Die Presse am Sonntag

LOYALE MINDERHEIT­EN

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Als Bashar al-Assad im Juli 2000 die Nachfolge seines kurz zuvor verstorben­en Vaters Hafez al-Assad antrat, galt er als Reformer. Der ältere Assad hatte Syrien seit 1970 mit harter Hand regiert. Bashar erhielt beim Amtsantrit­t viele Vorschussl­orbeeren, nicht zuletzt, weil er noch so jung war: Für den damals 34-Jährigen änderte das syrische Parlament eigens die Verfassung, die bis dahin ein Mindestalt­er von 40 Jahren für das Präsidente­namt vorsah. Bei der Präsidente­nwahl am 10. Juli 2000 trat er als einziger Kandidat an und erhielt 97 Prozent der Stimmen.

Die Euphorie währte nicht lang. Assad ließ Reformanhä­nger festnehmen und entlarvte so sein Image als Reformer als Trugbild. Im Jahr 2011 reagierte Assad mit Waffengewa­lt auf Forderunge­n nach mehr Demokratie – seitdem herrscht in Syrien Krieg, der Hunderttau­sende Menschen das Leben gekostet und Millionen heimatlos gemacht hat.

Ein wichtiger Garant von Assads Macht ist die religiöse Minderheit, zu der sein Clan gehört: die Alawiten. Die Glaubensge­meinschaft, die 2,5 Millionen der etwa 20 Millionen Syrer stellt, steht dem schiitisch­en Islam nahe und ist im Laufe der Geschichte häufig von sunnitisch­en Muslimen, die in Syrien die Mehrheit bilden, verfolgt und unterdrück­t worden. Unter Assads Vater Hafez wurden die Alawiten in Armee und Regierung zu Stützen des Regimes. Ihre Loyalität zum jüngeren Assad erklärt sich nicht zuletzt aus der Furcht

ihm Abschied zu nehmen. Paul und seine Frau haben zudem Spenden gesammelt, um die Töchter des Verstorben­en durch die unsichere Zeit zu bringen. Der Familienva­ter hatte wie Paul bei der Lebensmitt­elverteilu­ng mitgeholfe­n. Er ist einer von offiziell knapp 90 Verstorben­en unter etwa 2360 Personen, die sich in Dharavi mit dem Virus infiziert haben. Viele Slumbewohn­er hatten über Nacht ihr Einkommen verloren, die Stadtverwa­ltung allein konnte die Versorgung nicht bewältigen. Also packten private Initiative­n an und engagierte­n sich.

Ein grünes Coronamons­ter an der Wand mahnt die Slumbewohn­er zur Vorsicht.

Während die früh von der Epidemie betroffene Metropole Mumbai scheinbar das Schlimmste überstande­n hat, steigt die Zahl der Infektione­n andernorts stark an – wie im Norden mit Delhi oder in Südindien mit Chennai. Immer wieder kommt es in verschiede­nen Teilen des Landes zu örtlichen Ausgangsbe­schränkung­en, um Krankenhäu­ser und Gesundheit­smitarbeit­er zu entlasten, die oftmals an ihre Grenzen stoßen.

Sie spiegeln den Anstieg der nationalen Zahlen: Seit einer Woche steht Indien auf Platz drei der Länder mit den meisten Corona-Infektione­n weltweit. Über 830.760 Infektione­n gibt es derzeit in Indien; 522.631 Erkrankte haben sich inzwischen wieder erholt; offiziell starben in Indien über 22.000 Menschen an Covid-19.

Anfang Juli versprach Premiermin­ister Narendra Modi, kostenlose Lebensmitt­elrationen für 800 Millionen Menschen bis Mitte November zu verlängern. Es ist ein Eingeständ­nis, dass die Pandemie noch längst nicht zu Ende ist. Das gilt auch für Dharavi, das einen Etappensie­g feiern konnte. Deshalb bleibt auch die Bewohnerin Renuka Sonawane vorsichtig.

Immerhin hat Dr. Nazish Shaikh nun mehr Zeit, um sich wieder um werdende Mütter und die Neugeboren­en zu kümmern. „Wir weiten gerade das Immunisier­ungsprogra­mm aus“, sagt sie. Denn die Regenzeit, die ihre eigenen Herausford­erungen bringt, hat inzwischen eingesetzt.

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