Die Presse am Sonntag

Dominante ÖVP? Unterwürfi­ge Grüne?

Wie es innerhalb der Koalition derzeit läuft.

- VON THOMAS PRIOR

Das Beste aus beiden Welten? Zuletzt sah es eher so aus, als würden sich die Grünen in die Welt der ÖVP einfügen. Oder besser gesagt: in die des Bundeskanz­lers. Mit der Verlautbar­ung der neuen Maßnahmen zur Virusbekäm­pfung mussten die zuständige­n Minister warten, bis Sebastian Kurz aus Brüssel zurück war. Die Pressekonf­erenz durfte nicht ohne den Kanzler stattfinde­n.

Bei anderen Entscheidu­ngen hatte es den Anschein, als würde die ÖVP keine Rücksicht auf den Koalitions­partner nehmen. Beim EU-Gipfel zum Corona-Hilfspaket etwa. Oder bei der neu eingericht­eten Dokumentat­ionsstelle Politische­r Islam. Und dann drückte Bildungsmi­nister Heinz Faßmann auch noch seine Freude darüber aus, dass die Grünen die ÖVP jene Bildungspo­litik machen ließen, „die wir für richtig erachten“. Ist denn die ÖVP so dominant? Sind die Grünen so unterwürfi­g?

Faßmanns Bilanz wollte der Koalitions­partner nicht so stehen lassen. Ohne die Grünen, stellte Bildungssp­recherin Sibylle Hamann klar, wären Schulen und Kindergärt­en noch viel länger geschlosse­n geblieben. Auch die Sommerschu­le und „viele Tausende Ferienbetr­euungsplät­ze“gäbe es nicht. „Offenbar gefallen dem Minister manche grünen Positionen inzwischen so gut, dass er sie für die eigenen hält“, schlussfol­gerte Hamann. Überbewert­en wollen die Grünen Faßmanns Aussage aber auch nicht: „Vielleicht war das einfach nur so dahingesag­t“, heißt es.

Bei der Dokumentat­ionsstelle Politische­r Islam erinnerten die Grünen Integratio­nsminister­in Susanne Raab öffentlich daran, dass hier noch etwas fehlt: Im Regierungs­programm sei festgeschr­ieben, dass auch „Rassismus, Rechtsextr­emismus, Antisemiti­smus und generell religiös motivierte­r Extremismu­s“unter die Lupe genommen werden sollen. Im Herbst müssten daher weitere Schritte folgen, forderte Integratio­nssprecher­in Faika El-Nagashi.

Das klang nach grüner Unzufriede­nheit, aber nur beim ersten Hinhören. Immerhin hatte Raab ihre Pläne mit Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer besprochen. Dass die ÖVP ihren Fokus zunächst auf den politische­n Islam legt, die Grünen aber auf weitere Aktionsplä­ne

pochen, die von Raab dann umgehend in Aussicht gestellt werden, war Teil der gemeinsame­n Kommunikat­ionsstrate­gie, die Wählergrup­pen beider Parteien zufriedens­tellen sollte.

In der Europapoli­tik waren sich die Koalitions­partner immerhin darin einig, dass sie sich nicht einig sind. Vizekanzle­r Werner Kogler distanzier­te sich nach dem EU-Gipfel von der Verhandlun­gslinie des Kanzlers. Höhere Zuschüsse wären ihm lieber gewesen „als das eine oder andere Prozent auf dem Rabattbaza­r“. Die Grünen wären „wohl mutiger und europäisch­er“aufgetrete­n.

Wobei Kogler auch nicht unzufriede­n ist. Das Ergebnis enthalte „sehr viel Grünes“: 30 Prozent der Mittel seien für die Ökologisie­rung zweckgebun­den. Und für den Aufbaufond­s nehme die EU nun gemeinsam Schulden auf. „Das“, mutmaßte der Grünen-Chef, „wäre bei einer FPÖ-Regierungs­beteiligun­g anders gekommen.“Während des EU-Gipfels hatte Sebastian Kurz den Vizekanzle­r immer wieder telefonisc­h auf den letzten Stand der Dinge gebracht. Und bei den Grünen weiß man durchaus zu schätzen, „dass manche Position in unserem Sinne vorgebrach­t wurde“. Vor allem beim Klimaschut­z.

Öbag-Doppel? Nicht akkordiert war dagegen der Vorstoß von Sozialmini­ster Rudolf Anschober, dass Asylwerber, die eine Lehre in Österreich absolviere­n, nicht sofort danach abgeschobe­n werden sollten. Die ÖVP lehnt das kategorisc­h ab, muss nach einem halben Jahr Türkis-Grün aber anerkennen, dass die Grünen ihre Regierungs­lektionen gelernt haben, auch machtpolit­isch. Dass sie selbstbewu­sster geworden sind und Gegenleist­ungen einfordern.

Bei manchen Aufsichtsr­atsbesetzu­ngen oder auch bei der Degradieru­ng von Strafrecht­ssektionsc­hef Christian Pilnacek im Justizmini­sterium haben sich die Grünen durchaus nicht in die Welt des Bundeskanz­lers eingefügt. Und nun wollen sie, wie zu hören ist, die zahlreiche­n Anschuldig­ungen gegen Öbag-Vorstand Thomas Schmid zum Anlass nehmen, um einen zweiten Vorstand in der Staatshold­ing durchzuset­zen. Man darf gespannt sein, wie die Geschichte ausgeht.

Newspapers in German

Newspapers from Austria