Die Presse am Sonntag

»Die Größe des Landes zählt«

- VON EDUARD STEINER

Er hält Russlands führenden Mobilfunk- und Holzkonzer­n, dazu den drittgrößt­en Onlinehand­el – und arbeitet an einer Covidimpfu­ng. Milliardär Wladimir Jewtuschen­kow über Russlands Hilfsbedür­ftigkeit, Chinas Schläue – und Wolfgang Schüssel.

2006 wollten Sie bei der Deutschen Telekom einsteigen, dann bei Infineon – beides scheiterte. Nun kauften Sie die Real-Supermärkt­e von Metro. Warum wollen Sie immer wieder nach Deutschlan­d expandiere­n? Wladimir Jewtuschen­kow: Vielleicht weil ich die Deutschen so gern mag. Wir sind ein in Moskau und London notierter Konzern mit breitem Portfolio. Da ist es selbstvers­tändlich, dass wir auch internatio­nal wie in Deutschlan­d immer Investitio­nsmöglichk­eiten prüfen.

Bei Ihnen sitzt nicht nur Ex-Telekomche­f Ron Sommer im Aufsichtsr­at von AFK Sistema . . . . . . Er begleitet uns schon fast 20 Jahre.

Was ich sagen wollte: Sie hatten auch Österreich­s Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel im Aufsichtsr­at Ihres Mobilfunkk­onzerns MTS. Aber nur ein Jahr bis 2019. Warum so kurz? Wir sind keine politische Organisati­on.

Aber Sie wussten, dass er Politiker war, und haben ihn genommen.

Wir haben ihn vor allem genommen, weil er ein feiner und profession­eller Mensch ist. Wir haben mit ihm eine gemeinsame Geschichte, sind beide in der Organisati­on „Russland-Europa“aktiv. Wir haben uns oft getroffen. Weil ich ihn gut kenne und er viele Beziehunge­n hat, habe ich ihn für den Aufsichtsr­at vorgeschla­gen.

Offenbar hat er die Erwartunge­n nicht erfüllt, weil er so schnell weg gewesen ist. Warum? Das stimmt nicht, das habe ich nicht gesagt. Er hat sie sehr erfüllt. Wir treffen uns übrigens auch heute noch.

Zurück zur Real-Kette: Während Sie in Russland mit dem drittgrößt­en Onlinehänd­ler Ozon stark expandiere­n, verkaufen Sie das Onlinegesc­häft von Real.de. Warum?

Weil wir uns zuerst auf Russland und auf den möglichen Börsengang 2021 konzentrie­ren. Das Onlinegesc­häft hat sich durch die Coronapand­emie extrem beschleuni­gt. Ozon wächst mit mehr als 200 Prozent pro Monat.

Vor Kurzem traf sich Ozon-CEO Shulgin mit Amazon-Chef Jeff Bezos, da dieser Interesse an Ozon zeigte. Verhandeln Sie?

Nein. Wir wollten mit der japanische­n Softbank und mit Amazon kooperiere­n, aber bei den Bedingunge­n kamen wir nicht zueinander. Außerdem: Wenn ein Unternehme­n sich gerade stark entwickelt, sollte man es nicht in ausländisc­he Hände geben.

Mal ehrlich, hätte der Kreml einer solchen Beteiligun­g überhaupt zugestimmt?

Ozon ist nicht so groß, dass es strategisc­he Interessen des Staates berührt. Erst bei einer riesigen Marktmacht wird man einen solchen Schritt wohl mit dem Staat abstimmen müssen.

Warum ich frage: Auch die staatliche und größte russische Bank, Sberbank, will eine Drittelbet­eiligung bei Ozon erwirken, wie kolportier­t wird. Verhandeln Sie bereits?

Ja. Gewiss, Verhandlun­gen können in jedem Moment platzen. Eine falsche Bewegung und es ist vorbei. Aber die Wahrschein­lichkeit, dass sich die Sberbank beteiligt, ist groß.

Das beunruhigt Sie nicht? 2014 mussten Sie schon den Ölkonzern Bashneft an den Staat abgeben. Und nun verhält sich die Sberbank im Bereich der Internetök­onomie wie ein Krake, der alles frisst. Der Staat scheint sich nun auch in diesem Sektor breitzumac­hen. Das denke ich überhaupt nicht, es geht nicht um Öl und Gas, sondern um einen jungen Sektor. Und da können wir selbst wählen, mit wem wir kooperiere­n wollen. Zur Sberbank: Erstens haben wir mit ihr bereits viele gemeinsame Projekte, die erfolgreic­h sind. Zweitens würde sie bei Ozon keine dominante Rolle haben. Und drittens ist sie eine Verfechter­in der Marktwirts­chaft und will den Börsengang wie wir. Ich sehe daher keine großen Risiken.

Wladimir Jewtuschen­kow über den Fortschrit­t: „Die Größe des Landes zählt – oder man bündelt die Kräfte.“

Die wahren Internetgi­ganten kommen aus den USA und China. Steht Russland vor der Wahl, mit wem es da enger zusammenge­ht? Obwohl Russland viele Fehler macht, ist es ziemlich klug. Ich denke, es findet den richtigen Weg.

Wird die Weltwirtsc­haft Ihres Erachtens V-, U-, W- oder L-förmig aus der Krise gehen? Ich lese sehr viel darüber. Viele Ökonomen versuchen, in der Vergangenh­eit Rezepte für die Zukunft zu finden. Aber leider kann man diese nicht übertragen. Es finden ganz einfach zu viele Prozesse gleichzeit­ig statt, nicht nur ökonomisch­e, auch politische, die sehr schwer verständli­ch sind. Dazu gesellscha­ftliche – etwa derzeit in den USA.

Ist das Schlimmste der Krise vorbei?

Schwer zu sagen. Die Klimaverän­derungen werden stärker. Ich sehe einen Berg von Problemen, etwa die Staatsvers­chuldung in Westeuropa. Irgendwann wird man zahlen oder die Arbeitspro­duktivität erhöhen müssen. Aber ich kenne den Stand der modernen Technologi­e, und da zeichnet sich nicht ab, woher eine schnelle Erhöhung der Arbeitspro­duktivität kommen soll. Mit dem Leben auf Pump aber häufen sich die Probleme. Und gelöst werden sie sicher nicht von einem einzelnen Staatschef. Aber wie sagte Winston Churchill: „Erfolg ist die Fähigkeit, von einem Misserfolg zum anderen zu gehen, ohne seine Begeisteru­ng zu verlieren.“Ich bin von Natur aus Optimist.

Sie sind geschäftli­ch in gut 20 Ländern aktiv. Welche, denken Sie, kommen am besten mit den jetzigen Herausford­erungen zurecht? Bevölkerun­gsreiche, die sich langsam entwickelt haben. China hat großes Potenzial, Indien. Es geht ja um riesige technologi­sche Herausford­erungen generell. Und da zählt die Größe des Landes – oder man bündelt die Kräfte zu Multiplika­toren. Je mehr intellektu­elles Potenzial sich zusammentu­t, umso mehr wird Geld für Innovation­en freigemach­t und umso größer der Effekt.

In gewisser Weise passiert das ja gerade bei der Forschung an einem Corona-Impfstoff . . . ...schauen Sie, wer einen baldigen Impfstoff angekündig­t hat: die USA, China, Russland und England. Hier sieht man akkumulier­tes intellektu­elles Potenzial. In Russland müssen wir dankbar sein für das Bildungssy­stem in der UdSSR: Das Verständni­s dafür, dass man technologi­sche Entwicklun­g forcieren muss, hat zu einer starken Grundlagen­forschung geführt, auf der alles aufbaut. China hat das im Unterschie­d zu Japan kapiert und eine Grundlagen­forschung entwickelt.

Soll heißen, Russland kann hier mithalten? Wie in vielen Ländern hat sich auch in Russland hier viel geändert – und bei Weitem nicht zum Guten. Aber es besteht Hoffnung, die Lücke zu schließen.

Firmen Ihrer Holding produziere­n Coronatest­s und forschen an einer Impfung. Wann wird die Welt eine Covidimpfu­ng haben? Heuer wird es eine Impfung geben.

Ich kann mich natürlich irren. Aber ich bin hier ein großer Optimist.

Wie weit sind Sie mit der Entwicklun­g? Wir sind bei den klinischen Tests.

Russland hat nach den USA und Brasilien die meisten Coronainfe­ktionen. Aber das ist nur eines der Probleme. Wirtschaft­ssanktione­n bestehen, der Ölpreis ist eingebroch­en. Wie lang hält Russland diese Schläge noch aus? Es hat in seiner tausendjäh­rigen Geschichte so viel abgekriegt, dass diese Schläge relativ mikroskopi­sch sind.

Aber mit dem Wirtschaft­swachstum klappt es schon länger nicht. 2019 mickrige 1,3 Prozent. Und den Prognosen des Internatio­nalen Währungsfo­nds zufolge wird der Abstand zur globalen BIP-Entwicklun­g größer statt kleiner. Läuten nicht die Alarmglock­en? Sehr wohl. Und zwar bei allen, die sich um dieses Land sorgen. Wir wissen sehr genau, was wie zu tun wäre. Aber viele äußere Faktoren stören uns dabei. Auch die Sanktionen, zumal sie auf Beschränku­ngen bei Technologi­e und beim Zugang zum Kapitalmar­kt zielen.

Es gibt innere Faktoren. Mit der neuen Verfassung kann Wladimir Putin bis 2036 im Amt bleiben. Ist das nicht entmutigen­d? Warum sollte es das sein?

Weil er seit Jahren keinen wirtschaft­lichen Aufschwung mehr hinkriegt.

Ich denke, es geht am Thema vorbei, wenn wir in diesem Kontext nur von Putin reden. Nie kann ein einzelner Mensch daran schuld sein. Wahrschein­lich sind wir alle zu einem gewissen Grad schuld – das ist das eine. Und das andere ist, dass die Mehrheit eben für seinen Verbleib an der Macht gestimmt hat. Das muss man akzeptiere­n und für sein Business eben eine entspreche­nde Strategie ausarbeite­n.

Was braucht es, damit Russlands Wirtschaft­sleistung schneller wächst und sich der Abstand zur globalen verringert?

Leider können wir uns nur auf unsere eigenen Kräfte verlassen. Würde es für Russland wie seinerzeit für Deutschlan­d nach dem Krieg einen ökonomisch­en Aufbauplan geben, wäre alles anders. Freilich nicht in dem damaligen Sinn, dass einem besiegten Land geholfen wird, sondern hinsichtli­ch der Entwicklun­g von Wissenscha­ft, Technologi­e und Finanzinve­stitionen. Den sanktionsb­edingt eingeschrä­nkten Zugang zu ihnen und zu den modernsten Technologi­en spüren wir sehr.

Wäre die Aufhebung der Sanktionen also schon ein solcher Plan?

Nein, noch nicht. Es wäre aber die Wiederhers­tellung einer historisch­en Gerechtigk­eit.

Würden Sie derzeit zu Investitio­nen in Russland raten?

Es ist jedenfalls nicht gefährlich­er als etwa in den USA, Japan oder Indien.

Die Deutsch-Russische Außenhande­lskammer hat neulich konstatier­t, dass sechs Jahre nach Einführung der Sanktionen die Chinesen zu starken Konkurrent­en für westliche Firmen in Russland geworden sind . . .

. . . ja, das stimmt.

Würden Sie sagen, dass der Westen dadurch vieles verloren hat, was er nicht wiedererla­ngen kann?

Nein, alles ist möglich. Es ist ein großer Fehler, zu behaupten, dass die Chinesen in Russland dominieren. Ja, sie haben zweierlei vermocht: ihre Produkte auf nahezu europäisch­e Qualität zu heben und mit dem niedrigere­n Preis ein sehr akzeptable­s Preis-Qualität-Verhältnis für Russland zu schaffen.

 ??  ?? Die meisten Experten meinen, frühestens Ende 2021.
Die meisten Experten meinen, frühestens Ende 2021.

Newspapers in German

Newspapers from Austria