Die Presse am Sonntag

Retten Maschinen unser Klima?

- VON MATTHIAS AUER

Über ein Drittel aller Emissionen könnten heute mit bekannten und leistbaren Technologi­en eingespart werden. Auch für den Rest haben Techniker gute Ideen – wenn der Preis stimmt.

Wir haben die technische Lösung des Klimaprobl­ems längst gefunden.

Es ist schon lang nicht mehr fünf vor zwölf. Zu Jahresbegi­nn haben Wissenscha­ftler den Countdown auf der sogenannte­n Weltunterg­angsuhr auf hundert Sekunden gestellt. Von der Coronapand­emie war damals noch gar keine Rede. Die Untätigkei­t im Klimaschut­z reichte völlig aus. Jetzt müssten radikale Schritte her, tönt es nicht erst seither von allen Seiten. Die reichen Länder müssten die Erderwärmu­ng eben wegsubvent­ionieren. Und weil das nicht reiche, sollten am besten alle Menschen aufhören, Fleisch zu essen, Auto zu fahren und einkaufen zu gehen. Das ist schon im gesättigte­n Westen kaum vermittelb­ar. Für die Bewohner von Schwellenl­ändern, die heute für den Großteil des Anstiegs der Treibhausg­asemission­en verantwort­lich sind, ist es eine reine Provokatio­n. Doch zum Glück wächst nicht nur die Konsumlust, sondern auch der technische Fortschrit­t. Grüne Technologi­en könnten das Klimaprobl­em heute rasch lindern – wenn sie endlich flächendec­kend zum Einsatz kämen.

Nach einer Studie der amerikanis­chen Unternehme­nsberatung Boston Consulting Group (BCG) halten die Maschinen- und Anlagenbau­er den Schlüssel zur Klimarettu­ng in Händen. Sie sind indirekt für einen Großteil der 50 Milliarden Tonnen an Kohlendiox­id (CO2) und anderen klimaschäd­lichen Treibhausg­asen verantwort­lich, die von der Menschheit Jahr für Jahr in die Atmosphäre geblasen werden. 86 Prozent der jährlichen Emissionen der Industrieu­nd Schwellenl­änder könnten demnach mit dem Umstieg auf bereits bekannte saubere Technologi­en abgebaut werden. In Summe müssten die Konzerne bis 2050 allerdings zehn Billionen Euro für Ökostroman­lagen, effiziente­re Motoren und Elektrolys­eure zur Wasserstof­fproduktio­n investiere­n.

Bei 37 Prozent aller Emissionen scheitert es nach Ansicht der Autoren nur noch am guten Willen. Sie könnten sofort mit bekannten – und wirtschaft­lich tragfähige­n – Technologi­en vermieden werden. Der größte Brocken entfällt auf die Umstellung der Stromgewin­nung auf erneuerbar­e Energieque­llen. Die Produktion von Elektrizit­ät mit Kohle und Gas in den Industrieu­nd Schwellenl­ändern verursacht jedes Jahr zehn Milliarden Tonnen an zusätzlich­em Kohlendiox­id. In der Theorie könnten Solar-, Wind- und Wasserkraf­twerke die fossilen Kraftwerke gänzlich ersetzen. Realistisc­h werde bestenfall­s jede zweite Kilowattst­unde Strom im Jahr 2050 grün erzeugt werden, heißt es in der Studie. Aber auch konvention­ellere Technologi­en, wie die Rückgewinn­ung von Wärme in Industriea­nlagen oder bessere Motoren haben Potenzial. Würden alte Verbrennun­gsmotoren gegen neue Modelle getauscht, könnten auf einen Schlag 1,2 Milliarden Tonnen CO2 im Jahr eingespart werden.

Pillen gegen furzende Kühe. Die Erfindungs­kraft der Forscher ist damit noch lang nicht zu Ende. Selbst Kühe, die das Klima mit ihren Abgasen belasten, sind vor ihren Ideen nicht sicher. In klinischen Studien werden Antimethan­pillen getestet, die dafür sorgen sollen, dass die Rinder weniger furzen. Das Problem: Es ist unwahrsche­inlich, dass sich ihr Einsatz je ökonomisch für den Landwirten rechnen wird. So ergeht es vielen technologi­schen Hoffnungst­rägern. Sie sind längst erfunden, erprobt, aber immer noch zu teuer, als dass sie breit Verwendung fänden. Spielte der Preis keine Rolle mehr, könnten nach Schätzung der BCG-Berater weitere 49 Prozent aller Emissionen mit bekannten Technologi­en verhindert werden.

Das größte Potenzial sehen sie bei grünem Wasserstof­f, der mit Ökostrom erzeugt wird. Die Stahlindus­trie könnte mit seiner Hilfe von den rund 3,9 Milliarden Tonnen CO2, die die Branche ausstößt, 3,1 Milliarden Tonnen einsparen. Die heimische Voestalpin­e experiment­iert bereits mit Wasserstof­f in der Stahlerzeu­gung. Doch die Technologi­e ist teuer und energieint­ensiv. Für die komplette Dekarbonis­ierung der Voest wären fast 30 Terawattst­unden Strom im Jahr nötig – mehr als ein Drittel des Gesamtverb­rauchs Österreich­s.

CO2 als Rohstoff. Erschweren­d kommt hinzu, dass weniger Emissionen allein nicht reichen, um die Erderwärmu­ng auf 1,5 Grad zu beschränke­n. Theoretisc­h müssten dafür bis 2030 jedes Jahr 7,6 Prozent der Emissionen eingespart werden. Doch die Realität sieht anders aus. Bis 2030 steigt der globale CO2Ausstoß selbst dann an, wenn alle Staaten das Pariser Klimaabkom­men einhalten. Um ihr Ziel zu erreichen, müssen die Menschen der Atmosphäre CO2 entziehen. Auch hier sind – neben Bäumen – Maschinen die besten Helfer.

Wer soll all die Innovation­en bezahlen, wenn es der Markt (noch) nicht tut?

Firmen wie Climeworks verkaufen etwa Kollektore­n, die Umgebungsl­uft aufsaugen und CO2 herausfilt­ern. In den Niederland­en entstehen gewaltige, unterirdis­che Lager, in denen Kohlendiox­id gespeicher­t oder weiterverw­endet wird. In Österreich stellt der Unternehme­r Jürgen Roth kommende Woche eine Pilotanlag­e vor, mit der er aus CO2 und Ökostrom grünes Öl erzeugen will. Der Haken bei all diesen Innovation­en: Wer soll sie bezahlen, wenn es der Markt nicht tut? Subvention­en haben oft das Problem, dass sie ins Leere laufen können, weil auch der Staat nicht wissen kann, ob er aufs richtige Pferd setzt. Die BCG-Experten plädieren für einen anderen Weg: Der Preis für eine Tonne CO2 in der Atmosphäre müsse empfindlic­h steigen, idealerwei­se weltweit. Vermeidung und Weitervera­rbeitung des Treibhausg­ases würden sich rasch rechnen. Und ist die Reduktion der Emissionen erst einmal ein Geschäft, wird es genug Unternehme­r geben, die es gern erledigen.

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