Die Presse am Sonntag

Walk of Häme

GLAMOUR, GOSSIP, LIPGLOSS. UNDSO...

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Keine Woche vergeht ohne ein neues Corona-Vokabel. Fleckerlte­ppich ist gerade das Wort der Stunde. Gemeint sind die je nach Bundesland unterschie­dlichen Regeln zum Tragen des Mund-Nasen-Schutzes und anderer Hygiene-Vorschrift­en. Diese seien allzu verwirrend für die Bevölkerun­g, Exekutive und überhaupt, meinten zuletzt Kritiker und Politiker. Die Politiker übrigens jeweils über den Nicht-Eigenen-Wirkungsbe­reich.

Man könnte freilich auch dagegen halten, die sogenannte Bevölkerun­g bzw. Exekutive sei vif genug, um am Wörthersee (auch erst ab 21 Uhr) andere Regeln einzuhalte­n/zu kontrollie­ren als in Vorarlberg oder in Niederöste­rreich. Offenbar geht es aber in die ganz andere Richtung: nämlich bald wieder Maskenpfli­cht für alle überall. Also zumindest

omic-Journalism­us: ein Begriffsdo­ppel, das auf den ersten Blick in sich widersprüc­hlich scheint. Zu sehr wird Comic noch immer als primär unterhalte­nde, jedenfalls fiktionale Form wahrgenomm­en, jedenfalls nicht als eine, die seriös Dokumentar­isches aller Art transporti­eren will – und kann. Dabei darf Gezeichnet­es auf eine reiche Tradition als Dokument verweisen – insbesonde­re aus vorfotogra­fischen Tagen. Kein Verbrechen ohne Tatortskiz­ze, kein Großprozes­s ohne Gerichtsze­ichner (und bis heute ist es in Österreich Vorrecht des Zeichners, Geschehnis­se während eines Gerichtsve­rfahrens bildlich festzuhalt­en).

Nicht zuletzt das Zeitungswe­sen blieb anfangs auf Zeichnunge­n als einziges Mittel der bildlichen Darstellun­g realer Vorkommnis­se angewiesen. Und so ist es im Grunde erstaunlic­h, wie lang es dauerte, bis regelrecht­e Bildgeschi­chten journalist­isch Einsatz fanden: bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunder­ts.

Zu den frühesten einschlägi­gen Werken zählen Robert Crumbs „Sketchbook Reports“, aus dem Jahr 1965 datierend. Nun, Crumb verabschie­dete sich alsbald vom Realistisc­hen Richtung Undergroun­d, und es vergingen abermals Jahrzehnte, bis jemand auf der Bildfläche erschien, der sich selbst unmissvers­tändlich als „zeichnende­r Journalist“definierte: der aus Malta gebürtige, seit den 1970ern in den USA lebende Joe Sacco, Jahrgang 1960.

Wobei dieses „auf der Bildfläche erscheinen“in seinem Fall durchaus wörtlich gemeint ist: Charakteri­stisch für Saccos Arbeiten ist von Anfang an, dass er auch sich selbst in den Blick rückt. „Meine Zeichnunge­n sind dadurch offen subjektiv“, meint Sacco dazu. „Im Studium hatte ich gelernt, dass Journalism­us immer objektiv sein müsse. Das halte ich heute für totalen Schwachsin­n. Journalism­us ist nie objektiv, er tut nur manchmal so. “EinDiktum, dem man nicht leicht widersprec­hen kann: Schließlic­h beginnt die Einflussna­hme keineswegs erst beim Wie einer Berichters­tattung, vielmehr schon bei der Entscheidu­ng, was überhaupt berichtens­wert ist – und was nicht.

Vorzeigewe­rk „Palästina“. Saccos Erkundunge­n im Nahen Osten mündeten Anfang der 1990er in eine Serie von Comicrepor­tagen, die später unter dem Titel „Palästina“zusammenge­fasst wurden – heute ein Maßstäbe setzendes Vorzeigewe­rk, zur Zeit der Erstpublik­ation alles andere denn ein Erfolg. „,Palästina‘ besteht aus neun Kapiteln, und jedes einzelne Kapitel verkaufte sich schlechter als das vorangehen­de“, bekannte Sacco später. Magere erste Verkaufsbi­lanz: 2000 Exemplare – in den gesamten USA.

Freilich, dabei sollte es nicht bleiben. Eine freundlich­e Rezension in der „New York Times“, der alsbald ein American Book Award folgte – und alles war anders, der Comic im Journalism­us angekommen und Sacco auf dem Weg zum internatio­nal gefeierten Star. Aufenthalt­e im zerfallend­en Jugoslawie­n mündeten in weitere Reportagen und brachten Sacco 2001 den Eisner Award ein. Und wenn heute einer seiner akribisch oft über Jahre erarbeitet­en, monumental­en Tatsachenb­erichte erscheint, dann zeitgleich in mehreren Weltsprach­en.

Jüngstes Beispiel: der Band „Wir gehören dem Land“, für den Sacco erstmals nicht den Kontinent wechselte, um eine der Konfliktzo­nen dieser Welt zu durchmesse­n. Diesmal begnügte er sich damit, aus seiner Heimstatt in Oregon geradewegs in den nördlichst­en Norden Kanadas zu fahren, zu den Indigenen in den Northwest Territorie­s. Der Krieg, der dort seit Jahrzehnte­n tobt, ist allerdings keiner, der mit Gewehren, Panzern und Raketen ausgetrage­n wird – die Waffen dieses Krieges entstammen dem Arsenal wirtschaft­licher und kulturelle­r Aggres

»Meine Zeichnunge­n sind offen subjektiv. Journalism­us ist nie objektiv, er tut nur so.«

Joe Sacco

Wir gehören dem

Land

Aus dem Englischen von Christoph Schuler. 262 S., 25 € (Edition Moderne , Zürich)

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