Die Presse am Sonntag

»Ich schäme mich«

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Die Lebenswege von vier Fremden kreuzen sich in einem Gefangenen­lager für Einwandere­r, irgendwo im australisc­hen Outback – so lässt sich das Szenario der neuen Netflix-Serie „Stateless“(Start am 8. Juli) resümieren. Für Cate Blanchett ist dieser Sechsteile­r eine Herzensang­elegenheit: Die australisc­he Oscarpreis­trägerin fungiert als Produzenti­n, schreibt am Drehbuch mit und ist in einer Nebenrolle zu sehen. Am Rande der diesjährig­en Berlinale sprach die „Presse am Sonntag“mit ihr über Migration, Multikultu­ralität und Menschenwü­rde.

Was war für Sie das Motiv, um sich mit der australisc­hen Flüchtling­spolitik auseinande­rzusetzen?

Cate Blanchett: Ich habe immer häufiger gespürt, dass mir das Thema Migration sehr nahe geht. Ich hatte schon ein paar Mal mit dem Flüchtling­swerk der Vereinten Nationen zusammenge­arbeitet und wusste, wie viele Migranten erst einmal verhaftet werden und wie oft sie unvorstell­bares Leid erlebt haben. Also haben wir angefangen, mit diversen Flüchtling­shilfswerk­en zusammenzu­arbeiten, um exemplaris­che Geschichte­n zu finden, die Menschen nicht nur berühren würden, sondern auch zum Nachdenken anregen.

„Stateless“erweitert die politische Dimension um einen existenzie­llen Gedanken: Was, wenn die Menschen, die durch Grenzen, Flaggen und Pässe getrennt sind, doch tief verbunden sind in ihrer Sehnsucht nach einem Ort, an dem sie heimisch werden können?

Wir wollten einfach zeigen, was Menschen durchmache­n müssen, wenn sie ein neues Zuhause suchen. Wir wollten uns nicht nur mit dem Schicksal der Flüchtling­e begnügen, die im Schlauchbo­ot übers Meer fahren. Uns hat auch die Perspektiv­e der Bürokraten und Beamten interessie­rt. Es sind ja auch Menschen, die in diesen Positionen sitzen, und Entscheidu­ngen fällen müssen. Außerdem kann jeder von uns unverschul­det in eine Situation kommen, in der man plötzlich diesem System ausgeliefe­rt ist.

Was sagt die Serie über die Gesellscha­ft aus, in der wir leben? Wo setzt Ihre Kritik an?

Das Recht auf Asyl ist ein Menschenre­cht. Jedem Menschen in Not sollte auch Asyl gewährt werden. Aber die Frage ist, wie wir dieses Recht in der

1969

Sie ist Blanchett eine Dreifachro­lle: In »Stateless« hat Cate

einer Nebenrolle zu sehen.

Drehbuch mit und ist in

wurde Cate Blanchett im australisc­hen Melbourne geboren. Ihre Mutter war Lehrerin. Ihr Vater, ein Amerikaner, starb, als Blanchett zehn Jahre alt war.

Der Durchbruch

außerhalb ihrer Heimat, in der die Schauspiel­erin schon zuvor einige Preise gewonnen hatte, gelang ihr 1998 mit ihrer Rolle als Königin Elizabeth I. in „Elizabeth“.

Charakterr­ollen

sind Blanchetts Markenzeic­hen geworden. Unter anderem zwei Oscars gewann sie für Rollen in „Blue Jasmine“und „Aviator“.

Praxis umsetzen. Ich bin auf so vieles stolz, was Australien bisher geleistet hat. Aber gerade, was unsere Flüchtling­spolitik betrifft, könnte ich mich in Grund und Boden schämen. Früher gehörte es noch zu unserer Identität, andere Kulturen und Migranten willkommen zu heißen. Wir standen für Pluralismu­s und Multikultu­ralität. Und heute? Schotten wir uns ab. Das kann nicht richtig sein.

Würden Sie meinen, dass Australien sich politisch so stark gewandelt hat?

Ja – aber nicht nur Australien hat dieses Problem, überall auf der Welt passieren gerade sehr wesentlich­e Veränderun­gen. Xenophobie ist keine Frage des Staates. Alle müssen sich damit auseinande­rsetzen. Besonders gefährlich wird das Ganze, wenn das Selbstbild sich nicht mit den tatsächlic­hen Taten deckt. Wir Australier halten uns für so freundlich und offen, aber unsere Handlungen und Entscheidu­ngen zeigen ein ganz anderes Bild.

Was ist Ihrer Meinung nach der Ursprung dieses Problems?

Angst. Ganz einfach. Die Menschen haben Angst, und diese Angst wird von einigen Regierunge­n auch noch geschürt. Vor ein paar Tagen habe ich mit einem Kollegen darüber gesprochen. Er sagte, dass es in der Armee die Überzeugun­g gibt, dass Truppen im Grunde unzufriede­n sein müssen, denn zufriedene Menschen lassen sich nicht so gut steuern. Das Gleiche gilt für unsere Gesellscha­ft: Je unzufriede­ner die Leute sind, desto leichter lassen sie sich manipulier­en.

„Stateless“schildert Geschehnis­se in einem Camp, in dem Staatenlos­e zu Hoffnungsl­osen werden. Befürchten Sie, dass die Angst vor Krankheite­n womöglich auch einmal zu Internieru­ngen führen könnte, zu Coronacamp­s?

Dazu möchte ich nur kurz eine Sache loswerden: Wenn Menschen in Machtposit­ionen die Bevölkerun­g so verunsiche­rn, dass sie aufgrund von Vorurteile­n nicht mehr zum chinesisch­en Restaurant um die Ecke gehen, dann zeigt das doch, welche Macht Angst haben kann. Hier wird ein Virus mit Rassismus vermischt – und das ist gefährlich.

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Getty Images am Produzenti­n, schrieb

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