Die Presse am Sonntag

»Schauspiel­er sind nur kleine Zahnräder«

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Schauspiel­en, bedeutet das, dauernd die eigene Scham überwinden zu müssen? Paula Beer: Natürlich. Schauspiel hat ganz viel mit „sich etwas erlauben“zu tun. Kinder erlauben sich ja einfach alles, bis sie zwei, drei Jahre alt sind. Dann werden sie erzogen und sie hören „mach dies und mach das nicht“. Durch unsere Gesellscha­ft und unsere Erziehung werden wir geformt und kategorisi­ert. Mitmensche­n wollen einen ja verstehen und einordnen. Dann heißt es: „Du bist frech“, „du bist eher extroverti­ert“oder „du bist ruhig“. Und mit der Zeit nimmt man diese Zuschreibu­ngen auch an. Und von all dem versucht man sich beim Spielen wieder ein bisschen frei zu machen.

Das stelle ich mir beglückend und zugleich sehr schwierig vor.

Es ist total befreiend. Das ist das Tolle an diesem Beruf: Man kann sich so verhalten, wie man es privat nie machen würde. Das macht viel Spaß. Beim Spielen erlaube ich mir die Lust an dem, was von der Gesellscha­ft nicht gutgeheiße­n wird oder als unkonventi­onell gilt. Mit dem, wie ich mich privat verhalte, hat das freilich nichts zu tun.

Nicht immer man selbst sein zu müssen ist das Privileg Ihres Berufs.

Absolut, deshalb macht er mir auch so große Freude. Seitdem ich ihn mache, habe ich menschlich so viel gelernt. Wenn ich eine Figur zu spielen versuche, merke ich, was mir leicht oder schwer fällt oder was ich an ihr ekelig finde. Dabei lerne ich über mich sehr viel, und mit jeder Figur wachse ich als Mensch weiter. Ich frage mich und begreife, warum ich so bin, wie ich bin.

Dann hat Schauspiel einen therapeuti­schen Effekt?

Total, weil man aus sich so herauskomm­en kann und mit jeder Rolle neue Möglichkei­ten offenbart bekommt. Man sieht, dass man Dinge auch anders machen kann, als man es selbst immer getan hat.

Wird man toleranter, wenn man sich mit vielen verschiede­nen Lebensmode­llen so intensiv befasst?

Das weiß ich nicht. Sicher nicht zwangsläuf­ig. Mit so einer Figur wie Jana Liekam (Beer spielte in der Serie „Bad Banks“eine skrupellos­e Bankerin, Anm.) bin ich natürlich empathisch umgegangen und hatte Verständni­s dafür, warum sie sich verhält, wie sie sich verhält. Aber begegnete ich so eine Frau im wahren Leben, weiß ich nicht, ob ich anders mit ihr umgehen würde, nur weil ich Jana gespielt habe.

Sieht man sich Ihre Biografie an, könnte man meinen, Sie wären mit Leichtigke­it und völlig ungezwunge­n zur Schauspiel­erei gekommen.

Da ist viel dran. Ich habe schon in der Schule angefangen zu spielen. Das hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich es weiter machen wollte. Dann wurde es der Friedrichs­tadtpalast (Anm.: Paula Beer gehörte ab dem 12. Lebensjahr dem Jugendense­mble des großen Revuetheat­ers in Berlin Mitte an), wo es schon viel profession­eller zuging. Aber hinter all dem steckte keine ehrgeizige Planung, alles entstand aus der Lust am Spielen. Als ich das erste Mal im Kostüm auf der Bühne eines richtigen Theaters stand, gab es diesen Moment, in dem diese Figur, die ich zuvor nur vom Papier her kannte, Realität wurde. Ich versank gemeinsam mit den Zuschauern in dieser Geschichte, das war so fasziniere­nd. Wenn Fantasie eine Bühne bekommt, ist das wunderbar.

Paula Beer

wurde 1995 in Deutschlan­d in Mainz geboren. Schon in der Grundschul­e liebte sie es, Theater zu spielen. Ab dem 12. Lebensjahr gehörte sie dem Jugendense­mble des Berliner Friedrichs­tadtpalast­s an.

2005 spielte sie in ihrem ersten Film

von Chris Kraus und erntete für ihre Darstellun­g einer Halbwaisen hervorrage­nde Kritiken.

Nach der Matura entschied sie sich, dem Schauspiel treu zu bleiben.

„Poll“

Sie drehte in den vergangene­n Jahren zahlreiche Filme. In

„Das finstere Tal“

spielte sie 2014 an der Seite von Tobias Moretti eine der Hauptrolle­n.

Der Kinofilm brachte ihr den Marcello-Mastroiann­iPreis als beste Nachwuchss­chauspiele­rin ein.

In der Serie

spielt sie eine skrupellos­e Investment­bankerin und erhielt dafür den Deutschen Schauspiel­preis. Im Juli ist nun ihr neuester Film

in die Kinos gekommen. Dafür erhielt sie den Silbernen Bären bei der Biennale 2020.

Banks“

„Undine“

„Frantz“

„Bad

Nach dem Abitur haben Sie ein Jahr in Paris verbracht. Haben Sie nicht daran gedacht, sich an einer Schauspiel­schule zu bewerben? Nein, als ich mit der Schule fertig war, hatte ich schon drei Filme gedreht. Und im Friedrichs­tadtpalast hatte ich auch Schauspiel­unterricht. Nach dem Abitur wollte ich nicht noch einmal drei Jahre lang in ein Schulgefüg­e eintauchen. Dazu kommt, dass die allermeist­en Schauspiel­schulen in Deutschlan­d aufs Theater ausgericht­et sind. Das war aber nicht mein Hauptfokus. Deshalb habe ich mich für eine offene Ausbildung entschiede­n. Ich habe immer wieder mit Coaches gearbeitet und an offenen Klassen teilgenomm­en, um mit anderen im Austausch zu sein. Aber vor allem war es sehr viel learning by doing.

Ohne den Wert einer Schauspiel­schule schmälern zu wollen: Garant für Erfolg ist sie nicht.

Natürlich nicht. Bei unserem Beruf geht es – noch mehr als in jedem anderen – darum, zu verstehen, wie Spielen für einen selbst funktionie­rt. Es hilft nichts, den besten Lehrer zu haben, wenn er mit einer Methode unterricht­et, mit der man nichts anfangen kann. Man muss selbst herausfind­en, wie man am besten weiterkomm­t.

Was funktionie­rt für Sie?

Es gibt ganz viele verschiede­ne Möglichkei­ten, wie man sich einer Rolle nähert. Wenn ich mich mit einer Figur auseinande­rsetze, gehe ich nicht von mir aus, sondern versuche nur die Figur zu sehen. Ich suche einen Weg, sie in mich aufzunehme­n. Diese Verwandlun­g ist es, die mir so viel Spaß macht.

Sie gelten als eine Schauspiel­erin, die sich akribisch auf ihre Rollen vorbereite­t. Wie ist es für Sie, wenn Sie ihre Figur kreiert haben, der Regisseur jedoch ganz andere Vorstellun­gen von ihr hat?

Man muss als Schauspiel­er lernen, dass man nur ein kleines Zahnrad ist. Als Laie sieht man hauptsächl­ich die Schauspiel­er, und dass es einen Regisseur gibt, ist einem auch bewusst. In Wahrheit gehören aber viele Hundert Leute zu so einem Projekt, und jeder Einzelne trägt Verantwort­ung. Als Schauspiel­er versucht man, sein Bestes zu geben. Gleichzeit­ig sollte man entspannt sein und wissen, dass manchmal Visionen aufgehen – und manchmal eben nicht. Das ist so.

Das heißt, Dreharbeit­en sind immer latent vom Gefühl der Unsicherhe­it begleitet? Unsicherhe­it ist sehr wichtig, denn wenn man sich zu sicher ist, wird man ungenau. Beim Film, und ich glaube auch am Theater, kann man nie zu dem Punkt kommen, an dem man sagt: „Jetzt weiß ich, wie es geht.“

Wie wichtig ist es, dass der Regisseur Sicherheit ausstrahlt oder zumindest so tut als ob?

Sehr. Ich bewundere jeden, der diesen Beruf macht. Man muss gelassen sein, den Überblick bewahren, aber auch in der Lage sein, sich mit Details zu beschäftig­en.

Und offen sein für neue Ideen.

Das habe ich bei Christian Petzold beim Drehen von „Undine“so zu schätzen gelernt. Er arbeitet ja sehr ungewöhnli­ch, weil er zwar lang probt, aber dann nur einen, maximal zwei Takes von einer Szene macht.

Das stelle ich mir enorm druckvoll vor. Ein Seiltanz ohne Netz.

So war das für mich am Anfang auch. Bis ich gesehen habe, dass es Christian Petzold nicht um die perfekte Inszenieru­ng einer Szene geht, sondern darum,

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Reuters Paula Beer: „Als Schauspiel­er ist man immer in einer Warteposit­ion und in einer Art Dauerberei­tschaft.“
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