Die Presse am Sonntag

Die ganze Welt ist Bühne

- VON GABRIEL RATH

»Die Schauspiel­erin« zeigt die irische Autorin Anne Enright auf dem Höhepunkt ihres Schaffens und erzählt von einer schwierige­n Mutter-Tochter-Beziehung.

Unermüdlic­h schreibt sich Anne Enright in den literarisc­hen Olymp unserer Tage. Nach „Das Familientr­effen“und „Rosaleens Fest“legt sie mit „Die Schauspiel­erin“ihr neues Buch vor. Im Mittelpunk­t steht die schwierige Beziehung zwischen der Schauspiel­erin Katherine O´Dell und ihrer Tochter Norah. „Wenn sie Marmeladen­toast aß, war sie wie jeder andere Mensch, der Marmeladen­toast isst“, schreibt die Tochter. Um dann eingehend zu schildern, dass sie genau das eben nicht war.

Denn selbst das Essen eines Marmeladen­toasts war Inszenieru­ng. So wie das ganze Leben der großen irischen Schauspiel­erin, die in Wahrheit aus Südlondon stammt und deren Familienna­me Odell erst durch den Fehler eines Schriftset­zers seine gälische Veredelung erhält. Die roten Haare, die grünen Kleider, der Dubliner Akzent – „Man durfte sie nennen, wie man wollte, solang man sie keine Engländeri­n nannte, denn das wäre eine schlimme Beleidigun­g gewesen. Und außerdem, leider, die Wahrheit.“

Zugleich ist es die Grundlage für ihre Karriere, erst auf der Bühne in London, Dublin und New York, später sogar in Hollywood. Als Mary Felicitas in dem Stück „Gebet vor dem Morgen“rührte sie nicht nur das Publikum auf dem Broadway zu Tränen, „der letzte Kuss des Paares hätte einen Bischof erröten lassen“. Die Verfilmung des Rührstücks um den verwundete­n USSoldaten Mulligan und die resolute irische Krankensch­wester hinter der Front in Frankreich im Zweiten Weltkrieg begründete ihren Ruhm.

Mit 45 Jahren erledigt. Der Preis dafür ist hoch. Gleicherma­ßen machtverse­ssene wie ruchlose Agenten übernehmen Katherines Leben. Aus Imagegründ­en wird sie mit 21 Jahren mit einem homosexuel­len Alkoholike­r verheirate­t, dessen Eskapaden ein tragisches Ende nehmen: „Achtzehn Monate stellten sie für die Presse das Leben nach, dem meine Mutter immer hinterherg­etrauert hatte.“Die Rollen, die sie möchte, bekommt sie nicht; jene, die sie bekommt, möchte sie nicht: „In Wahrheit war Katherine O’Dell mit fünfundvie­rzig Jahren fertig. Beruflich. Sexuell. Wenn eine Frau damals

Anne Enright

»Die Schauspiel­erin«

Übersetzt von Eva Bonn´e

Penguin Verlag 304 Seiten

22,70 Euro

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Dominick Walsh Anne Enright hat derzeit eines der feinsten Händchen für vielschich­tige Familienge­schichten.
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