Die Presse am Sonntag

Vom Kitzloch bis zur Talquarant­äne: Die Causa Ischgl

Was vor und während der Coronakris­e in Ischgl falsch gelaufen ist, beschäftig­t nicht nur die Staatsanwa­ltschaft. Das Land Tirol hat eine eigene Untersuchu­ngskommiss­ion eingericht­et, zudem plant ein Verbrauche­rschutzver­ein eine Sammelklag­e von mehr als 600

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Verharmlos­ung des Coronaviru­s, keine sofortigen Quarantäne­maßnahmen, Warnung vor einer bevorstehe­nden Sperre des Dorfes samt Empfehlung an Gäste und Mitarbeite­r zur Abreise: Rund um Ischgl und die Coronapand­emie gibt es viele Vorwürfe.

Was stimmt, untersucht nicht nur die Staatsanwa­ltschaft, sondern auch eine vom Land Tirol eigens eingesetzt­e Untersuchu­ngskommiss­ion. Die sechsköpfi­ge Kommission unter Vorsitz des ehemaligen Vizepräsid­enten des Obersten Gerichtsho­fs Ronald Rohrer soll ihren Bericht im Oktober vorlegen. Zudem strebt der unabhängig­e Verbrauche­rschutzver­ein eine Sammelklag­e von mehr als 6000 direkt und indirekt betroffene­n Personen an.

Die Causa Ischgl beginnt offiziell am 5. März, als Tiroler Behörden erfahren, dass 15 isländisch­e Gäste in ihrer Heimat nach einem Ischgl-Aufenthalt

Landessani­tätsdirekt­ion Tirol positiv auf das Virus getestet wurden. Das Land nimmt an, dass die Infektion auf dem Rückflug von München nach Reykjavik erfolgt ist. Island erklärt Ischgl zum Risikogebi­et und stellt alle Reisenden, die seit 29. Februar heimgekomm­en sind, unter Quarantäne.

6. März: Die Gesundheit­sbehörden kontaktier­en das Hotel, in dem die Isländer nächtigten. Sie weisen an, Hotelperso­nal mit Symptomen zu testen. Personen, die Apre`s-Ski-Lokale besucht haben, werden zudem vom niedergela­ssenen Arzt getestet. Darunter ist auch der 36-jährige Barkeeper der Apre` s-Ski-Bar Kitzloch.

7. März: Das Testergebn­is des Barkeepers ist positiv. Die Mitarbeite­r des Kitzloch werden isoliert und das Lokal vorübergeh­end gesperrt.

8. März: Es wird bekannt, dass die erkrankten Isländer im Kitzloch waren. Ebenso, dass drei weitere in Tirol positiv getestete Personen sich in Ischgl aufgehalte­n haben. Die Landessani­tätsdirekt­ion Tirol stellt fest: „Eine Übertragun­g des Coronaviru­s auf Gäste der Bar ist aus medizinisc­her Sicht eher unwahrsche­inlich.“

9. März: Das Kitzloch wird behördlich gesperrt, einen Tag später müssen alle Apre`s-Ski-Lokale in Ischgl schließen. Am 11. März kündigt Tirols Landeshaup­tmann, Günther Platter (ÖVP), an, dass die Skisaison in Ischgl mit 13. März, in ganz Tirol mit 15. März endet. Um 12.58 Uhr informiert der Tourismusv­erband in einem E-Mail die Betriebe über „die Einrichtun­g von Check

Points ab 14 Uhr“. Tatsächlic­h gibt die Bundesregi­erung um 14 Uhr eine Quarantäne für das Paznauntal bekannt. Laut Tourismusv­erband war eine Abreise der Gäste mit einem entspreche­nden Formular auch am 14. März noch möglich.

Hohe Immunität. Von Ischgl aus verteilte sich das Coronaviru­s über ganz Europa. Laut „Spiegel“haben mindestens 27 Menschen, zumeist Deutsche, ihren Skiurlaub in Tirol mit dem Leben bezahlt. In Ischgl selbst sind zwei Personen mit oder an dem Coronaviru­s gestorben. Neun Patienten mussten im Krankenhau­s versorgt werden, einer davon auf der Intensivst­ation.

42,4 Prozent der Bevölkerun­g des Tiroler Winterspor­torts haben Antikörper, haben also eine Infektion mit dem Coronaviru­s durchgemac­ht. Viele hatten keinerlei Symptome. (rie)

42,4 Prozent der Ischgler haben Antikörper. Die meisten hatten keinerlei Symptome.

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