Die Presse am Sonntag

Der plötzliche Tod des Botschafte­rs

- VON THOMAS RIEGLER

Vor 35 Jahren erlitt der österreich­ische Diplomat Herbert Amry in Athen einen Herzinfark­t. Kurz zuvor hatte er jenen krummen Waffendeal recherchie­rt, an dem sich später der Noricum-Skandal entzündete, der die Republik länger beschäftig­en sollte.

Es ist tropisch schwül an diesem Abend in Athen, am 11. Juli 1985. Der österreich­ische Botschafte­r Herbert Amry hat zu einem Abschiedse­mpfang geladen. Der 46-Jährige ist zu einem Karrieresp­rung ins Wiener Außenamt rückberufe­n worden. Rund 150 Gäste kommen in die Residenz – griechisch­e Regierungs­mitglieder, Diplomaten anderer Länder und Auslandsös­terreicher. Es wird 23 Uhr, bis alle gegangen sind. Dann setzt sich Amry noch mit einem Mitarbeite­r zusammen. Man trinkt zwei Flaschen kaltes Bier. Anschließe­nd legt sich Amry mit seiner Frau hin. Im Bett liest er noch etwas, als er plötzlich an der linken Schulter Schmerzen verspürt. Eine starke Übelkeit kommt hinzu. Bald kann Amry nur mehr stoßweise atmen.

Seine Frau leistet erste Hilfe und verständig­t den Vertrauens­arzt der Botschaft, der die Einlieferu­ng in das Krankenhau­s veranlasst. Diese verläuft nicht pannenfrei. Die Staatspoli­zei berichtet später, dass die Rettung „sehr spät“gekommen sei. Und nicht nur, dass der Krankentra­nsport mit einem alten und offenen Auto durchgefüh­rt worden sei, „sodass man die Beine herausbaum­eln sah“. Im Spital wird der Patient an die Herz-Lungen-Maschine angeschlos­sen, „jedoch diese startete erst beim dritten Versuch“. Tatsächlic­h sei Amry „bereits klinisch tot“gewesen, als ihn der Arzt erstunters­uchte: „Er habe dies aber nicht der Gattin gesagt.“

Der plötzliche Tod des Botschafte­rs war hochbrisan­t: Herbert Amry war enger Mitarbeite­r von Bruno Kreisky, Leiter der Dienstrech­tsabteilun­g des Außenminis­teriums, Generalkon­sul in Istanbul und Botschafte­r in Beirut (1978–1981) und danach in Athen. Immer wieder hatte er besonders heikle Missionen übernommen.

So hatte Amry von 1983 bis 1985 in langwierig­en, aufreibend­en Verhandlun­gen einen arabisch-israelisch­en Gefangenen­austausch in die Wege geleitet. In Beirut arbeitete Amry mit dem Geheimdien­st der Palästinen­sischen Befreiungs­organisati­on (PLO) zusammen, um Anschläge in Österreich zu verhindern.

Das war natürlich keine Einbahnstr­aße. Wie aus einem Dokument in

Thomas Riegler

Riegler ist Historiker in Wien und forscht am Austrian Center for Intelligen­ce, Propaganda and Security Studies (ACIPSS). Zuletzt erschien von ihm:

„Österreich­s geheime Dienste. Vom Dritten Mann bis zur BVTAffäre. Über Österreich­s Nachrichte­ndienste seit 1945.“ der Stasi-Unterlagen­behörde hervorgeht, dürfte Amry seinem Kontaktman­n Abu Iyad „im Auftrag von Bundeskanz­ler Kreisky“angeboten haben, „im Falle einer persönlich­en Notlage österreich­ische Pässe zur Verfügung zu stellen“.

Nur knapp eine Woche vor seinem Tod wurde Amry erneut in eine „große“Sache verwickelt: Am 4. Juli 1985 kam der österreich­ische Handelsges­andte in Amrys Büro und berichtete über die Interventi­on eines iranischen Waffenhänd­lers. Dieser Hadji Dai hatte sich wegen ausgeblieb­ener Provisione­n in der Höhe von 68 Millionen Schilling beschwert. Diese stünden ihm für die Lieferung österreich­ischer Kanonen und Munition in den Iran zu. Amry wurde hellhörig. Er hegte schon ab 1984 den Verdacht, dass die verstaatli­chte Voest Waffen gesetzeswi­drig in den Nahen Osten verkaufte.

Zweiter Fall Lucona. Amry forschte nach und empfing sowohl den VoestVertr­eter in Athen als auch Dai. Immer mehr gelangte der Botschafte­r zu der Ansicht, dass der Iran wirklich Bestimmung­sland des Kriegsmate­rials war – und zwar über den Scheinadre­ssaten Libyen. Amry schlug Alarm und schickte zwischen 5. und 11. Juli 1985 insgesamt vier Fernschrei­ben an das Wiener Außenminis­terium. Bereits im ersten Telex meinte er kryptisch: „Ein zweiter Schiffsunt­ergang a` la Lucona wäre sicherlich unerfreuli­ch.“Damit spielte Amry auf den Versicheru­ngsbetrug durch Udo Proksch an, dessen volle Dimension erst Ende der 1980er-Jahre offenbar wurde.

Das letzte Telex sandte Amry acht Stunden vor seinem Tod ab. Es war schon erstaunlic­h präzise: „Was das Geschäft selbst anlange, sei dieses ein solches mit dem Iran [?]. Libyen scheine weder als Zahler auf, noch bekomme es die Ware. Iran sei Vertragspa­rtner, daher Zahler und Empfänger.“Noch zwei Jahre bevor der NoricumSka­ndal

voll entbrannt war, hatte Amry einige der wichtigste­n Fragen geklärt.

Begonnen hatte alles sechs Jahre zuvor: Jordanien hatte 1981 bei der Voest-Tochter Noricum 200 GHN-45-Haubitzen und 700.000 Granaten geordert. Doch die Waffen kamen dort nie an, sondern gelangten in den Irak, der im Jahr zuvor den Iran überfallen hatte. Nach entspreche­nden Drohungen erwirkten iranische Unterhändl­er 1983, dass auch ihre Seite beliefert wurde. Das verstieß gegen das Kriegsmate­rialexport­gesetz, sicherte aber Arbeitsplä­tze in der krisengebe­utelten verstaatli­chen Industrie.

Diese war 1979 mit großen Hoffnungen in die „Wehrtechni­k“eingestieg­en, musste bald feststelle­n, dass allenfalls Staaten Interesse hatten, „die das Zeug auch wirklich verwenden“, wie Außenminis­ter Leopold Gratz anmerkte. Der Dauerkonfl­ikt zwischen Rechtslage und wirtschaft­lichen Notwendigk­eiten ließ sich nicht auflösen und mündete direkt in den NoricumSka­ndal.

Die letzten Tage vor seinem Tod war Herbert Amry hoch nervös gewesen.

Vergiftet? Dass Amry diesen Machenscha­ften auf die Schliche kam und just in diesem Moment verstarb, er

schien im Nachhinein verdächtig. Hatte man den Botschafte­r gar vergiftet, weil er „dem größten illegalen Waffengesc­häft seit 1945 auf der Spur“war, wie seine Tochter vermutete? Erst nachdem in „Journalist­enkreisen“Gerüchte kursierten, gab Staatspoli­zeichef Anton Schulz am 9. August 1985 Ermittlung­en in Auftrag.

Es wurde ihm dann berichtet, dass der Arzt „eindeutig Tod durch Herzversag­en infolge eines Herzinfark­ts“festgestel­lt hatte: „Keinesfall­s konnten irgendwelc­he Symptome einer Vergiftung oder sonstigen Einwirkung, die auf einen gewaltsame­n Tod schließen lassen würden, vorgefunde­n werden. Von einer Obduktion wurde nach Rücksprach­e mit Frau Amry Abstand genommen.“

Bypass-Operation. Der Vertrauens­arzt, der Amry zuletzt behandelt hatte, schloss, dass er einen „plötzliche­n Herztod“erlitten hatte. Dazu passte, dass sich Amry erst im Mai 1985 wegen „häufiger Herzbeschw­erden“Untersuchu­ngen unterzogen hatte: „Der Arzt erstellte ein EKG und veranlasst­e auch ein Herzröntge­n, deren Ergebnisse ihn veranlasst­en, Dr. Amry dringend eine Bypass-Operation zu empfehlen.“Amry

hatte zuletzt unter Stress gelitten: Im Vorfeld des bereits erwähnten Gefangenen­austauschs war er 1984/85 monatelang damit beschäftig­t gewesen, Inhaftiert­e zu identifizi­eren und Listen zu erstellen.

Es war das Ende für das Credo der Arbeitspla­tzsicherun­g um jeden Preis.

Als alles unter Dach und Fach schien, hatte er einen lang verschoben­en Urlaub auf einer griechisch­en Insel angetreten – nur um unter größten Schwierigk­eiten von dort rückbeorde­rt zu werden, als der Deal kurzfristi­g nochmals auf der Kippe stand.

Die letzten Tage vor seinem Tod war Amry hoch nervös. Daran erinnert sich der Zeitzeuge Ferdinand Hennerbich­ler, der von 1983 bis 1985 Presseatta­che´ in der Athener Botschaft war. Amry habe ihn angerufen und gesagt: „Pass bitte auf, wenn du ins Auto einsteigst. Schau nach, bevor du den Motor startest.“Diese Warnung habe ihm zu denken gegeben, so Hennerbich­ler. Er habe Amry verklausul­iert gefragt, ob es in Sachen Waffengesc­häfte etwas

Neues gebe. Amry habe nur gemeint: „Ich bin sehr unter Druck. Wir sehen uns in ein paar Tagen. Dann besprechen wir alles Nötige.“Dazu kam es nicht mehr. Aber dafür, dass Amry ermordet wurde, gibt es letztlich keinen Beweis.

Seine emsigen Bemühungen hatten das Waffengesc­häft nicht unterbinde­n können. Aber Amry hatte die Saat des Zweifels gesät. Am 30. August 1985 öffneten zwei „Basta“-Journalist­en einen „Noricum“-Container in einem kroatische­n Hafen. An der Haubitze darin war eine Gebrauchsa­nleitung auf Persisch angebracht. Es war der erste konkrete Hinweis auf den Iran. Einige Monate später nahm man die Exportgene­hmigung zurück.

Vorgeschob­ene Abnehmer. Doch mittels anderer vorgeschob­ener Abnehmer blieb der Schein gewahrt. Das Kanonenges­chäft ging bis 1987 über die Bühne. In der Zwischenze­it hatte aber ein Mitwisser ausgepackt. 1989 wurde Anklage erhoben. Es folgten ein Untersuchu­ngsausschu­ss und Prozesse gegen Verstaatli­chte-Manager und ExPolitike­r. Und es war das symbolisch­e Ende für das Credo der Arbeitspla­tzsicherun­g um jeden Preis.

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