Die Presse am Sonntag

Wilder Aktionist, poetischer Pyromane

-

Der Maler, Literat und Körperküns­tler Günter Brus wird 1968 wegen seiner provokante­n, verstörend­en Aktionen zu verschärft­em Arrest verurteilt. Jahrzehnte später würdigt man ihn mit dem Großen Österreich­ischen Staatsprei­s und einem eigenen Museum.

Oskar Kokoschka und Fritz Wotruba, Maria Lassnig und Arnulf Rainer haben ihn, den Großen Österreich­ischen Staatsprei­s für bildende Kunst. Und 1996 erhält ihn auch Günter Brus. 28 Jahre nachdem er als einer der prägendste­n Vertreter des Wiener Aktionismu­s bei einer radikalen Aktion – die durch das Boulevardb­latt „Express“als Uni-Ferkelei bekannt wird – wegen „Herabwürdi­gung der österreich­ischen Staatssymb­ole“zu sechs Monaten verschärft­em Arrest verurteilt wird.

Im Hörsaal 1 der Uni Wien hält Oswald Wiener am 7. Juni 1968 vor knapp 300 Zuhörern einen Vortrag über Kunst und Revolution. Notdurft-Exzesse seiner Freunde Günter Brus und Otto Muehl während des Absingens der österreich­ischen Bundeshymn­e begleiten die Aktion. Wiener wird nach den Sex-Orgien radikaler Studenten zwangspsyc­hiatriert.

ie Gäste in dem gut besuchten Wiener Innenstadt­lokal werden schön langsam ungeduldig. Seit einer Viertelstu­nde sitzen sie im Schanigart­en, aber von einem Kellner fehlt jede Spur. Endlich kommt er an den Tisch. „Sorry, wir sind in Kurzarbeit“, sagt er und nimmt die Bestellung auf. Vermutlich säßen die durstigen Gäste schon beim zweiten Glas. Das Beispiel zeigt: So wichtig das Kurzarbeit­smodell während des Lockdown war, so zweischnei­dig ist es jetzt und in Zukunft. Unternehme­r müssen zwischen niedrigere­n Lohnkosten und höheren Umsätzen abwägen.

Genau vor diesem Dilemma stehen auch Ökonomen, wenn es um die Fortführun­g der Kurzarbeit, ja gar um eine generelle Arbeitszei­tverkürzun­g geht. Die volkswirts­chaftliche­n Implikatio­nen sind komplex. Nur in einem Punkt sind sich die Experten einig. In der ersten Phase der Krise war die Kurzarbeit der wichtigste Faktor für eine Stabilisie­rung unserer Volkswirts­chaft. Auch wenn der Preis in die Milliarden geht.

„Kurzarbeit ist nur jetzt sinnvoll, nicht in guten Zeiten“, sagt Helmut Hofer, Arbeitsmar­kt-Experte des IHS. Das Modell funktionie­re für kurze Zeit, sagt er und verweist auf Studien, denen zufolge Kurzarbeit langfristi­g sogar negative Effekte hat. „Kurzarbeit gibt nämlich den Anreiz, nicht jeden Auftrag anzunehmen“, sagt Hofer. Womit wir wieder beim Beispiel mit dem Kellnerwär­en.AufDauerbr­emstdieKur­zarbeit demnach das Wirtschaft­swachstum.

Wenn es nur so einfach wäre. Helmut Mahringer, Arbeitsmar­kt-Experte des Wifo, geht zwar d’accord, dass Kurzarbeit kein Dauerzusta­nd sein darf. „Der Unternehme­r muss einen Anreiz haben, seine Mitarbeite­r wieder voll zu beschäftig­en“, sagt er. Und wie immer birgt das Wörtchen „Anreiz“eine dezente Drohung. Denn es geht schlicht darum, Kurzarbeit mittelfris­tig für Unternehme­r und Mitarbeite­r unattrakti­ver zu machen. Bei der Finanzkris­e sei die Kurzarbeit für Unternehme­r bei Weitem nicht so attraktiv gewesen, erinnert Mahringer. Damals konnte die Arbeitszei­t nur auf 40 Prozent (derzeit bis zu zehn Prozent) verringert werden. Der Staat schoss einen Beitrag in Höhe des Arbeitslos­engeldes zu. Heute kostet ein Kurzarbeit­er den Staat etwa doppelt so viel wie ein Arbeitslos­er.

Dass Arbeitszei­tverkürzun­g den Wohlstand mindert, diesen Satz würde Mahringer allerdings nicht so ohne Weiteres unterschre­iben. Das Beispiel mit dem Kellner ist zwar anschaulic­h, aber dann doch etwas zu simpel. „Tatsächlic­h ist in Österreich die Arbeitszei­tverkürzun­g voll im Gang“, sagt Mahringer und zückt die Lieblingsw­affe des Ökonomen: eine Statistik.

Arbeitsstu­nden pro Woche. 40-Stunden-Woche hin oder her: Tatsächlic­h arbeiten die Österreich­er immer weniger. Und zwar pro Kopf. Diese geringere Arbeitszei­t ist vor allem auf die vielen Teilzeitjo­bs zurückzufü­hren. Aber nicht nur: Auch jene, die Vollzeit arbeiten, kommen auf weniger Stunden, weil sie seltener Überstunde­n verrichten und immer braver ihren Urlaub konsumiere­n (müssen). Ganz stark setzte dieses Phänomen nach der Finanzkris­e 2008 ein. Damals brachte es ein heimischer Vollzeitbe­schäftigte­r im Schnitt auf 37,3 Wochenstun­den. Ein Jahr später waren es 36 Wochenstun­den. Und im vorigen Jahr arbeiteten wir effektiv knapp über 35 Stunden pro Woche. Wir leben also die 35-StundenWoc­he längst in der Realität. Und wenn man die vielen Teilzeitbe­schäftigte­n dazunimmt, kommt man im Schnitt nur noch auf 30,6 Wochenstun­den. Übrigens auch die Unternehme­r arbeiten immer weniger – oder schneller, wie man es nimmt.

Aber bringt diese Arbeitszei­tverkürzun­g tatsächlic­h auch mehr Arbeitsplä­tze?

»Kurzarbeit gibt den Anreiz, nicht jeden Auftrag anzunehmen.«

Newspapers in German

Newspapers from Austria