Die Presse am Sonntag

Ludwig: ÖVP könnte Hebein mit Neos zur Bürgermeis­terin küren

- VON RAINER NOWAK UND DIETMAR NEUWIRTH

Der Wiener Bürgermeis­ter warnt im Interview vor einer Koalition gegen die SPÖ, wirft Türkis-Grün Corona-Panikmache vor, wehrt sich gegen den Vorwurf, mit dem Gastro-Gutschein Wahlkampf zu treiben und erklärt, warum er während des Lockdown der Bundesregi­erung öffentlich nicht widersproc­hen hat.

Man hat den Eindruck, Sie gehen den Wahlkampf eher gemütlich an. Als ob Sie schon 20 Jahre Bürgermeis­ter wären.

Michael Ludwig: Die Wiener haben sich im Sommer eine politikfre­ie Zeit verdient. Anfang September ist Zeit genug, mit dem Wahlkampf zu beginnen. Wir sind aufgerufen, in einer schweren Krise für die Wiener Bevölkerun­g zu arbeiten, und nicht Wahlkampf zu führen.

Wie schlimm ist die Situation?

Wir sind in Wien sehr gut durch die Krise gekommen, auch im Vergleich mit anderen Großstädte­n. Wir haben von Beginn an sehr schnell und konsequent Maßnahmen ergriffen.

Aktuell gibt es Probleme mit Rückkehrer­n aus Westbalkan­staaten besonders in Oberösterr­eich. Es wäre ein Wunder, wenn Wien mit seiner starken serbischen und kroatische­n Community nicht betroffen sein würde.

Und es gibt viele Wiener, die in diese Länder auf Urlaub fahren und unter Umständen das Virus mitbringen. Deshalb verlange ich von der Bundesregi­erung, dass sehr konsequent an der Grenze kontrollie­rt wird. Wenn einmal die Personen in einer Großstadt wie Wien sind, ist es sehr viel schwierige­r, die Ausbreitun­g zu unterbinde­n.

Sind Ihnen die Grenzkontr­ollen zu lax?

Mir erzählen viele, die mit dem Auto oder mit Autobussen über die Grenze kommen, dass sie ohne Kontrolle die Grenze passiert haben. Das ist für mich nicht zufriedens­tellend.

Sie haben zu Beginn der Coronakris­e eng mit der Bundesregi­erung zusammenge­arbeitet und gemeint, keinen Streit auf der Kapitänsbr­ücke zu wollen. Würden Sie das wieder genauso machen?

Ich würde das wieder so machen. In einer Krise ist es notwendig, einen nationalen Schultersc­hluss einzuhalte­n, wie er von der Bundesregi­erung gefordert worden ist. Wobei Schultersc­hluss

4. August ein merkwürdig­es Bild in einer Zeit ist, in der man räumliche Distanz halten soll. Ich war sehr enttäuscht, dass bei der ersten Gelegenhei­t, als es ein Abklingen der Infektions­zahlen gegeben hat, sofort wieder ein Wien-Bashing eingesetzt hat. Das war klar erkennbar Wiener Wahlkampf. Dass der Innenminis­ter auch Bezirkspar­teiobmann der ÖVP in Hietzing ist, ist bekannt. Der Verdacht lag nahe, dass es nicht nur die Sorge um die Wiener Bevölkerun­g ist, die ihn zu ständigem Mahnen veranlasst hat, sondern dass es ein innenpolit­isches Interesse gibt.

Das könnte man Ihnen und Stadtrat Peter Hacker aber auch vorwerfen.

Wir haben uns sehr disziplini­ert an alle Vereinbaru­ngen mit der Bundesregi­erung gehalten. Wir hätten genug Anlässe gehabt, Maßnahmen der Bundesregi­erung zu kritisiere­n.

Welche denn beispielsw­eise?

Wenn ich an die verschiede­nen Verordnung­en denke: Da war für uns von Anfang an klar, dass die nicht korreliere­n mit dem, was in den verschiede­nsten Pressekonf­erenzen mitgeteilt wurde. Trotzdem haben wir aus Verantwort­ung und Unterstütz­ung in Krisenzeit­en das nicht thematisie­rt, weil eine Verunsiche­rung der Bevölkerun­g nicht zielführen­d gewesen wäre.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Sebastian Kurz?

Ein profession­elles. Ich bin auch Präsident des österreich­ischen Städtebund­s, und in dieser Funktion muss ich deutlich machen, dass Maßnahmen, die von der Bundesregi­erung gesetzt werden, auch die Städte und Gemeinden miteinschl­ießen müssen. Das stößt manchmal aufseiten der Bundesregi­erung auf Irritation. Das muss ich in Kauf nehmen.

Orten Sie bei türkisen Politikern so etwas wie einen Wien-Komplex?

28. August

Wien tritt sehr selbstbewu­sst auf, und das zu recht. Das erscheint nicht allen in der Bundesregi­erung sehr angenehm. Wir argumentie­ren immer mit sehr guten Gründen, im Regelfall gar nicht so sehr in der Öffentlich­keit. Aber wir wollen gehört werden. Es ist gut, Wien zu unterstütz­en, weil das gut für ganz Österreich ist.

Zu Coronabegi­nn hat Stadtrat Hacker eher den schwedisch­en Weg propagiert und wenig von den strengen Maßnahmen der Regierung gehalten. Haben Sie ihn da dann zurückgepf­iffen?

Mir war es als Wiener Bürgermeis­ter wichtig, dass wir in der Krise ein gutes Einvernehm­en mit der Bundesregi­erung pflegen. Nachdem ich die Letztveran­twortung in Wien trage, ist dieser Weg von allen Mitglieder­n der Stadtregie­rung genau so getragen worden.

War Ihnen Stadtrat Hacker zu offensiv? Nein, es ist sinnvoll, dass man, nicht zwingend in der Öffentlich­keit, im Kreis politisch Verantwort­licher offen über die verschiede­nen Vorschläge der Experten vorbehaltl­os diskutiert.

Hat die Regierung Angst geschürt?

Man verliert an Vertrauen, wenn man mit Angst und Panikmache auftritt und sich nachher herausstel­lt, dass das zu keinem Zeitpunkt berechtigt war.

Hat die Regierung Angst und Panikmache betrieben?

Es war sicher ein Zuviel. Mir wäre lieber gewesen, man hätte mehr aufgeklärt, die Menschen mehr mitgenomme­n, sie nicht nur propagandi­stisch informiert. Denn wir müssen davon ausgehen, dass uns das Virus noch länger begleiten wird. Vertrauen sollte man nicht leichtfert­ig verspielen in der Politik.

War es ein Fehler, unter dem Motto „Koste es, was es wolle“zu suggeriere­n, dass der Staat tatsächlic­h allen helfen kann?

Es war eine Ansage, von der ich von Beginn an überzeugt war, dass sie so nicht eintreffen wird. Das Stimmungsb­ild in der Wirtschaft und bei vielen Arbeitnehm­ern zeigt, dass die hohen Ansprüche nicht erfüllt worden sind und sehr viele Enttäuschu­ngen ausgelöst haben.

Sehen Sie nicht die Gefahr, dass sich das Bild im Herbst weiter verdüstert?

Meine Sorge ist, dass für viele Unternehme­n die Krise noch spürbarer wird und dass es gravierend­e Auswirkung­en auf dem Arbeitsmar­kt geben wird. Wir müssen alle überlegen, wie diese wirtschaft­liche

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