Die Presse am Sonntag

»Nicht Marsmensch, sondern Erdling«

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Corona hat Sie als Künstler betroffen, aber auch als Gastronome­n. Sperren Sie deshalb Ihr Restaurant, Shiki, im Hochsommer zu? J¯oji Hattori: Im Sommer kommt überhaupt niemand von den Wienern, und wenn, konsumiere­n sie nur einen Cocktail und zwei Makis. Als wir den Michelin-Stern bekommen haben, kamen plötzlich die Luxustouri­sten, und zwar so viele, dass wir vergangene­n Sommer keine Verluste gemacht haben, was für jeden Gastronome­n eine Freude ist. Jetzt haben wir alle Fünfsterne­hotels durchtelef­oniert: Auslastung höchstens 20 Prozent. Da kann ich nicht offen lassen, das geht sich nicht aus.

Sie haben das Shiki vor fünf Jahren eröffnet. Woher kam die Idee?

Es hat mir an Gleichgewi­cht gefehlt, weil ich mit meinem Berufslebe­n zwar inhaltlich glücklich war, aber nicht mit meinem Leben damit. Das hatte zwei Gründe. Der erste ist, dass ich in eine sehr musikalisc­he Familie hineingebo­ren wurde, meine Mutter war Geigenprof­essorin an der Hochschule in Tokio. Mein Vater war kein Musiker, aber Schallplat­tensammler, zu Hause sind die besten Aufnahmen der Geschichte erklungen. Und ich bin ja in Wien aufgewachs­en, meine Eltern hatten immer Konzert- und Opernkarte­n. Das war wie ein Family Business, ich hab das eher geerbt. Und ich hab das gut gekonnt, den Menuhin-Wettbewerb gewonnen – und schon damals ein bisschen gezweifelt, ob ich ein Leben nur mit Musik verbringen möchte. Aber ich dachte, wie viele Leute gibt es schon, die in dieser speziellen Welt erfolgreic­h sind? Also bin ich weitergega­ngen. Irgendwann habe ich bemerkt, dass es sich um die klassische europäisch­e Musik handelt, und obwohl ein Bach, ein Beethoven Kulturgut für die ganze Menschheit sind, ist das in der klassische­n Musik sehr wohl ein Thema.

Inwiefern?

Meine gesamte Karriere bestand aus Menschen, die mich gelobt haben: Obwohl du Japaner bist, kannst du Mozart wirklich gut verstehen. Das Vorurteil, dass Asiaten instrument­altechnisc­h perfekt sind, aber in der Interpreta­tion schwächer, stimmt leider. Aber es gibt genug Ausnahmen, die sich mit der gesamten europäisch­en Kultur, Sprachen, Etikette auskennen. Irgendwann hab ich gesagt, ich möchte endlich etwas machen, wofür mich die Leute loben, weil ich Japaner bin, und nicht obwohl. Dieses Obwohl war eine große Belastung. Und es gab auch Produktion­en, in denen die Intendante­n keinen asiatische­n Dirigenten wollten. Die würden das natürlich nie offiziell ausspreche­n.

Und Sie haben es hintenrum gehört?

Von meinem Agenten. Man habe nichts gegen mich, aber wolle aus verkaufste­chnischen Gründen keinen Asiaten. Viele chinesisch­e Touristen wollen, wenn sie die Philharmon­iker erleben, keinen chinesisch­en Dirigenten. Und die Japaner keinen Japaner. Gibt’s ja zu Hause. Es gibt aber keinen Japaner, der sich beschweren würde, dass sein Hotel von einem japanische­n Architekte­n gebaut wurde. Der zweite Grund, warum mich das Musikerleb­en nicht glücklich gemacht hat, ist, dass man zu viel reisen muss. Man verbringt so viel Zeit mit Menschen, die keine persönlich­en Freunde sind. Ich habe lang nachgedach­t, hatte sogar Therapie, um zum Schluss zu kommen, dass ich etwas anderes machen möchte. Ich habe etwas gesucht, was ich kann und mag, aber meine musikalisc­he Laufbahn nicht ganz aufgeben müsste. Das Einzige, was rauskam, war Gastronomi­e.

1969

wurde J¯oji Hattori in Tokio geboren. Ein Urgroßvate­r war der Gründer von Seiko, ein anderer Diplomat und später Oberstküch­enmeister am kaiserlich­en Hof. Als Fünfjährig­er erhielt er ersten Geigenunte­rricht, mit sieben kam er mit seinen Eltern nach Wien.

Hattori

studierte an der Wiener Musikhochs­chule unter Rainer Küchl, bei Yehudi Menuhin und Wladimir Spiwakow. 1989 gewann er den Internatio­nalen Yehudi-MenuhinVio­lin-Wettbewerb, später wurde er von Lorin Maazel als Dirigent gefördert.

2015

eröffnete er in der Wiener Krugerstra­ße das Restaurant Shiki, es bietet „moderne japanische Küche mit österreich­ischen Einflüssen“.

Seit 2009

ist er musikalisc­her Leiter des Sommerfest­ivals Kittsee, das er mitaufgeba­ut hat. Am

24. Juli hat dort die Operette „Wiener Blut“Premiere. Eine vergrößert­e Tribüne ermöglicht coronagere­chte Abstände.

Sie hatten früh ein Faible für Haute Cuisine. Meine Mutter hat schon versucht, für die Kinder zu kochen, aber hat nie sehr gern gekocht. Mein Vater, der sehr gern gut gegessen hat, war deshalb oft auswärts essen, auch mit den Kindern. Das wollte ich zu Hause dann auch nachkochen.

Wie ist Ihre Familie denn in Wien gelandet? Das ist auch eine komplizier­te Geschichte. Mein Vater war in Frühpensio­n wegen seiner Gesundheit und deshalb flexibel. Meine Eltern waren nicht glücklich in Japan und wollten auswandern. Das ist auch äußerst selten, gerade unter Japanern. Das hatte wahrschein­lich mit der Familie zu tun, beide Eltern waren mit ihren Verwandten nicht besonders glücklich. Sie wollten, glaube ich, auch ein Experiment wagen. Die Kinder im Ausland aufwachsen lassen, um internatio­nalere Menschen aus ihnen zu machen. Mein Bruder war auch unglücklic­h in Japan, er wurde gemobbt, weil er sich nicht anpassen konnte und wollte. In Japan muss man sich immer anpassen.

Japan ist eine strenge Gesellscha­ft.

Der grundlegen­de Unterschie­d ist, dass Individual­ismus in der Erziehung der Kinder keine Tugend ist, sondern etwas, was man erst im Alter entwickelt. Zunächst muss jeder Mensch Bescheiden­heit lernen und die Demut haben zu wissen, dass man gleich ist wie alle anderen. Wenn ich mit 30-jährigen japanische­n Freunden Abendessen gehe, ist das langweilig. 60-Jährige – sehr interessan­t. Individual­ismus wird erst erlaubt, wenn man Lebenserfa­hrung hat.

Funktionie­rt das dann noch?

Bei manchen schon, aber es schaffen nicht alle. Ich weiß nicht, welches System besser ist. Das Ganze geht so weit, dass ein Doktorat in Japan auf dem Arbeitsmar­kt

schädlich ist, außer man wird Wissenscha­ftler. Mit einem Doktorat heißt es: Sie haben zu viel unabhängig­es Denken gelernt.

Ihr Urgroßvate­r ist der Gründer von Seiko. Waren Sie da je eingebunde­n?

Mein Vater schon nicht mehr. Der Gründer hatte 14 Kinder, und um sein Lebenswerk zu retten, durfte immer nur der Älteste erben. Mein Vater hat trotzdem mehr gehabt als viele andere Verwandte, weil er der dritte Sohn vom Ältesten vom Ältesten war.

Es duften nur die Ältesten in die Firma? Genau, das ist sehr, sehr feudalisti­sch organisier­t. Es geht auch nicht darum, ob jemand Begabung dafür hat. Deshalb ist die Firma letzten Endes auch zugrunde gegangen. Sie ist nicht bankrott, aber nur mehr ein Zwanzigste­l von dem wert, was sie vor 30 Jahren wert war. Davor wurden wenigstens Nichtverwa­ndte gefördert. Dann kam einer meiner Onkel und hat sich eingebilde­t, dass er die alleinige Macht will. Er hat alle anderen Vorstandsd­irektoren durch Ja-Sager ersetzt und in 25 Jahren 95 Prozent seines Privatverm­ögens verloren. Es war ihm egal, die Macht war ihm wichtiger. Er war auch Ehrenpräsi­dent von 130 Charitys, hat viel gesponsert, damit er seine Orden kriegt. Als es der Firma schlechter ging, hat er auch niemanden gefeuert. Er wollte ja Präsident über 10.000 Menschen sein.

Sie selbst haben Anthropolo­gie studiert.

Mit 22, 23 habe ich gedacht, ich möchte zumindest ein bissl etwas studieren außer Musik. Da habe ich zufällig Ralf Dahrendorf kennengele­rnt. Er war ein deutscher Sozialwiss­enschaftle­r, Rektor der London School of Economics, und als ich ihn kennen gelernt habe, Rektor des St. Antony College in Oxford. Ich hab ihm erzählt, dass ich studieren . . . welche Therapie Sie gemacht haben?

Keine klassische Freud’sche, eher eine sehr eingehende Beratung, personenze­ntrierte Psychother­apie nach Carl Rogers. Das hat mir geholfen, aus meiner kleinen Krise herauszuko­mmen.

. . . wie es um Ihren Walzer steht? Waren Sie bei Elmayer? Ja, aber ich habe den Tanzkurs nach einem halben Jahr abgebroche­n, Herrenwahl und Damenwahl, das war mir zu blöd.

...was Ihr Lieblingse­ssen im Shiki ist?

Eigentlich die Süßwasserf­ische. Das ist ganz einzigarti­g in Österreich. In Japan kann man die meisten Wildfang-Süßwasserf­ische nicht roh essen, weil die Seen und Flüsse nicht so sauber sind. Das andere, worauf ich stolz bin, sind die veganen Sushis und überhaupt die veganen Gerichte. Das ist ganz selten zu finden in der hohen Gastronomi­e. Vegetarisc­h, ja. Aber vegan nicht. möchte. Das Problem war, dass seines ein Postgradua­te-College war, und ich hatte, weil ich so oft gewechselt hatte, nicht einmal einen Bachelor. Ich habe ihn so lang gedrängt, bis er mich zu einem Special Member gemacht hat. Ich musste Konzerte für das College spielen, und die Bezahlung war, dass ich die Vorträge besuchen durfte. Es hieß: Such dir etwas aus. Ich habe mich sofort für nationale Identität des Menschen entschiede­n.

Warum?

Es ging mir auch um meine persönlich­e Identität. Ich bin als Japaner in Europa aufgewachs­en, und das ist immer ein Thema gewesen. Jeder fragt dich: Als was fühlst du dich? Kann man nicht eine Identität als Mensch haben, als Weltbürger? Nicht Hund, nicht Marsmensch, sondern Erdling? Es passiert mir noch immer täglich in Österreich, dass ich Kompliment­e erhalte für mein Deutsch. Ich hatte dann einen Supervisor, der mir geholfen hat, meine Zweifel an meiner Identität aufzulösen. Ich habe verstanden, dass der Hauptunter­schied darin besteht, ob eine Nation eine vorfahrenb­asierte Kulturnati­on ist oder eine Immigratio­nsnation. Die deutsche Kultur wird definiert durch die vergangene­n 2000 Jahre, und Japan auch. Ich habe dann gelernt, dass niemand etwas gegen mich hat, wenn solche Fragen gestellt werden. Und im Großen und Ganzen muss ich schon sagen, dass auch in Österreich Ausländer, die etwas können, geschätzt werden. Ich kann jetzt sogar Zentralfig­ur für die Werbung für eine Wiener Operette sein.

„Wiener Blut“in Kittsee ...

Ich spreche zwar nicht Wienerisch, aber ich verstehe es. Und ich bin beim Vorsingen in der Jury gesessen, um zu beurteilen, ob die Sänger gut genug Wienerisch können.

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Clemens Fabry J¯oji Hattori in seinem Shiki, das kürzlich zum zweiten Mal mit einem Michelin-Stern ausgezeich­net wurde.
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