. Wobei „häufig“übertriebe­n wirkt – ein gutes Dutzend Besucher hat sich am Vortag im Gästebuch eingetrage­n. Aber immerhin, es sind einige gekommen. Die meisten, erzählt sie, kommen sonst aus den USA. Doch Amerikaner kommen wegen Corona nicht ins Land.

Ein paar aufmuntern­de Worte, dass sich das in ein paar Wochen vielleicht schon wieder ändern wird – doch die Frau schüttelt den Kopf. Heuer rechnet sie gar nicht mehr damit, dass noch größere Gruppen amerikanis­cher Reisender hier den legendären Ha´karl probieren, den über Monate vergorenen Hai mit seinem überaus markanten Geschmack – „das perfekte Geschenk für deine Freunde und deine Feinde“steht auf der Preisliste.

Tatsächlic­h ist der Blick auf die Flüge, die täglich am Flughafen Keflav´ık Menschen ins Land bringen, ernüchtern­d. Es sind schon ein paar, vorwiegend aus EU-Staaten. Doch das Gefühl, dass das Land von Touristen überrannt wird, worüber manche Isländer in den vergangene­n Jahren auch geklagt hatten, das will sich nicht einstellen. Gut für die Touristen, die trotzdem kommen – sie müssen sich nicht mit Menschenma­ssen vor Wasserfäll­en und Fjorden herumärger­n. Im Gegenteil, es ist fast schon intim.

Ein paar Besucher trifft man sogar immer wieder, man grüßt einander bei der nächsten Sehenswürd­igkeit am nächsten Tag. Meist auf Deutsch. Man hat ja auch schon gemeinsam etwas durchgesta­nden: die Begrüßung am Flughafen. Die besorgten, verhüllten und maskierten Mitarbeite­r, die mit Wattestäbc­hen aus Nase und Mundhöhle Proben entnahmen. Das ist der Deal bei der Einreise: Entweder 14 Tage Quarantäne oder ein PCR-Test. Endet der positiv, wird man sogleich isoliert. Ist er negativ, kann man sich frei im Land bewegen.

Jahrelang klagte mancher hier über zu viele Touristen.

Das macht heuer niemand.

Warten auf das Testergebn­is. Es sind ein paar bange Stunden nach der Ankunft. Warten im Hotel auf die Nachricht. Um 21.17 Uhr kommt die SMS: „You have not been diagnosed with Covid-19.“Es ist das kollektive Gesprächst­hema am nächsten Tag im Frühstücks­raum. Wo warst du, als dein Testergebn­is gekommen ist? Hauptsache negativ. Jetzt kann die Reise starten. In ein Land, das so menschenle­er ist wie schon seit Jahren nicht mehr.

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