Was für ein langer und seltsamer Trip:
Ja, man kann trotz Corona wieder reisen. Aber meist nur unter Einschränkungen, mit Maske, Abstand und Sorgen. Unbeschwerter (und preisgünstiger) sind Reisen im Kopf, mit dem Finger auf der Landkarte. Die Popgeschichte hat da einiges zu bieten. Von Liverpool über Venice Beach bis ins Pfefferland: eine Rundfahrt.
Travel is the key“, notierte die junge Poetin Patti Smith 1973, zwei Jahre bevor sie zur Rocksängerin wurde – und in den Songs ihres ersten Albums, „Horses“, ins „Land of a Thousand Dances“, nach Redondo Beach und ins Birdland reiste. Reisen ist der Schlüssel: gutes Motto. Zugleich ein Bekenntnis zu den Werten der Hippiegeneration, zu der Patti Smith, so sehr sie Punk sein wollte, im Kopf gehörte. Zu diesen Werten gehört auch die Reise, womöglich ohne Ziel und Endstation. Auf „Permanent Vacation“, wie Jim Jarmusch 1980 einen Film nannte, in dem die Hauptperson freilich gar nicht hippiemäßig nur durch Manhattan reist.
„Als ich die Erwachsenenwelt mit 15 verließ, ging ich auf Urlaub, und das bin ich immer noch“, sagte Jerry Garcia (1942–1995), Gitarrist der großen kalifornischen Hippieband Grateful Dead, der sich gern „Captain Trip“nennen ließ. „What a long, strange trip it’s been“, war eine Schlüsselzeile der Grateful Dead im Fernfahrer-Song „Truckin’“. Mit dieser Sehnsucht nach langen Reisen durchs weite Nordamerika schlossen die Hippies an die literarische Beat Generation an. An Jack Kerouac etwa, dessen freiheitstrunkene Fahrten in „On The Road“(1957) freilich von Jazz, genauer von Bebop begleitet wurden, nicht von Rock ’n’ Roll. Auch nicht von psychedelischen Gitarren-Exkursionen a` la Grateful Dead. Von Drogen sehr wohl: Kerouacs dritter Roman, „The Subterreans“, erschien auf Deutsch unter dem Titel „Bebop, Bars und weißes Pulver“.
LSD war damals noch nicht dabei. Kerouac nahm es nur einmal, auf Anraten von Allen Ginsberg, um seine Trunksucht zu heilen. Es soll für ihn eine schreckliche Erfahrung gewesen sein. Doch spätestens seit Roger Cormans LSD-Film „The Trip“(1967) war die zweite Bedeutung des Wortes Trip – Drogenrausch – in der amerikanischen Gegenkultur verbreitet. Das Wort erfuhr bald noch eine Begriffserweiterung: Wer sich, wie damals üblich, für Buddhismus oder Tarotkarten interessierte, war auf dem Buddhismusoder auf dem Tarot-Trip. Und heute noch fragen nüchternste Menschen ohne jede LSD-Erfahrung, wenn sie sich über ein ungewöhnliches Hobby eines Mitmenschen wundern: „Ja, auf welchem Trip bist denn du?“
Von 1967 bis tief in die Siebzigerjahre war ein Trip immer hip: nach Indien. Als einer der ersten hatte George Harrison die Reize dieses Subkontinents entdeckt. Er gewann auch seine Mit-Beatles für eine gemeinsame Exkursion nach Rishikesh, zu einem Kurs für transzendentale Meditation. Nur Ringo Starr brach den Aufenthalt vorzeitig ab: Er habe ihn an die Butlins-Ferienlager seiner Kindheit erinnert, sagte er. Harrison selbst kam durch diese Reise darauf, dass man eigentlich gar nicht reisen müsse, zumindest nicht durch die Außenwelt. Dieser Überzeugung verlieh er gleich in „The Inner Light“(1968) Ausdruck. Ohne seine Wohnung zu verlassen, könne er alles auf Erden erfahren, sang er zur sirrenden Sitar: „The farther one travels, the less one knows.“Mit diesem Lied hat die Tourismusbranche keine Freude.
Mit den beiden im Jahr davor erschienenen Songs seiner Kollegen John Lennon und Paul McCartney, „Strawberry Fields Forever“und „Penny Lane“, hingegen schon – zumindest die Tourismusbranche in Liverpool. Bis heute locken diese Lieder ganze Scharen zur „Magical Mystery Tour“an die Orte, die sie inspiriert haben. Das war durchaus ein Argument in der Debatte, ob man die Penny Lane, die angeblich nach einem Sklavenhändler benannt ist, umbenennen solle.
Mit Kathy durch Amerika. Ähnliche Sogwirkung haben unzählige Popsongs. Sie nennen Orte und Straßen – am besten beim Namen (auch wenn U2 das verweigerten: „Where the Streets Have No Name“). Sie wecken damit Heimweh oder Fernweh, je nachdem. Manchmal sogar beides. „Homeward Bound“von Simon & Garfunkel etwa kann einen Menschen rühren, der schon lang nicht daheim war, aber auch einen, der von den langen amerikanischen Straßen träumt, auf denen das Lied offenbar spielt. In Wirklichkeit schrieb Paul Simon es 1965 in England, am Bahnhof des Städtchens Widnes, wo er auf seine Freundin Kathy wartete. Richtig: die aus „Kathy’s Song“und aus „America“, wo er in Pittsburgh zu Kathy sehnsuchtsvoll sagt: „Michigan seems like a dream to me now.“
So kann man mit diesem Lied in Nordengland von Michigan träumen, vielleicht sogar umgekehrt. Wobei es einem Briten dort gehen könnte wie dem in Friedrich Torbergs „Die Erben der Tante Jolesch“geschilderten Emigranten, der zugibt, dass auch ihn der Lake Lucerne in Maine an den Altausseer See erinnert hat. Er fügt allerdings trübsinnig hinzu: „Aber eines ist merkwürdig: Der Altausseer See hat mich nie an den Lake Lucerne erinnert.“
Mit »The Inner Light« von den Beatles hat die Tourismusbranche keine Freude.
Der Highway 61 führt nicht überall hin – zum Beispiel nicht nach
Key West.
Reden wir einmal nicht vom Highway 61, nicht von Mobile, Memphis, Mississippi oder von der 4th Street: Bob Dylan hat in seinen Songs auch exotischere Orte besucht. Die Pyramiden etwa, die in „Isis“mit Eis bedeckt sind. Das mexikanische Durango, wo der Chili-Pfeffer wächst. Eine Lincoln County Road, deren Lage fast genauso rätselhaft ist wie jene der Desolation Row. Highlands und Lowlands sowieso. Er hat aber auch 1976 das ganz unschuldige Ferienlied „Mozambique“geschrieben, mit Ansichtskartenbildern wie: „The sunny sky is aqua blue, and all the couples dancing cheek to cheek.“Immerhin die Zeile „Among the lovely people living free“ließe sich als Referenz an die 1975 erreichte Unabhängigkeit von Mosambik interpretieren.
In eine ganz andere Idylle vertieft sich Dylan in „Key West (Philosopher Pirate)“, einem Song auf seinem jüngsten Album „Rough And Rowdy Ways“. Key West ist eine Insel im Golf von Mexiko, südlich von Florida. Wer die gleichnamige Stadt in Wikipedia sucht, findet ein Bild von einem Sonnenuntergang über dem Pier. „A paradise divine“sei es, singt Dylan zu einem sanften Akkordeon, „fine and fair, if you lost your mind, you’ll find it there“. Mehr noch: „Key West is the place to be, if you’re looking for immortality.“
Ein geschichtsloser Ort, im Gegensatz zu „Scarlet Town“(auf dem Album „Tempest“), wo ein kalter Wind weht, wo sich alles Menschliche versammelt: Whiskey, Morphium, Gin, dazu die sieben Weltwunder. „The evil and the good, livin’ side by side“, singt Dylan. Himmel, wo ist dieses scharlachrote Städtchen? Ist es wirklich Dylans Geburtsort Duluth? Sagen wir Ja – und reisen mit dem Finger von dort die Landkarte hinunter bis nach New Orleans. Immer den Highway 61 entlang.
Oder nach Ibiza? Seltsam, dass die Briten nicht beim grünen Gras ihrer Heimat blieben.
Das soll von Pink Floyd sein? Noch dazu aus ihrer majestätischen Frühsiebziger-Phase? Dieses sanft schunkelnde, von akustischer Gitarre und
Bar-Jazz-Klavier getriebene Lied namens „San Tropez“? Mit einem Text über die schlichten Freuden an der Coˆte d’Azur, ganz ohne Weltraum und Drogen? Ist es. Damals war das einstige Fischerdorf Saint-Tropez zwar schon hip, aber noch nicht ganz so teuer. Gut, Brigitte Bardot war gern dort, mit ihrem Playboy Gunter Sachs. Aber auch finanziell noch nicht ganz so erfolgreiche britische Popmusiker konnten sich einen Urlaub dort leisten, „ridin’ a wave in the wake of an old Sedan“, wie es im Lied heißt. Immerhin versucht sich Roger Waters darin nicht im Französischen wie seine Kollegen Paul McCartney in „Michelle“oder David Byrne in „Psycho Killer“. . .
Ein anderer Song aus der Frühzeit von Pink Floyd heißt übrigens „Ibiza Bar“. Die spanische Insel war damals noch ein Lieblingsort der Hippies. Zuverlässigere Fremdenführer sind Pink Floyd natürlich in ihrer Heimat, der englischen Universitätsstadt Cambridge. Den berauschend grünen Grantchester Meadows am Fluss Cam und dem „endless summer“an der dortigen „lazy water meadow“widmeten sie schon 1969 ein Stück. Auch das nostalgische „High Hopes“(Schlüsselzeile: „The grass was greener“) spielt dort. Indessen haben ganze Jahrgänge von Interrail-Reisenden bei der Zugfahrt nach London als erstes Gebäude dort die auf dem Cover von „Animals“verewigte Battersea Power Station erkannt – und konstatiert, dass dort im Alltag kein Schwein fliegt.
Branntweiner und Schule gibt es nur mehr im Song, aber die Kirchen stehen noch.
„Church house, gin house, school house, outhouse“: Generationen haben zu diesen heftig akzentuierten Silben wild getanzt, und so mancher hat sich gefragt: Was ist ein „outhouse“? Das, was man bei uns derb ein Häusel nennt, aber im Wortsinn – eine abseits des Hauses gelegene Toilette. Solche Örtlichkeiten gibt es heute auch in Nutbush, Tennessee, kaum mehr. Es gibt dort auch keine Schule und keinen Branntweiner mehr. Aber zwei Kirchen. In eine gehen eher die Weißen, in die andere die Schwarzen. Heute noch! Dort sang im Chor in den 1940er-Jahren Anna Mae Bullock, die als Tina Turner weltberühmt werden sollte. 1973 schrieb sie „Nutbush City Limits“. Ohne diesen Song würde kein Mensch das 260-Seelen-Dorf kennen. Mit ihm weiß die Welt sogar, dass es am Highway 19 liegt. Seit 2002 heißt ein Abschnitt dieser Autobahn „Tina Turner Highway“, von Nutbush bis nach Brownsville – jener texanischen Stadt, aus der Bob Dylans „Brownsville Girl“kommt. Doch das ist eine andere Geschichte.
Ausnahmsweise ein nicht virtueller Tipp: Wien-Wanderungen zu Austropop.
„Wenn der Tag kommt, lasst’s mi liegen auf der Nasen“, singt Ernst Molden – mit Ursula Strauss – auf seinem neuen Album „Wüdnis“. „Da kann i schau’n auf’d Kuchelau, hör i’s Donaulüfterl blasen, und der Leopoldsberg horcht zua.“Was für eine Vision: Auf der Nase des Leopoldsbergs, diesem für durchschnittlich sportliche Wiener höchst steilen Anstieg, die letzte Ruhe finden! Fortan kann man mit diesem Lied im Kopf den Nasenweg hinaufkeuchen und, nach einem zweiten Gipfelsieg am Kahlenberg (mit Einkehr am Würstelstand mit polnischer Karte), nach Nussdorf absteigen, um dort die Hammerschmidtgasse zu begehen, der Molden auch ein schönes Lied gewidmet hat. Er sage Servus zu ihr, singt er da, aber sie grüße ihn nicht retour. Vielleicht sollte er ihr das nächste Mal Flieder mitbringen, gepflückt am St. Marxer Friedhof? Eine Rose aus Stadlau? Eine andere Blume aus dem Gemeindebau?
Ja, mit neuem und altem Austropop kann man gut durch Wien wandern, auch in Coronazeiten. Nächste Tour: von Simmering zum Praterstern und dann in die Hirschstettner Sonne mit Liedern des Nino aus Wien. Fahrschein für die Rückfahrt (wir fahren ja U-Bahn auch, wie Falco sagen würde) und Regenschutz nicht vergessen.
Werden im gelobten Land an der Westküste die Blätter wirklich nie braun?
„I left my home in Norfolk, Virginia, California on my mind“: Spätestens seit Chuck Berry 1964 im Lied seine Reise quer durch die USA angetreten hat, steht fest, wohin es auch alle Rock’n’Roll-Herzen zieht: westwärts, ins „Promised Land“. Also nach Kalifornien, wo die Blätter nie braun sind und der Himmel nie grau, um „California Dreamin’“von The Mamas and the Papas zu zitieren. Es gibt unzählige Lieder über dieses gelobte Land. Von den Eagles etwa, die dort sogar ein imaginäres Hotel errichtet haben. Oder von den Beach Boys, deren „California Girls“Brian Wilson auf LSD-Trip beschrieben hat (Katy Perry und Snoop Dogg haben sie als „California Gurls“persifliert). Oder von Joni Mitchell, die in einem Pariser Park, auf einer griechischen Insel und auf einer Party in Spanien, in halb Europa also seufzt: „California, I’m coming home.“Und das, obwohl sie aus Kanada kommt.
Als alternative Reiseführerin schlagen wir Lana Del Rey vor, die der Westküste, wie es ihre Art ist, melancholische Aspekte abgewinnt. In ihrem „California“dreht sie die Perspektive weiter: Sie antwortet auf Joni Mitchell (die sie sogar wörtlich zitiert), indem sie einen Geliebten, der offenbar in Europa weilt, zurück nach Kalifornien lockt. Er solle sie besuchen, auch wenn er die Hitze nicht erträgt und den Blues hat.
In „Venice Bitch“, einem anderen Lied auf dem Album „Norman Fucking Rockwell“, wird ein kokettes Mädchen am Venice Beach von Los Angeles vom Herbst überrascht. „As the summer fades away“, singt Lana Del Rey, „nothing gold can stay.“Werden da am Ende auch die Blätter braun?
Sie verkörpern in Dieter Berners Spielfilm den Maler Egon Schiele. Er ist mit 28 an der Spanischen Grippe gestorben . . .
Noah Saavedra: Und hundert Jahre später kommt die nächste Pandemie. Hoffentlich wiederholt sich nicht all es,was sich damals danach ereignet hat.
Egon Schiele war Ihre erste Filmrolle?
Ich war noch an der Jungen Burg, als ich ein kleines Video online gestellt habe, in dem ich mich vorstellte. Das machen Schauspieler, die keine Agentur haben. Eineinhalb Jahre später wurde ich dann zu einem ominösen Casting eingeladen. Ich wusste nicht einmal, wer der Regisseur ist. Ich bin blauäugig und nervös da rein und hab gleich die Schuhe ausgezogen, weil ich mich zu wenig geerdet fühlte. Ich glaube, das hat ihm gefallen.
Wie war die Arbeit mit Dieter Berner?
Als ich die Zusage für die Hauptrolle bekommen hatte, wur de ich richtig nervös. Ich hatte ja noch nie einen Film gemacht. Aber ich hatte mit Dieter einen super Lehrer. Wir haben uns einein halb Jahre lang jeden Sonntag im Off-Theater getroffen, und er hat mir das Filmschauspielen nähergebracht.
Hatten Sie da schon Schauspielunterricht? Ich hatte zu dem Zeitpunkt fast noch keine Ausbildung. Und vor der Kamera muss man ganz anders spiele n.Umetwas von der Bühne in den vierten Rang zu übertragen, braucht man wesentlich mehr Kraft und Übung. Vor der Kamera muss man entspannt sein, loslassen, privat bleiben. Beim Drehen war ich vollkommen überfordert.
Wie lernt man, einen Maler zu spielen?
Ich war in der Akademie und an der Angewandten im Kurs für Aktzeichnen, um mich in diese Welt einzufühlen. Um zu verstehen, was es bedeutet, Menschen und Dinge so anzuschauen wie ein Maler.
Ich habe im Archiv Modefotos von Ihnen gefunden, die im „Schaufenster“der „Presse“erschienen sind. Modeln Sie noch?
Ich war damals 18 oder 19 und wollte nebenbei Geld verdienen. Aber das ist gar nicht mein Metier. Ich mag es lieber, dass man Geschichten erzählt mit Charakteren, die man spielt.
Sie kommen aus Oberpullendorf. Wie war Ihr Weg von dort zur Schauspielerei?
Ich kenne Oberpullendorf nicht. Ich bin dort nur geboren. Aufgewachsen bin ich in Wien. Das mit der Schauspielerei kam relativ spät. Ich habe als Zivildiener in einem Kindergarten gearbeitet. Was ich super fand, war mit Kindern zu spielen: Ich bin der Vater, das grü ne Monster, die Fee – und es wird geglaubt. Eine Bekannte riet mir dann: Schau doch zur Jungen Burg, das ist was für Unentschiedene. Das habe ich getan. Dann kam ich ans Konservatorium in Wien und von dort an die Ernst-Busch-Schule nach Berlin.