Großbritannien und die USA.
ohl nie zuvor hat eine einzelne Krankheit die medizinisch-pharmakologische Forschergemeinde so auf Rammgeschwindigkeit gebracht: Um dem neuartigen, gegen Ende 2019 zuerst in China aufgetretenen Coronavirus Sars-CoV-2 entgegenzutreten, das in kurzer Zeit die Welt großteils zum Erliegen gebracht und die größten wirtschaftlichen Schäden seit dem Zweiten Weltkrieg verursacht hat, sind weltweit Forschungsprojekte am Laufen, um den Verlauf der dadurch ausgelösten Atemwegserkrankung Covid-19 zu lindern – vor allem aber, um eine Impfung zu entwickeln.
Laut des deutschen Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller gibt es mindestens 170 Impfstoffprojekte in staatlichen Instituten sowie Privatfirmen etwa in den USA, Kanada, Australien, Indien, Deutschland, Frankreich, Schweden, Rumänien, Belgien, der Schweiz und Österreich. Etwa 20 davon sind in die – regulär – dreistufige klinische Phase eingetreten: Man testet sie an Menschen auf Verträglichkeit und Wirksamkeit. Etwa sechs dieser Stoffe haben Phase 2 erreicht, und von diesen zumindest zwei die Phase 3 – in China und Großbritannien. Angeblich könnte die Großserienproduktion gegen Jahresende oder Anfang 2021 beginnen.
Vorwurf der Cyberspionage. Der Wettlauf, der nicht zuletzt aus Gründen von Prestige und Politik auch von Regierungen angefeuert wird, hat auch gewisse dunkle Seiten. Das britische Zentrum für Cyber-Sicherheit NCSC sowie die Regierungen der USA und Kanadas etwa warfen Hackern diese Woche vor, im Auftrage Russlands Spionage bei Impfstoff-Forschern zu betreiben. Man habe Hackergruppen, die dem russischen Militär und/oder Auslandsgeheimdienst zugerechnet werden (etwa „Cozy Bear“), bei Versuchen, solche Daten zu stehlen, ertappt.
Das Virus identifizieren, eine Impfung entwickeln und testen, testen, testen – die klinischen Phasen eins bis drei sind es, die die Entwicklung eines Impfstoffs so langwierig machen. Weswegen mit einer Zulassung und der damit verbundenen weltweiten Produktion nicht vor dem Frühjahr 2021 zu rechnen ist. Denn einer der wesentlichen Unterschiede zwischen einem Medikament gegen das Coronavirus und einer Schutzimpfung ist bekanntermaßen, dass Letzteres gesunden Menschen verabreicht wird. Während also bei der Behandlung einer erkrankten Person Nebenwirkungen – im Ernstfall auch schwere Nebenwirkungen – in Kauf genommen werden können, müssen Vakzine so verträglich wie nur möglich sein, insbesondere bei vulnerablen Personen.
Alles beginnt mit der Darstellung des Antigens auf der Oberfläche des Virus, gegen das die Impfung gerichtet ist. Die anschließende Herstellung
Die russische Botschaft in London sowie Kreml-Sprecher Dmitri Peskow taten die Vorwürfe als „Propaganda“ab; man sehe sich bei diesem Thema selbst Hackerangriffen ausgesetzt.
Der Chef des Staatsfonds für Direktinvestitionen, Kirill Dmitrijew, meinte, man habe keinen Anlass, Impfstoffe zu stehlen – allerdings sagte er überraschend, dass Moskau mit dem britischschwedischen Pharmakonzern AstraZeneca über die Herstellung eines Vakzins verhandle. Es gehe um ein Muster der Universität Oxford, das (auch) in Russland erzeugt werden könnte.
Im Folgenden ein Übe rblick über die Coronaforschungslage in einigen wichtigen Ländern.
USA
Noch heuer wol len die USA, das von Covid-19 bisher am stärksten betroffene Land, grünes Licht für einen Impfstoff geben. Im Jänner sollen 300 Millionen Dosen verteilt werden. Es geht dabei auch um Trumps Wiederwahl.
Dazu ein Gedankenspiel: Es ist Mitte Oktober, in Kürze geht die Präsidentschaftswahl über die Bühne. Donald Trump tritt vors Mikrofon, der Chef eines Pharmakonzerns an seiner Seite. Der Durchbruch sei gelungen, eine Impfung gegen Corona fertig zur Auslieferung. Innerhalb weniger Monate würden besagte mehr als 300 Millionen Dosen verteilt. Anfang 2021 würde Covid-19 Geschichte sein. Riesig wäre nun der Jubel, dahin wäre Joe Bidens Vorsprung, groß die Chance auf einen Sieg Trumps am 3. November.
»Operation Warp Speed«. Geht es nach dem Weißen Haus, soll es genau so kommen. Im Mai wurde die „Operation Warp Speed“initiiert, eine Partnerschaft zwischen der Regierung und acht Konzernen, die an Impfstoffen areines Impfstoffs – unter anderem mit Tierversuchen – benötigt üblicherweise rund drei Jahre, je nach Dringlichkeit und den finanziellen Möglichkeiten. Dann erst beginnen die klinischen Phasen unter Einbeziehung von Patienten, in denen sich derzeit zahlreiche Projekte (siehe oben) befinden.
Sicherheit. In der ersten klinischen Phase geht es hauptsächlich darum festzustellen, ob der Impfstoff sicher ist. Daher sind die ersten Probanden für gewöhnlich jüngere gesunde Personen, die eine sehr geringe Dosis verabreicht bekommen. In der zweiten Phase beginnt die Dosisfindung, also die Immunogenität des Impfstoffs. So wird die Eigenschaft einer Substanz bezeichnet, die im Menschen eine ausreichende Immunantwort mit entsprechend hoher Anzahl an Antikörpern auslöst, um anschließend gegen den Erreger geschützt zu sein. Die dritte und letzte
Mehr als 170 Projekte drehen sich aktuell um die Entwicklung von Vakzinen gegen das neue Virus. Etwa 20 davon sind bereits weit vorangeschritten. An der Spitze der Forschung lagen zuletzt China,
Ein Überblick.
Jahre
dauertüblicherweise die Herstellung eines Impfstoffs, bevor die Tests am Menschen beginnen. Beim Coronavirus gingessch neller. beiten. Der Fahrplan ist ambitioniert: Abschluss der letzten Testphase im Herbst, Beginn der Impfungen gegen Jahresende, nahezu vollständige Durchimpfung der Bevölkerung bis Jänner. An Geld soll es nicht mangeln: Vorerst stellte die Regierung zehn Milliarden Dollar zur Verfügung.
Das Virus mag ein globales Problem sein, gelöst wird es jedoch wohl auf nationaler Ebene; von großer internationaler Kooperation kann wenig die Rede sein. Die USA machen ihr Ding, Operation Warp Speed – benannt nach der Technologie für überlichtgeschwindigkeitsschnelle Raumschiffe in „Star Trek“, läuft bewusst im Inland ab. Man kooperiert weder mit China, der EU oder der Weltgesundheitsorganisation. Groß war die Aufregung im Mai, als bekannt wurde, dass Washington den
Phase stellt die Wirksamkeit des Impfstoffs mit einer entsprechend hohen Konzentration an Immunogenen bei gleichzeitig guter Verträglichkeit sicher. Diese Stufe kann bis zu drei Jahre dauern, weil auch ältere Menschen und jene mit Vorerkrankungen für Tests herangezogen werden, diesma lmussesin wenigen Monaten passieren. Dabei wird die Zahl der Testpersonen schrittweise erhöht, letztlich kann der Impfstoff in dieser Phase mehreren 10.000 Menschen verabreicht werden, bevor verlässliche Ergebnisse vorliegen.
Schließlich ist ein CoronavirusImpfstoff nicht für eine kleine Randgruppe gedacht, sondern kommt de facto für die gesamte Weltbevölkerung infrage. Risikofaktoren müssen also auf ein Minimum reduziert werden, bevor um eine Zulassung angesucht werden kann – die unter den gegebenen Umständen nicht Monate, sondern Wochen in Anspruch nehmen wird.