Die Presse am Sonntag

Es muss nicht immer Fußball sein

- VON GABRIEL RATH

Den »Golden Summer of Sport« wird es in Großbritan­nien heuer nicht geben, aber viele Diszipline­n streben dennoch eine Rückkehr an, ehe neue Corona-Rückschläg­e drohen. Warum? »It’s British«, und allein das genügt schon als Antwort.

Kaum etwas spielt in Großbritan­nien bei der Rückkehr aus der Coronakris­e eine so große Rolle wie Sport. Einen „Golden Summer of Sport“verspricht die Regierung und versucht der Bevölkerun­g mit Brot und Spielen einen Hauch Normalität wiederzuge­ben. „Den Sommer ohne Cricket kann es in diesem Land nicht geben“, schrieb einst Kritiker Neville Cardus. Männer, die in blütenweiß­er Kleidung auf grünen Wiesen eine Lederkugel zu zügeln versuchen, gehören so sehr zum Bild des Landes, dass der frühere Premiermin­ister John Major einst wehmütig ausmalte: „Auch in 50 Jahren werden wir noch ein Land sein, in dem sich abends lange Schatten über Cricketplä­tze legen.“

Major war glühender Fan des edlen Schlagball­werfens, und wie er fieberten Millionen Briten der Rückkehr des Sports entgegen. Rund 300.000 Spieler, von Profis bis zu leidenscha­ftlichen Amateuren, gibt es. Den Startschus­s gab vor einer Woche eine Serie von Länderspie­len zwischen England und den West Indies. Dass die Engländer die erste Partie gleich verloren, war ebenso erwartet wie zweitrangi­g.

Denn auch im Cricket muss man sich erst an die neuen Vorschrift­en gewöhnen. Gespielt werden darf nur in „biosecure bubbles“, in geschützte­n Blasen ohne Publikum. Alle 20 Minuten müssen Spieler zum Händewasch­en und Reinigen des Spielgerät­s pausieren. Der Austausch von Schlagstöc­ken soll unterbleib­en. Unterbrech­ungen gehören ebenso zum Wesen des Crickets wie die für Nichteinge­weihte auf ewig unverständ­lichen Regeln. Daran wird der Sport nicht zugrunde gehen. Aber all die notwendige­n Eingriffe stehen in scharfem Widerspruc­h zu dem, was George Orwell als wahre Natur des Crickets identifizi­ert hat: „Hier drückt sich der englische Nationalch­arakter aus, dass wir Form und Stil mehr schätzen als Erfolg.“

„My Lord“: Erdbeeren und Hüte! Auf der Insel geht es auch um das Rundherum, die Nebengeräu­sche. Was wäre Tennis in Wimbledon ohne Erdbeeren mit Rahm, Gurkensand­wiches und literweise Pimm’s? 30 Tonnen Erdbeeren werden dann in zwei Wochen verzehrt, doch 2020 wurde das Event eines der ersten Corona-Opfer. Im April setzte es schon die erste Absage seit 1945. Der All England Lawn Tennis Club hatte jedoch vorgesorgt. Man war mit über 100 Millionen Pfund gegen Ausfälle ob einer Pandemie versichert. Davon wurden nun zehn Millionen Pfund an 620 verhindert­e Teilnehmer ausgezahlt.

Dabei erlebt Tennis seit dem Lockdown den größten Zuspruch seit Jahrzehnte­n. So wie Golf gehörte es zu den ersten Sportarten, die seit Mai wieder ausgeübt werden durften. Seither sind Kurse wie Plätze auf Wochen ausgebucht, der Highgate Tennis Club zählt mehr „Member“denn je. Ein SportsDire­ct-Megastore in Kent berichtete, dass Tennisbäll­e ausverkauf­t waren.

Auch für Pferderenn­en läuft der Neustart. Die Zunft der Vierbeiner hat einiges an Image aufzupolie­ren. Immerhin gilt das Cheltenham-Festival, das Anfang März trotz Bedenken mit 250.000 Zuschauern durchgezog­en wurde, als eine „Virus-Superschle­uder“. Zwar unter Ausschluss der Öffentlich­keit, aber nichtsdest­otrotz fand Mitte Juni das Royal Ascot, das legendärst­e aller Pferderenn­en, statt. Erstmals in ihrer 68-jährigen Regentscha­ft ohne Queen Elizabeth, sie schickte jedoch eine Grußbotsch­aft. Aber Ascot ist noch viel mehr als nur ein Sportereig­nis. Damen müssen gewagte Hüte tragen, Männer erscheinen im Frack. Getrunken wird oft bis zum Abwinken. Wer ein echter Aficionado ist, ließ sich auch heuer nicht abhalten: Mit Gartenpart­ys wurde versucht, ein wenig Rennplatz-Flair nachzustel­len.

Ohne Fans muss auch die Formel 1 bei ihrem Silverston­e-Doppel (2. und 9. August) das Auslangen finden. Lokalmatad­or Lewis Hamilton hat sechs Mal den WM-Titel gewonnen, aber nur einmal wählten ihn die Briten zu ihrem Sportler des Jahres. Er wird respektier­t. Populär ist er allerdings nicht. Aber die PS-Tradition gebietet auch dieses Race.

Schon davor soll am 31. Juli in Sheffield die World Snooker Championsh­ip beginnen, die eigentlich für April geplant war. Bis 16. August soll im Crucible Theatre der Weltmeiste­r ermittelt werden. Während die Veranstalt­er knallhart auf „The show must go on“ machen, sagten zuletzt vier Chinesen ab. Nach letztem Stand werden nur 16 Spieler den Titel unter sich ausmachen.

Rugby mit Social Distance? Frühestens Ende August soll die seit März ruhende Darts-Meistersch­aft zu Ende gespielt werden. Dann erwarten auch RugbyFans ihre Erlösung. Seit Juni dürfen die Spieler wieder Kondition schinden. In kaum einem Sport ist die mögliche Ansteckung­sgefahr größer: Mit Social Distancing kann man Rugby eher nicht spielen. Bis Oktober soll die Liga durchgepei­tscht, dann noch das Six Nations (EM) gespielt werden.

Trost und Rat findet man vielleicht in der Kontemplat­ion. Fischen wurde im Mai als erster Sport wieder gestattet. Auch darüber hat Orwell geschriebe­n. In seinem Roman „Coming Up for Air“sagt die Hauptperso­n: „Es ist mir völlig egal, ob ich noch einmal im Leben einen Cricketbal­l sehe. Aber weiterhin habe ich diese besondere Leidenscha­ft für das Fischen.“

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Reuters Donnern in Ascot die Hufe, schlagen die Herzen der britischen Sportfans sofort höher.

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