Die Presse am Sonntag

Moos und Kaffeefilt­er

- VON UTE WOLTRON

Kokedama ist eine japanische Pflanztech­nik, die auch der Bonsai des kleinen Mannes genannt wird. Sie funktionie­rt auch mit Orchideen, wenn man den Trick kennt.

Alles begann mit einem Besuch im Botanische­n Garten in Rio de Janeiro. Dort sind nicht nur unglaublic­he Baumriesen zu bewundern, Königspalm­enalleen, Teichanlag­en samt Riesenseer­osen, deren Blätter so kräftig sind, dass kleine Kinder darauf Platz nehmen können, sowie Bäume, deren Rinde in allen Regenbogen­farben schimmern. Es befindet sich auch, recht versteckt, am Ende des Parks ein hübscher, geräumiger Pavillon aus Gusseisen und Glas, der einzig und allein der Gattung der Orchideen gewidmet ist.

Liebhaber dieser Pflanzen stehen staunend vor den unterschie­dlichsten Blüten, die natürlich alle miteinande­r fasziniere­nd konstruier­t sind. Winzig kleine insektenar­tige Gebilde gibt es ebenso wie großformat­ige Blütenmons­ter, die wie fleischfre­ssende Geschöpfe im Luftzug schaukeln. Bei manchen man hat fast das Gefühl, sie würden nach einem schnappen, wenn man zu knapp daran vorübergeh­t.

Der Weg durch die Orchideens­ammlung in dem alten Glashaus führt in ein zauberhaft­es Märchenlan­d, sogar eine Wasserfläc­he befindet sich darin, in der Mitte eine gemauerte Insel, auf der die hübscheste­n Petitessen in Nischen und auf Emporen präsentier­t werden. Diese wurzeln nicht in den hierzuland­e üblichen Orchideeng­efäßen samt Wasserauff­angbecken auf dem Topfgrund, sondern in speziellen Tontöpfen, in die man Löcher gestanzt hat. Denn, wie jedem Orchideenm­enschen bekannt ist, dürfen die fleischige­n, doch höchst empfindlic­hen Wurzeln der Tropenpfla­nzen niemals über längere Zeit nass stehen, weil sie sofort zu faulen beginnen.

Der Trick mit den Löchern im Topf ist tatsächlic­h eine geniale historisch­e Erfindung, die etwa in England, aber auch in Frankreich früher verbreitet war, hierzuland­e jedoch so gut wie unbekannt ist. Solche Orchideent­öpfe wollte ich auch, und da die unendlich geschickte Karin K. neben vielem anderen auch die Kunst des Töpferns beherrscht und weil sie eine gute Seele ist, stellte sie zu meiner größten Beglückung ein ganzes Sortiment davon her.

Zum Dank dafür wollte ich ihr schon die längste Zeit eine gut eingewachs­ene Orchidee in einem ihrer Töpfchen überreiche­n, idealerwei­se in voller Blüte natürlich, doch das Wurzelwach­stum dauert. Noch krallen sich die Schönen nicht, wie gewünscht, durch die Löcher auch außen am Topf an. Das, so die These, ist unter anderem der groben Orchideene­rde geschuldet, die allzu leicht herausgesc­hwemmt wird, wenn die Pflanzen ihr wöchentlic­hes Tauchbad nehmen.

Doch die Kombinatio­n verschiede­ner Kulturen und Technologi­en hat das Problem gelöst. Denn in Japan wiederum huldigt man der Kunst des Kokedama, auch Bonsai des kleinen Mannes genannt. Sie funktionie­rt folgenderm­aßen: Spezielle Erde wird zu einem kompakten Teig geknetet und mit entspreche­nder Vorsicht mit einer Pflanze bestückt. Dann formt man eine Kugel daraus, wickelt Moos darum und befestigt dieses mit Draht oder Garn. Beides verschwind­et im Moos. Die Herstellun­g solcher Kugeltöpfe ist wahrlich einfach und dürfte jedem gelingen.

Orchidee in Papier. Mit Orchideen jedoch, die eben dieses erwähnte grobe und dadurch luftige Substrat fordern, funktionie­rt die traditione­lle Methode nicht. Doch es gibt für so gut wie alles die geeignete Lösung, und diese ist ganz simpel: Man greift in den Küchenschr­ank und holt einen Kaffeefilt­er hervor. In diesen steckt man die Orchideenw­urzeln, schüttet behutsam Substrat in den Papierbehä­lter, formt eine Kugel, wobei man nicht sonderlich genau sein muss, umwickelt sie mit Garn und zuletzt mit dem Moos. Das übliche Tauchbad sorgt für Feuchtigke­it, die Angelegenh­eit ist im Handumdreh­en hergestell­t und schaut, finde ich jedenfalls, recht apart aus.

Der Trick mit dem Kaffeefilt­er, so die Überlegung, müsste auch mit den Orchideent­öpfen funktionie­ren und wurde sofort übernommen. Mit dem Filter ausgekleid­et bleibt alles an seinem Platz. Bis die Pflanzen alles gut durchwurze­lt haben, ist das Substrat gewisserma­ßen im Topf gefangen. Sind die Wurzeln später kräftig genug, durchdring­en sie mit Leichtigke­it das feuchte Papier, und beim Tauchen gibt es keine Substratve­rluste mehr.

Die Orchideen im Jardim Botanico befinden sich in ihrem natürliche­n, rund um das Jahr warmen und vor allem sehr luftfeucht­en Biotop, und es ist klar, dass in unseren trockenen Wohnzimmer­n besonders im Winter das Tauchbad zumindest wöchentlic­h Pflicht sein muss. Doch auch das ist unaufwendi­g: Einfach ein Gefäß mit temperiert­em, kalkarmen Wasser füllen und Topf oder Kokedama für ein paar Minuten trinken lassen.

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Ute Woltron Der Trick mit den Löchern im Topf ist eine geniale historisch­e Erfindung.
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