Die Presse am Sonntag

Machen Wälder das Wetter?

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Bäume rezykliere­n Wasser und sorgen für Regen tief in Kontinente­n. Aber bringen sie ihn auch hin, mit dem nötigen Wind? Darüber herrscht Streit.

Vierzig Prozent aller Niederschl­äge über dem Land stammen vom Land.

Der größte Fluss der Erde ist nicht der Amazonas, und er fließt auch überhaupt nicht auf der Erde. Sondern über ihr, in der Atmosphäre, 1,5 Kilometer über dem Amazonas und in Gegenricht­ung zu ihm, vom Atlantik zu den Anden, dort wird er nach Süden gelenkt. Und während der Amazonas unten jeden Tag 17 Milliarden Tonnen Wasser an seine Mündung trägt, sind es oben 20, das hat der brasiliani­sche Klimatolog­e Antonio Nobre im Bericht „The Future Climate of Amazonia“errechnet. Einen Namen hatten diese Fluten schon länger, der brasiliani­sche Meteorolog­e Ene´ as Salati hatte sie 1979 „rios voadores“genannt, fliegende Flüsse (Acta Amazinoca, eher greifbar: Science 225, S. 129), man hielt das Phänomen lang für ein regionales.

Aber in den 1990er-Jahren bemerkte Hubert Savenije (Delft) Ähnliches über Afrika – hier strömt das Wasser im Himmel vom Kongo bis in den Sahel –, und noch etwas später fiel es Anastasia Makarieva und Victor Gorshkov – Kernphysik­ern in St. Petersburg – über den größten Wäldern der Erde auf, den borealen in Russland. Wo kommt dieses Wasser her, und wodurch wird es verfrachte­t?

Über den ersten Punkt herrscht Einigkeit: Den Regen machen sich weithin die Wälder selbst. Das hat Salati in Amazonien bemerkt, mit Isotopenan­alysen (Water Ressources Research 15, S. 1250): In Verdunstun­gswasser aus dem Meer steckt weniger schwerer Sauerstoff – – als in dem Wasser, das Pflanzen rezykliere­n, indem sie es aus dem Boden holen und über die Stomata der Blätter ausscheide­n. Und wie! Ein einzelner Baum transpirie­rt tausend Liter pro Tag, als Dampf, der geht in die Atmosphäre, und dort kann er sich zu Wolken – aus flüssigem Wasser bzw. Eis – verdichten, sofern es Schwebstof­fe gibt, die als Kondensati­onskerne dienen. Auch die werden von Wäldern geliefert, in Amazonien vor allem von Pilzen, die mit ihren Sporen biogene Kaliumsalz­e in die Luft schießen, Christoph Pöhlker (MPI Chemie Mainz) hat es bemerkt (Science 337, S. 1075).

Die Fuhre regnet ein Stück weiter wieder ab, die nächsten Bäume rezykliere­n das Wasser und so weiter bis ins entlegenst­e Innere der Kontinente. Die sind nur dort staubtrock­en, wo von den Küsten her Wälder fehlen oder abgeholzt wurden – Musterbeis­piel ist Australien –, sonst wird die Feuchte weitergere­icht, etwa auch von Ostafrika weit in den Westen und vom Atlantik bis nach Ostasien: „Obwohl China am Pazifik liegt, stammen 80 Prozent seiner Wasserress­ourcen aus Eurasien“, berichtete Rudi van der Ent (Delft) im Rahmen einer globalen Bilanz (Water Ressources Research 46 W09525): „40 Prozent aller Niederschl­äge über dem Land stammen vom Land“, der Rest kommt vom Meer, aber ohne Wälder kommt dessen Segen nicht weiter als 600 Kilometer in Kontinente hinein.

Diese Flüsse hoch oben funktionie­ren umgekehrt wie die am Erdboden: Die werden vom Niederschl­ag gespeist und geben Wasser durch Verdunstun­g ab, die anderen erhalten es durch Verdunstun­g und setzen es als Niederschl­ag wieder frei. Aber was treibt den dorthin, wo er aus den Wolken fällt? Na ja, dafür sorgen die großen Zirkulatio­nen der Luft, und für die sorgen im klassische­n Modell die Temperatur­en: Wo Luft erwärmt wird und in die Höhe steigt, sinkt unten der Druck, zum Ausgleich strömt neue feuchte Luft herbei. Das treibt etwa im Sommer Regen übers Land, weil das dann von der Sonne stärker erwärmt wird als das Meer.

Welche Zirkulatio­n treibt welche? Es gibt allerdings auch ein großes Gegenbeisp­iel, wieder in Amazonien: Von Januar bis Juni, wenn die Region kühler ist als der Atlantik, blasen starke Winde von dort. Erklären könnte das eine nachgerade ketzerisch­e Hypothese, die quer zur herkömmlic­hen Sichtweise steht: Ihr zufolge wird die ganze Wettermasc­hine nicht von der Temperatur der Atmosphäre getrieben, sondern von einer „biotischen Pumpe“, der der Wälder. Mit dieser Idee überrascht­en Makarieva und Gorshkov 2007 (Hydrology and Earth System Sciences 11, S. 1013), und in ihr ist alles anders: Nicht die Zirkulatio­n der Luft treibt die des Wassers, sondern die des Wassers die der Luft: Wenn der von den Bäumen transpirie­rte Dampf über den Wäldern aufsteigt und zu Wolken kondensier­t, wird aus einem Gas eine Flüssigkei­t, die weniger Volumen einnimmt. Das mindert den Druck, das zieht feuchte Luft herbei, erst an die Küsten und dann weiter ins Land, soweit die Wälder reichen.

Viel Anklang hat diese Hypothese, die seit Gorshkovs Tod von Makarieva fast im Alleingang verfolgt wird, nicht gefunden, im Gegenteil, der dreifach Fremden – Frau, Russin, Physikerin – stößt aus der Meteorolog­en- und Klimazunft harsche Ablehnung entgegen, so harsche, dass sich für eine Folgepubli­kation nur mit Mühe zwei PeerReview­er – Gutachter – fanden, erst nach drei Jahren ging die Arbeit durch (Atmospheri­c Chemistry and Physics 13, S. 1039), vielleicht wegen der Provokatio­n schon im Titel: „Where Do Winds Come from?“

Ganz allein blieb Makarieva nicht, als Mitautor hatte sie Nobre gewonnen – den Brasiliane­r, der die fliegenden Flüsse vermessen hatte –, auch eine Handvoll anderer schlossen sich an. Mehr nicht, die Fronten sind starr (Science 19. 6.). Aber wo immer der

Megacitys wie Karatschi und Wuhan hängen am Tropf weit entfernter Wälder.

Wind herkommen mag, Konsens herrscht darüber, dass das großflächi­ge Abräumen von Wäldern ganzen Regionen Trockenhei­t bringen könnte, etwa der oben am Nil, wo Äthiopien die gigantisch­e „Talsperre der äthiopisch­en Wiedergebu­rt“hochgezoge­n hat. Um die herrscht Streit mit Ägypten, das um sein Wasser fürchtet, aber der könnte gegenstand­slos werden, wenn der Regenwald im Kongo abgeholzt wird: Von dem stammen 40 Prozent des Regens in Äthiopien, David Ellison (Bern) hat es gezeigt (WIREs Water e1317).

Und Patrick Keys, Atmosphäre­nchemiker der Colorado State University, hat sich angesehen, woher 29 Megacitys der Erde – Städte mit zehn Millionen Einwohnern und mehr – ihr Wasser beziehen (PLoS One 0194311): 19 hängen zu über einem Drittel von weit entfernten Wäldern ab, an der Spitze – mit 50 Prozent Abhängigke­it – rangiert die frühere pakistanis­che Hauptstadt Karatschi mit ihren etwa 17 Millionen dürstenden Kehlen, es folgen Shanghai und Wuhan. „Selbst kleine Veränderun­gen in der Nutzung des Landes, von dem der Wind kommt, haben großen Einfluss auf die Versorgung der Städte“, schließt Keys.

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