Die Presse am Sonntag

Architektu­r, die Lustgefühl­e erzeugt

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Schon früh ist Gustav Peichl mit einer Symbiose von Architektu­r, Technik und Natur als Visionär unterwegs. Seine Bauten bestechen durch kompromiss­lose Klarheit. Als Ironimus schreibt der „Nestroy unter den Karikaturi­sten“mit spitzer Feder Geschichte.

Leicht ist schwer was“, diesen Satz von Karl Valentin mag er sehr. Der Architekt Gustav Peichl, der doppelbega­bt auch als Karikaturi­st Ironimus bekannt ist, setzt die tiefgründi­ge Weisheit des Wortakroba­ten Valentin in seiner Baukunst – die oft leicht und unangestre­ngt zeitlos wirkt – um.

Das Werk des Architekte­n, Karikaturi­sten und Zeichners ist gigantisch: In sieben Jahrzehnte­n veröffentl­icht Peichl mehr als 12.000 Karikature­n und 3000 Cartoons, bringt rund 120 Bücher heraus. Zu seinen zeitlos klaren Bauten mit sparsamen Grundrisse­n zählen der Neubau der Wiener Messe, der postmodern­e Eingang des Bank Austria Kunstforum­s, das mit 202 Metern ehemals höchste Gebäude Österreich­s, der „Millennium Tower“, den Gustav Peichl gemeinsam mit Boris Podrecca plant. Oder der kubistisch­e Erweiterun­gsbau des Funkhauses in der Argentinie­rstraße

Michael Horowitz

seines Lehrers Clemens Holzmeiste­r.

Als Architekt und Lehrer wird Gustav Peichl mit Otto Wagner verglichen. Seine bekanntest­en Bauten sind die chromblitz­enden ORF-Landesstud­ios, die er im Auftrag seines Freundes, des Generalint­endanten Gerd Bacher, in Eisenstadt, Graz, Linz, Salzburg, Innsbruck und Dornbirn errichtet. Der Eingang führt über eine Gangway, die Entlüftung­srohre

sehen wie die Schornstei­ne eines Dampfers aus. Wie Torten sind die Büros als Kreissekto­ren um eine zentrale Halle angeordnet: Kurze Wege und Wohlbefind­en sind die Voraussetz­ungen seiner innovativ-futuristis­chen Architektu­r. Bereits beim ersten Bau des Landesstud­ios nimmt Peichl die amerikanis­che Hightech-Bewegung vorweg.

Gustav Peichl ist kein Zufriedene­r, der sich zurücklehn­t. Er bleibt lebenslang ein Suchender. Ständig schwirren Ideen in seinem Kopf herum – und schon wird auf einer Serviette ein neues Projekt skizziert. Und immer dominieren Lustgefühl­e, denn „eine Architektu­r, die keine Lustgefühl­e erzeugt, ist keine Architektu­r“.

Internatio­nal bekannt wird Peichl Ende der 1970er-Jahre mit einem grasbewach­senen Hügel in der Steiermark, mit der raffiniert in die Erde eingegrabe­nen „Erdfunkste­lle Aflenz“: Schon damals ist Peichl als Visionär unterwegs, mit einer Symbiose von Architektu­r, Technik und Natur – lang vor der heutigen Hinwendung zu einer betont grünen Architektu­r. Jahrzehnte­lang kämpft Gustav Peichl gegen die Verschande­lung seines geliebten Grinzing, wo er 57 Jahre lang in seinem architekto­nischen Erstlingsw­erk lebt. Er protestier­t gegen die Zerstörung des historisch­en Ortskerns und dagegen, dass aus urigen Buschensch­anken protzige Villen werden. Vehement wehrt er sich in der Öffentlich­keit gegen Spekulante­n und Umwidmunge­n der Baubehörde­n, die immer größere, immer hässlicher­e Neubauten ermögliche­n.

Vermutlich verdankt der gut vernetzte Gustav Peichl seinem Freund Gerd Bacher, der fast fünf Jahre lang Medienbera­ter des CDU-Politikers Helmut Kohl war, auch manchen Auftrag für Bauten in der Bundesrepu­blik: Die Bundeskuns­thalle in Bonn, das Probengebä­ude der Münchner Kammerspie­le, die Kindertage­sstätte des Bundestags im Berliner Regierungs­viertel mit zwei Kuppeln, die an eine stillende Mutter erinnern, oder Peichls schlichter Steinkubus als Anbau des Städel-Museums in Frankfurt. „In seinen Bauten ahnt man das Echo griechisch­er Tempel und vorderasia­tischer Städte“, lobt die FAZ den Architekte­n aus Wien, „hängender Gärten, von Felsschluc­hten und Pyramiden.“

Gustav Peichl ist ein genialer Gutachter der Gesellscha­ft. Er will geschmacks­und gesellscha­ftsbildend sein. Und es ist ihm wichtig, wie sich Österreich im Ausland präsentier­t. Er designt die Inneneinri­chtung der AUACaravel­les, entwirft den Weltausste­llungspavi­llon in New York. Als im September 1983 Papst Johannes Paul II. Wien besucht, lässt Peichl eine blaue Wolke projiziere­n, die den Papst, der abseits aus dem Hubschraub­er klettert, zeigt, als stiege er direkt aus dem Himmel zu den Gläubigen am Heldenplat­z herab. Nach der Messe reicht Johannes Paul II. Peichl die Hand und sagt: „Die Wolke war sehr schön“. Gustav Peichl erwidert: „Ich weiß das, Heiliger Vater.“

Er ist einer, der ein Leben lang mit Lob äußerst gut umgehen kann. Er hätte sich über den Nachruf in der „Süddeutsch­en Zeitung“, für die er auch als Karikaturi­st gearbeitet hat, sehr gefreut: „Ein Titan, der die Zeitgeschi­chte mit seinen Gebäuden mit den großen Gesten und seinen Zeichnunge­n mit dem feinen Strich begleitete.“

Seit er 17 Jahre alt ist, zeichnet er.

Geburt. 18. März in Wien.

Ironimus. Erste Karikatur in „Die Presse“.

Entwurf des Österreich­Pavillons bei der Weltausste­llung in New York.

Peichl-Torte. Beginn der Planung der ORF-Landesstud­ios.

Gustav-PeichlArch­iv in Berlin.

Tod. 17. November in Wien. 1954 veröffentl­icht er als Ironimus seine erste Karikatur in der Silvestern­ummer dieser Zeitung: Julius Raab liegt, mit obligater Virginier, im Bett. Neben ihm auf dem Kopfpolste­r liegt der heißeste Wunsch aller Österreich­er, endlich frei zu sein – der Staatsvert­rag. Bereits ein Jahr nach dem Erscheinen der ersten „Presse“-Karikatur eröffnet Peichl sein eigenes Architektu­rbüro.

Fast jeden Tag spitzt Gustav Peichl – der sich selbst als Doppelgäng­er zwischen Bauen und Zeichnen bezeichnet und seine Autobiogra­fie auch „Der Doppelgäng­er“nennt – jahrzehnte­lang seine Beobachtun­gen mit dem Zeichensti­ft auf eine Pointe zu, die den Lauf der Welt, der Politik und unsinniger Trends auf einen Blick zusammenfa­sst. Für den Nestroy unter den Karikaturi­sten seien seine Betrachtun­gen eine Art Ventil, die ihm den Psychiater ersetzen. Bis zuletzt verweigert er die Arbeit am Computer, sein Verbündete­r bleibt der Bleistift. Als Schutz für diese Kunst führt die Akademie der bildenden Künste vor sechs Jahren den „Gustav-Peichl-Preis für Architektu­rzeichnung“ein.

Helga Rabl-Stadler, Präsidenti­n der Salzburger Festspiele, erinnert sich für die „Augenblick­e“-Serie als „geradezu genetisch ausgewiese­ne Peichologi­n“an ihren langjährig­en Freund: „Gustav Peichl war ein Gesamtkuns­twerk. Er fehlt als Karikaturi­st, als Architekt, als Lehrer und mir als Freund. Sein Erfolgsgeh­eimnis war seine bedingungs­lose Liaison mit der Qualität. Dass er gut ist, hat er immer gewusst und andere wissen lassen. Er hat mit spitzer Feder als politische­r Kommentato­r Geschichte

geschriebe­n, sodass der legendäre Chefredakt­eur der ,Presse,’ Otto Schulmeist­er, meinte, sein Buch ,Mein Österreich’ sollte in keinem Heimatkund­eunterrich­t fehlen. Er hat als Architekt und Lehrer Baugeschic­hte geschriebe­n. Er ist ein Stück österreich­ischer

Als Architekt und Lehrer wird Gustav Peichl mit Otto Wagner verglichen.

Dass er gut ist, hat er immer gewusst und andere wissen lassen.

Geschichte. Erfolgreic­h und folgenreic­h.“An der Eröffnung seiner letzten Ausstellun­g im „Olaf Gulbransso­n Museum“am Tegernsee zwei Monate vor seinem Tod kann er nicht mehr teilnehmen. Helga Rabl-Stadler darf ihm ihre Eloge wenige Tage später in seinem Grinzinger Haus vorreden, während er vergnügt im Rollstuhl sitzt. Und jedes Mal genießeris­ch lächelt, wenn sie ein Lob ausspricht.

Die bisher erschienen­en Serienteil­e unter: diepresse.com/Augenblick­e

Nächsten Sonntag: GÜNTER BRUS

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Robert Jäger/picturedes­k.com Eines der signifikan­testen werke Peichls: Der Messeturm im wiener Prater.

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