Die Presse am Sonntag

DAMIAN MURPHY

-

britischer Akustiker hätten. Tatsächlic­h hatte sich mit der Reformatio­n auch die Akustik von Kirchen verändert.

Mit Luther wurde die Wortdeutli­chkeit wichtiger – und dafür musste man den Hall dämpfen. Das geschah etwa mit Stoffen. Und man brauchte Platz für die Musiker. Man installier­te Emporen, die ebenfalls dazu beitrugen, den Schall zu dämpfen. Die zwei Emporen in der Thomaskirc­he wurden 1570 errichtet.

Als Luther in Leipzig predigte. Diese Veränderun­gen wollen die Forscher jetzt auch hörbar machen – indem sie nicht nur die Akustik von 1723 rekonstrui­eren, sondern auch die von 1539, als hier zu Pfingsten Martin Luther predigte. Erste Ergebnisse des Forschungs­projekts bestätigen auch, dass der Klang nach der Reformatio­n um einiges klarer war – der Unterschie­d scheint allerdings nicht ganz so groß wie erwartet.

Die Rekonstruk­tion früherer Akustiken in der Thomaskirc­he könnte sich auch auf Debatten rund um die Aufführung­spraxis auswirken: etwa auf die Frage, mit wie vielen Sängern Bachs Kantaten aufgeführt wurden. Einige Musikwisse­nschaftler halten es für möglich, dass für jede Stimme nur ein Sänger eingesetzt wurde.

Es geht aber bei der Rekonstruk­tion der Akustik von Notre-Dame oder der Thomaskirc­he nicht nur um die Suche nach dem Originalkl­ang. Auch um die Frage, wie zu verschiede­nen Zeiten vorhandene Räume sich auf die Musikentwi­cklung auswirkten. Beim Singen der noch einstimmig­en Gregoriani­schen Choräle in den gotischen Kirchen führte der starke Hall dazu, dass sich aufeinande­rfolgende Noten in der akustische­n Wahrnehmun­g teilweise überlappte­n. Schärfte das die Aufmerksam­keit für besser oder schlechter zueinander­passende Töne und förderte es das Experiment­ieren mit gleichzeit­igen Tönen? Manche Forscher vermuten das. Frühe Kirchenmus­ik – für Gesang, dann auch für Orgel – war jedenfalls ausgericht­et auf die

Man bewegt sich während eines Konzerts durch eine virtuelle Notre-Dame.

stark hallenden gotischen Kirchenräu­me. Und die Kathedrale Notre-Dame spielte eine besondere Rolle, denn in ihr entstand im 12. und 13. Jahrhunder­t die erste mehrstimmi­ge Musik. Der Komponist Pe´rotin war hier Lehrer und entwickelt­e die zweistimmi­gen Gesänge seines Vorgängers Le´onin zu drei- und vierstimmi­gen weiter.

Eine „virtuelle Kirche“. Wie aber bringen die Forscher nun historisch­e Klanglands­chaften heutigen Menschen zu Gehör? Boren und sein Team konstruier­en mithilfe ihrer Messungen

Newspapers in German

Newspapers from Austria